StartseiteMagazinLebensartUralte Türme und kostbare Fresken

Uralte Türme und kostbare Fresken

Entlang der „Alpinen Strasse der Romanik“ im Südtirol gibt es einen reichen Bestand an romanischen Fresken. Eine Reise zu kleinen Kirchen und grossen Kunstschätzen im Vinschgau.

Auf der Fahrt vom Reschenpass im Obervinschgau bis Meran oder weiter in den Süden Südtirols fallen die vielen, oft einsam stehenden alten Kirchlein auf. Diese Kostbarkeiten findet man zwar nicht gerade wie an einer Perlenkette aufgereiht. Und die Möglichkeiten zur Innenbesichtigung sind eingeschränkt. Doch Informationen gibt es in den Fremdenverkehrsbüros fast jeder grösseren Ortschaft im Tal und im Internet. Sich vorher über die Modalitäten einer Besichtigung zu informieren ist ratsam.

Das kleine Kirchlein St. Ägidius hoch über Kortsch

Doch warum nicht die lange Fahrt unterbrechen? Denn schon eine kurze Wanderung zu manch einer kleinen Kirche ist allein wegen ihrer eindrucksvollen Lage lohnenswert. Neben den Kulturstätten wie Kloster Marienberg in Burgeis, Schloss Tirol bei Meran oder Burg Hocheppan überraschen in den kleinen Kirchen vor allem die wertvolle Bildausstattung und außergewöhnliche Bauelemente. Die meisten werden nicht mehr für den Gottesdienst gebraucht. Einige von ihnen stellt dieser Reisebericht vor.

Doppelschwänzige Nixe, Schloss Tirol

Auf den ersten Blick mag es verwundern, dass genau hier in dieser früher abgelegenen Gegend so viele romanische Bauten und damit der reichhaltigste Fundus romanischer Wandmalereien in Europa zu finden sind, wie die Südtiroler Publizistin Marlene Lobis schreibt.

St. Prokulus im Osten von Naturns

Die Kunstproduktion im 12. und 13. Jahrhundert entlang der Alpinen Straße der Romanik ist von Einflüssen aus dem Süden und dem Norden, aber auch aus Byzanz geprägt. Das Land im Gebirge war im Mittelalter keineswegs abgeschottet, sondern eine bedeutende Drehscheibe entlang der von den Römern erbauten Via Claudia Augusta. Der Vinschgau war im Mittelalter eine mehrsprachige Landschaft. Drei Bischöfe, aufstrebende Adelsfamilien und Feudalherren stritten sich um die Herrschaft.

Der imposante Turm der St. Prokulus-Kirche

Im 12. Jahrhundert wurde der Vinschgau dank des wirtschaftlichen Aufschwungs in Europa ein wichtiges Durchzugsgebiet für Pilger, für den Handel zwischen Venedig und dem Norden und für Ritter, die zu Kreuzzügen aufbrachen. Sie alle benutzten den leicht begehbaren Reschenpass. Anderseits war das Tal arm und die Menschen lebten einfach. Dieser Umstand hatte zur Folge, dass es nur bei wenigen der romanischen Kirchen und Kapellen Modernisierungen gab mit einem Stilwechsel zur Gotik und später auch zum Barock.

Der Schaukler in St. Prokulus, Naturns. Die Fresken wurden vor genau 100 Jahren freigelegt. Foto Wikimedia

Zum romanischen Bilderrepertoire gehören dramatische Erzählungen aus der Heilsgeschichte und Legenden von Heiligen. Eindrücklich die Darstellung des Bösen in Form von Bestien und Dämonen als triebhafte Fabelwesen. Die Menschen glaubten, dass die Welt bald enden würde und dass sie sich auf das Leben nach dem Tod vorbereiten müssten. Dies führte zu einer starken Ausrichtung auf die Endzeit und die Notwendigkeit, bereit zu sein für das Gericht Gottes.

Kloster Marienberg, Krypta: Die Engel sind die Boten des Göttlichen, dessen Farbe ein intensives Lapislazuli ist.

Die Gläubigen erlebten somit eine Mischung aus Droh- und Frohbotschaft zur Festigung der göttlichen Ordnung in einer eindringlich didaktischen Sprache. Mit ihrer unsterblichen Seele nahmen die Gläubigen am irdischen wie am jenseitigen Leben teil, in diesem Geschichtenkosmos zwischen guten und bösen Mächten und Einflüssen. Sie konnten zwischen Höllenqualen und der Aufnahme ins prachtvoll dargestellte himmlische Jenseits wählen. Ein Gedanke, welcher der romanischen Kunst zugrunde liegt, ist somit die Ausrichtung auf das Jenseits und das Weltengericht. Der Himmel trifft die Erde.

