Gespaltenes Amerika

Von der Flower-Power-City zu einem Obdachlosen-Mekka: San Francisco symbolisiert Amerikas Entwicklung hin zu einem gespaltenen Land. Gedanken nach einer Reise an die US-Westküste.

Wer San Francisco hört, denkt an eine wunderschöne, aber kalte Bucht, die malerische Golden Gate-Brücke, Fishermans Wharf, die Gefängnisinsel Alcatraz, historische Cable Cars, China Town, Lombard Street und viele moderne Wolkenkratzer. Als ich 1978 die Touristenattraktionen zum ersten Mal besuchte, war San Francisco die Stadt der Hippies, der Schwulen, das «Paris des Westens»: Wohlstand, Sauberkeit, Sicherheit, multi-ethnisches Zusammenleben von Reich und Arm lauteten damals die Prädikate der Vorzeige-Metropole.

Der Blick von der Marina auf die City täuscht. Bedürftige fischen in der Bay.

Im vergangenen Juni, 45 Jahre später, war ich wieder eine Woche lang zu Besuch in «Frisco». Diesmal erlebte ich die Stadt ganz anders: ein extremes Wohlstandsgefälle, Schmutz, Kriminalität, Obdachlosigkeit, Drogensucht an allen Ecken. «Seien Sie vorsichtig, wo sie übernachten», lautete der erste Rat meines Reisebüros. «Stellen Sie ihr Auto nur in einem bewachten Parking ab», der zweite. Schockiert war ich vom sichtbaren Ausmass der Obdachlosigkeit: Im Bankenviertel, in den vielen Parks, entlang der Market-Street, ja selbst im touristischen Hafenquartier liegen «Homeless» apathisch auf Bänken, vor Geschäften und Hoteleingängen.

Melv Attell, ein wohlhabender Geschäftsmann, den wir vor dem Pier 47 kennenlernten, kümmert sich als «Zeuge Jevoas» um die mittellosen Menschen. Nach seiner Aussage sind viele von ihnen geisteskrank, nehmen Drogen und wollen keine Hilfe annehmen. «Das Schmerzmittel <Fentanyl> sorgt für eine Epidemie», sagt er. Unter den Betroffenen seien zahlreiche arbeitslose Kriegsveteranen. «Für sie sind die Monatsmieten von durchschnittlich 2700 Dollar unerschwinglich.» Meine Frage, ob der Staat hier versagt, will Melv nicht beantworten.

San Francisco: kein Einzelfall

Zwischen Touristen und Obdachlosen: Alltag in Fishermans Wharf.

Im vergangenen Dezember gab das US-Wohnungsbauministerium bekannt, 582’462 Menschen seien im Januar 2022 mindestens eine Nacht lang ohne Behausung gewesen. Im Januar 2023, als wieder gezählt wurde, waren es deutlich mehr. Grob gesagt haben auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten von Amerika mehr als 600’000 Menschen keine Bleibe. Rund die Hälfte aller Obdachlosen jenseits von Notunterkünften versuchen, sich in Kalifornien durchzuschlagen. Mehr als 115’000 Menschen hausen allein im «Golden State» mit bestenfalls ein wenig Kunststoff, Karton oder einer Brücke über dem Kopf.

Obdachlosigkeit an der reichen Market-Street.

Sechs der zehn US-Städte mit der dramatischsten Bilanz liegen an der Westküste. Angeführt wird die Rangliste vom Grossraum Los Angeles, wo mindestens 65’000 «Homeless» vermutet werden; London Breed, die aktuelle Bürgermeisterin San Franciscos, kalkuliert, dass sie 1,3 Milliarden Dollar bräuchte, um die menschliche Tragödie halbwegs in den Griff zu bekommen. Doch das Geld fehlt sowohl dem «County» als auch dem Bundesstaat. Und der Bund scheint weder zuständig noch willig zu helfen.

