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So fasnachtet der Vinschgau

Im oberen Vinschgau haben sich drei historische Fasnachten erhalten. Sie reihen sich ein in die Tradition der Bauernfasnachten, wie sie ähnlich in der Schweiz, in Österreich oder in Süddeutschland gefeiert werden. Ein Augenschein in Laatsch.

In einem Umzug werden mit wilder Begeisterung Szenen dargestellt, die früher für die bäuerliche Kultur prägend waren: der Kampf zwischen Bauer und Gesinde, zwischen Sesshaften und Fahrenden und zwischen Mann und Frau. Und immer geht es um die Fruchtbarkeit des Bodens und um die Vertreibung des kalten und unwirtlichen Winters.

Die Fasnacht ist neben dem Scheibenschlagen ein wichtiger Brauch für das Dorfleben.

In ihrer Art und Ausstattung zwar unterschiedlich haben die Bräuche doch Gemeinsamkeiten. Gerade ihre ungleiche Entwicklung entlang einer Tradition stellt einen großen immateriellen Wert für die alpenländische Kultur dar. Die Bräuche leben und sind wichtig für den sozialen Zusammenhang des Dorfes. An der „Lootscher Fosnocht“ machen etwa 100 Rollenträger aus einem Dorf mit weit weniger als tausend Einwohnern mit.

Der lange Lärchenstamm wird unter der Kirche durchgezogen.

Im Obervinschgau haben urtümliche Fasnachtsbräuche Tradition. Im Dorf Laatsch ist es das „Larchziachn“ (Lärchen ziehen) und das „Fosnochtbegrobn“ (Fasnacht begraben). In Stilfs, auf dem Weg zum Stilfserjoch, das ,“Pfluagziachn“ (Pflug ziehen). Und in Prad, abwärts in Richtung Meran, das ,,Zussl-Rennen“ (Schellen-Lauf) und das „Maschgergean“ (Masken gehen). Die drei Dörfer sind alle nicht weit von der Kleinstadt Glurns entfernt. Alle sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar.

Beinahe durch! Es braucht Geschick und eine gute Zusammenarbeit bei dieser schwierigen Fahrt.

Da heute wegen des Umzuges kein Bus fährt, gehen wir von Glurns aus zu Fuss nach Laatsch. Ein Viertel vor zwei, dem Beginn des Umzuges, ist es still im Dorf. Kein Auto zu hören, keine Besucher zu sehen – haben wir uns im Datum geirrt? Doch hier eine fasnächtlich gekleidete Gestalt und nun kleine Trupps von Kostümierten, die zur historischen Leonhardkirche am westlichen Ende des Dorfes eilen. Unter ihren Bogenpfeilern verläuft die Strasse und diese Enge muss auch der geschätzt fünfzehn bis zwanzig Meter lange mit Bändern geschmückte Lärchenstamm passieren.

Wir folgen den Verkleideten, die nun warten, bis der Umzug sich formiert. Für den Fotografen eine gute Gelegenheit, Portraits zu machen und nach der Bedeutung der einzelnen Figuren zu fragen.

Der Kapellmeister

Stolz präsentiert sich der Kapellmeister der „Lootscher Fosnochts Musi“, die den Marsch bläst und im Umzug mit schmissiger Musik gute Laune verbreitet. Sie ist für das Dorf wichtig – eine lebendige Tradition, welche die Gemeinschaft zusammen bringt.

Der Nachtwächter

Der Nachtwächter hatte verschiedene Aufgaben, u.a. schützte er die ansässigen Bauern vor Herumziehenden, den Karrnern, die mit all ihrem Hausrat, auf einen Handwagen gepackt, ihr Auskommen suchten. So wird das bäuerliche Leben von einst in einem Fasnachtsspiel lebendig gehalten und veranschaulicht die sozialen Verflechtungen zwischen Sesshaften und Fahrenden.

Wir werden ihnen später noch begegnen in ihren Auftritten. Links der Mann mir dem Rap auf der Bühne, in der Mitte die deutsche Touristin und rechts der Hotelboy.