Kloster Marienberg

Vom Reschenpass herkommend erblickt man auf der Malser Haide von weither die mächtige Klosteranlage Marienberg über dem Dorf Burgeis. Das in den Hang gebaute Kloster und dessen Krypta beherbergen einen Schatz an Fresken, die erst nach einer Sanierung im Jahre 1980 wieder zum Vorschein kamen. In ihren Aureolen sitzen vier geflügelte Wesen, wie sie in der Apokalypse beschrieben sind. Christus als endzeitlicher Richter ist Triumphator. Die Krypta darf zum Schutz der Fresken allerdings nur eingeschränkt besichtigt werden.

Das erst vor wenigen Jahren erbaute interaktive Museum ist sehenswert. Es zeigt den Alltag und die Geschichte des bald 900jährigen Klosters. Die in barockem Stil gehaltene Klosterkirche ist reich ausgestattet. Das ganze Ensemble mit seiner Lage und der Aussicht auf das Tal der Etsch lohnt unbedingt einen Besuch.

St. Benedikt in Mals

Das siebentürmige Mals hat einen umfangreichen Bestand an alter Architektur – ein Halt auf der Fahrt nach Süden lohnt, auch wenn die Staatsstrasse mit einer bequemen Umfahrung lockt. Besonders wertvoll ist die unweit der Staatsstrasse gelegene St. Benediktuskirche.

Fresko in St. Benedikt. Die Kirche reicht in ihrer Entstehung bis auf die Zeit Karls des Grossen zurück.

Diese um das Jahr 800 entstandenen Fresken zählen zu den spärlichen Zeugnissen karolingischer Wandmalerei. Es kommt einem Wunder gleich, dass sich Kirche und Fresken erhalten haben. Denn sie wurden im Laufe der Zeit verschiedentlich von einer Mure verschüttet.

Lauben in Glurns

Glurns als Städtchen mit einer vollständig erhaltenen Befestigungsmauer war auch ein Bollwerk gegen die Bündner und den Bischof von Chur. Die weiss getünchten Lauben – früher waren hier Ställe – sind eine besondere architektonische Trouvaille.

St. Veit auf dem Tartscher Bühel

Von Glurns weiter talabwärts fällt von weither die kleine ummauerte Kirche St.Veith in einsamen Lage auf. Der ganze Hügel wirkt an einem Regentag mystisch entrückt. Der Tartscher Bühel war ein vorgeschichtlicher Kultort. Noch heute findet hier zur Vertreibung des Winters das Scheibenschlagen, ein archaischer Feuerbrauch, statt.

St. Johann in Prad am Stilfserjoch

Das sehr alte Gotteshaus St. Johann steht oben am Hang im Südosten des Dorfes Prad. Mit seinen auffällig harmonischen Proportionen und seiner Lage in einer Wiesenlandschaft ist es ein kleines Juwel. Das Dorf liegt am Eingang ins Hochgebirge der Ortlergruppe. Im ganzen Vinschgau bis Töll vor Meran sind nochmals etwa ein Dutzend romanische Kirchen zu sehen.

St. Jakob in Latsch steht mitten im Dorf.

Der wuchtige und gedrungene Chorturm von St. Jakob ist das charakteristische Merkmal – nicht unüblich in der Gegend. Der Glockenturm steht über dem Chorraum. Die Kirche wurde vor 1200 erbaut. 1992 wurde in der nahen Bichlkirche ein Menhir entdeckt. Seine Ornamente stammen aus der Kupferzeit. Jahrhunderte lang diente er als Altarplatte. Heute findet man ihn in einer interessanten didaktisch gut präsentierenden Ausstellung in der Kirche.

Die Hand Gottes in Glurns

Zum Schluss eine kleine Halbfigur an einem Torbogen in Glurns. Die Darstellung einer Hand, die drei Finger ausstreckt und zwei Finger geschlossen hält, wird als Hand Gottes oder Dreifingergruss bezeichnet. Er ist eine symbolische Geste, die in der Romanik weit verbreitet war. Eine mögliche Interpretation ist, dass die drei ausgestreckten Finger die Dreifaltigkeit symbolisieren – Vater, Sohn und Heiliger Geist – und die zwei geschlossenen Finger die menschliche und göttliche Natur Jesu Christi darstellen.

Titelbild: Kloster Marienberg, Krypta: Himmelsvision mit Engeln
Bilder: Justin Koller

Ein Hinweis: Das Kloster Müstair liegt zwar in der Schweiz, gehört jedoch auch zu den Kunstwerken des Projekts «Alpine Strasse der Romanik».
Marlene Lobis: Aussichtsreich: Erlebnisse rund um die Alpine Straße der Romanik, 2020, Athesia-Tappeiner Verlag, ISBN 978-88-6839-479-0
Reisetipps:
Ferienregion Obervinschgau im Südtirol
Alpine Strasse der Romanik
Machbar ist die Reise für Wandernde auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Und erst recht mit dem Fahrrad.

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