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«Mach nie das Erwartbare»

Mit der Mundartbearbeitung von Daniel Glattauers «Vier Stern Stunden» zeigt das Berner «Theater Matte» eine Komödie, die nicht nur zum Lachen, sondern auch zum Nachdenken über Erwartungen, Veränderungsbereitschaft, Kulturerbe und alte Zöpfe anregt.

Die Geschichte beginnt simpel: Zur Veranstaltungsreihe »Sternstunden« werden seit Jahrzehnten illustre Kulturschaffende ins Kurhotel Reichenshoffer eingeladen. Diesmal ist der berühmte Romancier Frederic Trömerbusch (Gian Pietro Incondi) angekündigt. Doch der Abend, moderiert von der selbstverliebten Kulturjournalistin Dr. Mariella Brem (Barbara Seidel), einer ausgewiesenen Trömerbusch-Kennerin, läuft gleich zu Beginn aus dem Ruder. Eine technische Panne legt das Haus lahm. Während dem anschliessenden Interview macht sich der alternde Literat, der schon seit Jahren nichts mehr publiziert hat, einen Spass daraus, die Journalistin blosszustellen, um selbst in umso hellerem Licht zu erstrahlen. Auf jede Frage lässt er das Publikum wissen, dass ihn die Talkshow langweilt, ja anödet. Seine Antworten entsprechen so gar nicht den Erwartungen der Moderatorin.

Starautor Frederic Trömerbusch (Gian Pietro Incondi).

Doch auch Schriftsteller Trömerbusch hat ein Problem. Seine Geliebte Lisa (Livia Franz), Bloggerin und Umweltaktivistin, nutzt den Auftritt ihres Lovers für ihre eigenen Zwecke: Als die Talkshow zu platzen droht, stürzt sie mit einem Demo-Transparent «Jetzt handeln» die Veranstaltung ins Chaos. Der hoffnungslos überforderte Hoteliersohn David Christian Reichenshoffer (Adamo Guerriero) muss händeringend zusehen, wie der Talk implodiert. Frustriert beendet er die von seinem Vater eingeführten «Sternstunden» und kündigt – völlig unerwartet – der intellektuellen Kulturjournalistin auf der Stelle.

Hoteldirektor David Christian Reichenshoffer (Adamo Guerriero).

Das bittere Ende folgt nach der Pause: Lisa trennt sich in einem Hotelzimmer-Gespräch von ihrem betagten Lover und bietet kurz darauf dem überraschten Hotelier ihre Ideen für ein neues Kulturkonzept moderner Ausrichtung an. Offenbar haben die beiden die Zeichen der Zeit erkannt und nutzen ihre Veränderungsbereitschaft für den Aufbruch.

Starautor Trömerbusch und Starjournalistin Brem treffen derweil erneut aufeinander und versuchen unter Alkoholeinfluss zu verstehen, was passiert ist. Dabei vermögen sie immerhin zu erkennen, dass sie mit ihrem Handeln die Erwartungen des Publikums und ihrer Mitmenschen nicht (mehr) erfüllt haben. Ihr Verständnis von Kulturerbe scheint nicht mehr <State of the Art> zu sein. Das Stück endet mit Trömerbuschs später Einsicht: «Mach nie das Erwartbare». Wie wenn es im Leben immer so einfach wäre. Der Abgang ist bitter.

Vier Persönlichkeiten – vier Entwicklungen

Mit der Inszenierung von Glattauers Vorlage gelingt Regisseur Markus Maria Enggist eine Komödie, die nicht nur unterhält, sondern auch berührt und zur wiederholten Reflexionen zwingt. Da hinterfragen vier völlig verschiedene Persönlichkeiten die eigenen sowie die Ansprüche anderer, die Erwartungen der Vorfahren, des Partners, des Publikums, des Auftraggebers. Die schleichenden Erkenntnisse führen zu einem Wandel in den Haltungen und im Handeln der Protagonisten. Und zu persönlichen Veränderungen bei allen. Das Stück ist eine Absage an einen bequemen Konformismus, an die sture Erfüllung von Erwartungsdruck sowie ein Plädoyer für mehr Mut bei der Umsetzung der eigenen, vielleicht auch unbequemen Haltung.

Moderatorin und Kulturjournalistin Dr. Mariella Brem (Barbara Seidel).

Der berühmte Schriftsteller verweigerte sich den hochgestochenen Fragen der ehrgeizigen Journalistin und distanziert sich von den intellektuellen Interpretationen seiner Werke. Ernüchtert meint er: «Reden wir vom Leben, reden wir davon, was uns hier und heute bewegt. Warum es sich lohnen könnte, in der Früh das Bett zu verlassen.» Dr. Mariella Brem, die den Autor vergöttert, erkennt, dass auch die Weltliteratur nur ein intellektuelles Konstrukt bleibt, wenn Menschlichkeit, Emotionen und Verständlichkeit fehlen.

Die ambitionierte Aktivistin Lisa (Livia Franz).

Die Bloggerin Lisa, die sich kurzfristig in den Starschriftsteller verguckt hat, will nicht weiter über Leben, Sterben oder Sinnhaftigkeit nachdenken. Viel lieber wendet sie sich wieder dem Lifestyle, dem Fussball sowie den sozialen Medien zu, die sie als Influencerin beherrscht. Konsequent ist der Beziehungsbruch mit Frederic Trömerbusch, der sein Elend im Whiskey ertränkt.

Geläutert wirft der Hoteliersohn das Kulturkonzept seines Vaters über den Haufen und erweitert den Kulturbegriff. Insgesamt erlebt das Publikum auf der Bühne vier Sternstunden von vier Menschen, die mit ihren Träumen, Wünschen, Realitäten und Zweifeln hadern.

Krönender Abschluss des amüsanten Theaterabends ist das semantische Verbalduell der entlassenen Mariella Brem mit dem verlassenen Starautor Frederic Trömerbusch über Begriffe, die mit <ent-> oder <ver-> beginnen. Was ist schlimmer? Entlassen oder verlassen zu werden? Dem Zuschauer, der Zuschauerin bleibt es überlassen, die Priorisierung auf dem Nachhauseweg empathisch, tiefsinnig oder mit dem geforderten Humor zu reflektieren.

Titelbild: Bloggerin Lisa (zweite von links) entrollt während dem Literaturtalk ein Transparent und wird umgehend von der Moderatorin (links) interviewt. Hoteldirektor Reichenshoffer (rechts) und Starautor Trömerbusch (sitzend) müssen tatenlos zuhören. Alle Fotos © Rolf Veraguth

Aufführungen noch bis am 20. Mai 2023

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Theater Matte 

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