Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Klimanotstand und nun Corona. Alexander-Kenneth Nagel analysiert in seinem Buch „Corona und andere Weltuntergänge“ die Zusammenhänge.
Spätestens seit dem Jahrhundertwechsel haben apokalyptische Deutungen des Weltgeschehens Konjunktur. Der Autor analysiert die Tiefenstruktur aktueller Krisendiagnosen zur Corona-Pandemie, zur ökologischen Krise vom Club of Rome bis hin zu Extinction Rebellion und zur Krise des Nationalismus. Er vermittelt ein vertieftes Verständnis der Endzeit-Mentalität spätmoderner Gesellschaften und der anhaltenden Konjunktur der Apokalyptik als religiösem und weltanschaulichem Geschäftsmodell.
„Im Frühjahr 2020 hielt die Welt buchstäblich den Atem an“, blickt Alexander-Kenneth Nagel in seinem Vorwort zurück. „Ein neues Virus verbreitete sich rasch entlang der globalen Handels-und Verkehrswege und verursachte eine hochansteckende Lungenerkrankung, die nicht selten zum qualvollem Ersticken der Betroffenen führte. Im Angesicht dieser Bedrohung ergriffen viele Staaten teils drastische Gegenmassnahmen, um die weitere Ausbreitung zu verhindern. Die Schliessung der Grenzen und die massive Einschränkung der Freizügigkeit im Inneren brachten das öffentliche Leben fast vollständig zum Erliegen“.
Und der Autor fragt: „Leben wir also in apokalyptischen Zeiten?“ Er wird diese Frage nicht beantworten, stellt die Krisen aber in Zusammenhänge. Die Weltuntergänge stehen exemplarisch für eine Neigung, Krisen ‹apokalyptisch› zu charakterisieren.
Zurück zur Corona. Anders als die anderen globalen Krisenphänomene wurde die Corona-Krise im Alltagsleben der Menschen deutlich und umfassend spürbar: Home Office, Kontaktsperre, abgesagte Reisen und andere. „Da der Virus für das menschliche Auge unsichtbar ist, waren es v.a. ikonische Darstellungen der Vorsorgemassnahmen, welche die öffentliche Wahrnehmung prägten: Bilder von Personen in Ganzkörper-Schutzanzügen, Patienten an Beatmungsgeräten, von Hamsterkäufen und leergekauften Regalen haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt.“
Der Autor zitiert im Absatz Medienberichterstattung auch andere Autoren, wie Hannes Stein in der Welt: „Die Apokalypse ist nicht der Weltuntergang“ oder Jörg Scheller, der in der Neuen Zürcher Zeitung sich entschieden dagegen verwahrte, die Corona-Krise apokalyptisch zu deuten.
Der Autor deutet auch die politischen Reaktionen vor allem der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, beschreibt die verschwörungsideologische Verarbeitung und geht den religiösen Hintergründen nach.
Fazit: Vergleiche man die apokalyptische Semantik, ergeben sich diverse Gemeinsamkeiten: So sei in allen Fällen von weltumspannenden und lebensbedrohenden Krisenerscheinungen die Rede. Alle drei berufen sich auf die Kenntnis historischer und ökologischer Gesetzmässigkeiten, die durchbrochen werden müssen, um das Überleben der Menschheit zu ermöglichen. Eine weitere auffällige Gemeinsamkeit sei die Unsicherheit, ob sich die fatale Entwicklung noch aufhalten lasse oder ob es bereits zu spät ist.
Das Buch:
Corona und andere Weltuntergänge.
Apokalyptische Krisenhermeneutik in der modernen Gesellschaft. 2021 transcript Verlag Bielefeld ISBN-978-3-8376-5595-7
Der Autor: Alexander-Kenneth Nagel (Dr.rer.pol.) geb. 1978, ist Professor für sozialwissenschaftliche Religionsforschung an der Georg-August-Universität Göttingen.