Zwei Bajasse warten auf den Umzug um sich einzureihen.

In Laatsch und in Stilfs im Vinschgau, in Fiss im oberen Inntal aber auch im appenzellischen Stein , werden entastete Bäume durch das Dorf geschleppt. Der Baum als Zeichen des Lebens: Bäume repräsentieren Wachstum, Entwicklung und den natürlichen Lebenszyklus. Baumstämme im Fasnachtsumzug tragen somit nicht nur zur festlichen Atmosphäre bei, sondern verweisen auch auf tiefere Bedeutungen.

Neben dem,,Larch“ wird vom bäuerlichen Gefolge eine ,,Arl“, ein Ritzpflug, mitgezogen, der die Äcker für die neue Saat richtet. Dahinter der Sämann.

Das Ziehen des Pflugs oder eines Baums symbolisiert den Kreislauf der Natur im Ablauf des Jahres. Der Pflug und die Egge stehen für die Bearbeitung des Bodens, was die neue Bestellung des Feldes ermöglicht. Dahinter geht der Sämann, der anstatt Körner symbolisch Sägemehl streut.

Der Sämann wirft Saatgut aus.

Inzwischen ist der Zug vor dem zentralen Gasthaus Zum Lamm angekommen. Auf zwei Brückenwagen ist eine Bühne installiert. Der Zug hält an. Die Zuschauer warten gespannt auf die in Mundart vorgetragenen Sketches und Schnitzelbänke. Lokale gesellschaftliche Themen kommen ebenso an wie Missgeschicke dorfbekannter Personen.

Es wird auch gerappt und das Publikum macht mit.

Selbstverständlich werden auch Politiker auf die Schippe genommen, als Beispiel der wieder gewählten Landeshauptmann, der mit Konterfei und mit aneinander gesetzten Rundhölzern als Hampelmann dargestellt wird (obwohl er eigentlich erfolgreich regierte). Es ist vielmehr die grösste Partei, die SVP ( Südtiroler Volkspartei), welche die Wahl verloren hat. Oder der Immobilienhai Benko, der in Bozen eine grosse Überbauung aufzieht. Der Wolf und der Bauer duellieren sich verbal.

Das deutsche Touristenpaar, der Hoteldirektor und der Zimmerbursche, dem der Kragen platzt…

Der Overtourism ist ein Thema – Südtirol habe mehr Touristen als Griechenland, heisst es. Zu viele Betten und zu viele Touristen, die vom ersten Aufenthaltstag an den öffentlichen Verkehr gratis benützen können – und die Einheimischen müssen im Bus stehen statt sitzen. Eine Szene folgt der anderen. Die Darsteller bekommen Applaus und die „Lootscher Fosnochtsmusi“ heizt jeweils mit einem schrägen Tusch die Stimmung an.

Der Goasslschnöller steigt auf die Dächer und macht mit heftigem Geschnalze auf sich aufmerksam.

Neben dem Bajass, der lustigen Figur in der Tiroler Fasnacht, sind die Schemen zugegen; deren Aufgabe ist es, eine Spende beim Publikum zu erbitten.

Tafel vor dem Gasthaus Lamm

Die Laatscher Fasnacht ist, wie in Tirol üblich, eine reine Männerfasnacht. Sie findet stets am Fasnachtssonntag statt. Mit der Versteigerung der abgehackten Äste der Lärche und des Stammes auf dem Kirchplatz wird der Umzug beendet. Die Fasnacht in Laatsch geht erst mit dem Begraben zuende; es erfolgt heute noch im 2-Jahres-Rhythmus, während das ,,Larchziachn« als „Lootscher Bauernfosnocht“ jährlich stattfindet. Und die Tafel vor dem Lamm zeigt, wie die Laatscher hinter ihrem Brauch stehen.

Titelbild: Die Lootscher Fosnochtsmusi
Fotos: Justin Koller

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