Nach einer Woche Aufenthalt steht für mich fest: San Francisco ist Sinnbild für Amerikas Entwicklung hin zu einem gespaltenen Land. Die Wohlstandsschere öffnet sich immer mehr. Die IT-Cracks von Apple, Microsoft und Amazon leisten sich millionenteure Villen und lassen sich jeden Morgen von Limousinen abholen. Menschen, die aus dem sozialen Netz fallen, darunter Einwanderer, Rentnerinnen und Rentner, Kranke, Alleinerziehende, grosse Teile des Mittelstandes, leben unter dem Existenzminium, in zerfallenden Blockwohnungen oder gar auf der Strasse.

Der Extremismus floriert

Im Bankenviertel wachsen die Utopien in die Höhe.

Arme werden aufgrund der schlechten Ernährung immer fetter, was nicht ohne gesundheitliche Konsequenzen bleibt. Reiche dagegen leisten sich «Health Food», Gemüse, Früchte und verkehren in den besten Restaurants. In dieser Situation schlagen die beiden grossen Parteien keine Brücken, indem sie für Ausgleich sorgen. Die Polarisierung gefährdet vielmehr die Funktionsfähigkeit des politischen Systems. Es dominieren die Stimmen der christlichen Nationalkonservativen auf der Rechten und der Gender-Extremisten, feministischen Aktivistinnen und anti-rassistischen Bewegungen auf der Linken. Das Ganze ist zu einem Stresstest für den US-Kongress und das höchste Gericht geworden.

Die Risse gehen quer durch die amerikanische Gesellschaft: Wachsende soziale Ungleichheiten, Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus, Scheinheiligkeit in der Waffen- und Drogenpolitik, Fakenews statt journalistischer Leuchttürme, Hass, Intoleranz und eine zunehmende Gewaltbereitschaft nehmen zu. Die Ungleichheit im Bildungssystem hat durch das jüngste Urteil des «Supreme Courts» wieder Auftrieb erhalten. Die Staatsverschuldung schliesslich hat ungeheure Ausmasse angenommen. Geld fehlt überall, vor allem im Bildungs- als auch im Gesundheitswesen.

Weder Trump noch Biden

China Town: Einst voller exotischer Reize. Heute schmutzig und am Zerfallen.

Wer mit Amerikanerinnen und Amerikanern über die Missstände diskutiert merkt rasch, dass Normaldenkende, die nicht einer extremen Position verfallen sind, über die Entwicklung seit der Präsidentschaft Trump entsetzt sind, aber selbst keine Ideen für Lösungen haben. Die Unzufriedenheit mit beiden politischen Parteien und deren Spitzenpolitikerinnen und Kandidaten ist weit verbreitet. Trump gilt für die meisten Amerikanerinnen und Amerikaner, mit denen ich in Kalifornien gesprochen habe, als «unwählbar». Unzufrieden sind sie aber auch mit dem amtierenden Präsidenten. Joe Biden sei viel zu alt und aufgrund seiner politischen Abhängigkeiten nicht in der Lage, das Land aus der Krise in eine bessere Zukunft zu führen.

Keine Hoffnung auf Besserung

Mein Fazit nach vielen Gesprächen an der US-Westküste: Mit einer Umkehr der Trends zu Extremismus und Polarisierung ist in naher Zukunft nicht zu rechnen, so blockiert ist die gesellschaftliche Situation. Die Auswirkungen des schwerfälligen politischen Systems und des gelähmten Politikbetriebs werden die kommenden Wahlen überdauern. Amerika bleibt institutionell angeschlagen und ein gespaltenes Land.

Titelfoto: Der Nebel über Amerika und über der Golden Gate Bridge wird sich so rasch nicht verziehen. Fotos PS / Privat / FB

Frage an ChatGPT:
«Was tun gegen Obdachlosigkeit?»

ChatGPT ist in aller Leute Mund. Ich habe versuchsweise den Sprachroboter gefragt, was gegen Obdachlosigkeit getan werden kann. Beurteilen Sie seine Antwort (kursiv und blau unterlegt) selbst:

«Die Obdachlosigkeit ist ein komplexes Problem, das eine umfassende Herangehensweise erfordert. Es gibt verschiedene Massnahmen, die ergriffen werden können, um die Situation zu verbessern. Dazu gehören:

1. Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum: Es ist wichtig, erschwinglichen Wohnraum für obdachlose Menschen bereitzustellen, um ihnen eine stabile Unterkunft zu bieten.

2. Zugang zu sozialen Diensten: Es ist entscheidend, den obdachlosen Menschen Zugang zu medizinischer Versorgung, psychischer Betreuung, Arbeitsvermittlung und anderen sozialen Diensten zu ermöglichen, um ihnen bei der Bewältigung ihrer Situation zu helfen.

3. Prävention von Obdachlosigkeit: Es ist wichtig, frühzeitig Massnahmen zu ergreifen, um Menschen vor der Obdachlosigkeit zu schützen. Dazu gehören Unterstützung bei der Jobsuche, finanzielle Unterstützung und Beratungsdienste.

4. Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Organisationen: Die Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Organisationen, die sich auf die Unterstützung von obdachlosen Menschen spezialisiert haben, kann dabei helfen, Ressourcen zu bündeln und effektive Lösungen zu finden.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Bekämpfung der Obdachlosigkeit eine langfristige und koordinierte Anstrengung erfordert, bei der Regierung, Gemeinden, Organisationen und Einzelpersonen zusammenarbeiten müssen, um nachhaltige Lösungen zu finden.»

Quelle: ChatGPT

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3 Kommentare

  1. Also eigentlich wüsste «man» ja wie gegen Obdachlosigkeit vorzugehen wäre; der Sprachroboter wurde von Menschen, die sich darüber Gedanken gemacht haben, gut gefüttert. Aber ich weiss nicht was diese Aussage soll. Tatsache ist doch, dass das lange vom westlichen Europa als Sehnsuchtsort gesehene und völlig überschätzte Amerika, total in sich gespalten ist und schon längst seine Vorbildrolle verloren hat. Schlimm ist nur, dass Europa und die Schweiz immer noch am Rockzipfel dieser Nation hangen, anstatt uns endlich auf uns selbst, unsere Stärken und Möglichkeiten, zu besinnen. Der Wille zu einer unumstösslichen und ehrlichen Kooperation mit der EU wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

  2. Ich bin nach wie vor von den Vereinigten Staaten von Amerika (USA)begeistert,auch möchte ich dieses wunderschöne Land selbst einmal kennenlernen.Doch wenn ich lese,was aus diesem Land geworden ist seit der Trump-Regierung,naja,ist schon schlimm.Ich hatte auch bei dem Artikel,den ich gelesen habe,den Eindruck, dass man sich dort noch weniger bis gar nicht um die Obdachlosen und solche,die am Rande des Existenzminimums leben, kümmert. Es ist wahrscheinlich noch viel schlimmer als bei uns in Deutschland.Und Corona sowie die Inflation steuern noch ihr übriges dazu.Die Regierung müsste endlich mal handeln.Biden mag seine Arbeit gut machen,aber nur fürs Ausland,Ukraine zum Beispiel,aber ich denke, daß dieser Präsident es auf jeden Fall besser macht als Trump.Der konnte doch nichts vorweisen,als Präsident war er einfach zu nichts zu gebrauchen,ein «Trump»-el eben,der noch mehr kaputt gemacht hat als es schon ist.Diese Verschwörungstheorien von ihm,oh nein,wie kann man nur so etwas verbreiten, und,nicht zu vergessen,er hat ja noch sehr viele Anhänger,aber es werden zum Glück immer weniger,ha ha ha.Er hat etwas von Hitler geerbt,da gibt’s gar keinen Zweifel.Der Unterschied, erhobener Zeigefinger,ist aber ,dass dieser Mensch doch überhaupt keine Ahnung von der Wirklichkeit hat in Deutschland,das ist nur Nachahmerei,und sonst nix.

  3. Ich muss mich berichtigen,ich meinte ,dass Trump keine Ahnung von der Nazizeit hat,also zwischen 1936 und 1945,.Das muss eine sehr schlimme Zeit gewesen sein,den meine bereits verstorbene Oma hatte nie über diese Zeit gesprochen.Sie war,als Hitler an die Macht kam,gerade 22 Jahre jung ,hatte 5 Kinder geboren,und musste diese ,als ihr Mann als in Russland als vermisst galt,alleine großziehen.

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