Über hundert Jahre lang wurde in der Tellspiel-Arena in Matten bei Interlaken Schillers Wilhelm Tell gespielt. Diesen Sommer wird – in Anlehnung an die Tell-Sage – das Stück Robin Hood, gezeigt. Die farbenfrohe Aufführung gefällt, hat aber trotzdem ein Publikumsproblem.
Die Freilichtaufführung Wilhelm Tell in Interlaken ist eine Institution. Mehrere Generationen, Schulklassen, Vereine, Familien, Touristen aus Nah und Fern haben seit 1912 die dramatischen Inszenierungen mit Laiendarstellerinnen und -darstellern, Pferden, Kühen, die Zweikämpfe, Dramatik und das Feuerwerk genossen. «Mit der Neuinszenierung Robin Hood verlassen wir bewusst für einmal diesen Weg,» heisst es im Flyer 2024 und weiter: «Die sich ändernden Strukturen der Kulturlandschaft verlangen eine moderate Anpassung des Spielplans der Tellspiele, um das Feuer der Tradition am Brennen zu halten. Denn Tradition ist nicht das Aufbewahren, der Asche, sondern das Schüren des Feuers.»
Mit Pfeil und Bogen statt mit der Armbrust
Soldaten holen sich die Kühe der Bauern.
Wer die diesjährige Aufführung gesehen hat, darf getrost behaupten, dass der Spagat zwischen Alt und Neu, zwischen dem Schweizer Mythos und dem britischen Nationalhelden, gelungen ist. Die angesprochenen Themen sind nämlich dieselben: Robin Hood und Wilhelm Tell, zwei Legenden, kämpfen beide für Freiheit und Unabhängigkeit von bösen Mächten, der eine mit Pfeil und Bogen, der andere mit der Armbrust. Das Volk stellt sich in beiden Geschichten hinter die Helden, die Umverteilung von Reichtum gelingt und am Schluss siegt die Gerechtigkeit.
Die Besatzer bringen den Markt durcheinander.
Nachvollziehbar entwickelt sich die von Autor Klemens J. Brysch geschriebene «Story-Line»: König Löwenherz, der oberste Herrscher Englands, ist landesabwesend. Derweil treibt der Sheriff von Nottingham sein Unwesen, mordet, unterdrückt und saugt das gemeine Volk aus. Die Armen, die Bauern müssen Geld und Lebensmittel abgeben. Parallelen zum Tyrann Gessler, dem habsburgischen Statthalter, sind unverkennbar.
Widerstand gegen brutale Unterdrücker
Nach der Ermordung des vom Volk geliebten Grafen von Loxley versucht der Sheriff das Verbrechen dessen Sohn, Lord Loxley, in die Schuhe zu schieben. Doch ein Überläufer berichtet den Untertanen die Wahrheit und initiiert damit den Widerstand des Volks gegen die brutalen Unterdrücker. Genau wie in Schillers Tell.
Der Sheriff und sein Gefolge.
Nach der Pause tritt der Bogenschütze Lord Loxley auf den Plan und nennt sich fortan Robin Hood. Er sorgt für eine Umverteilung der Vermögens, von den adeligen Besetzern zum armen Volk. Zusammen mit seinen Kämpfern überfällt er einen Geldtransport des Sheriffs und streut Goldmünzen unter die Anwesenden.
Robin Hood und seine Getreuen verjagen die Schergen. Derweil läuft Wilhelm von Interlaken von den Bösen zu den Guten über, wird aber von Sheriffs Soldaten verhaftet und soll am Galgen enden. Doch die schlaue Klosterfrau befreit, als Priester verkleidet, den zum Tod Verurteilten mit einem Trick. Genau in diesem Moment taucht Robin Hood auf, jagt den Sheriff mit seinen Pfeilen und Schwertern fort. Zum Schluss kehrt König Löwenherz zurück und erklärt Robin Hood zum legitimen Nachfolger des ermordeten Grafen von Loxley. Und zwei Liebesgeschichten finden ein verdientes Happy-End.
Am Galgen und dann Rettung in letzter Minute.
Viel Witz und Humor
Die 2024 neu geschriebene Robin-Hood-Story nimmt immer wieder Bezug auf Schillers Drama und auf die Schweiz. «Bei uns regiert das Volk», sagt Wilhelm von Interlaken, ein Schweizer Reisläufer im Heer des bösen Sheriffs. Robin Hood und seine Getreuen treffen sich zum Frühstück bei einer Klosterfrau, die ironischerweise auch Bier braut, und beten auf witzige Weise vor dem Essen. «Gemeinsam sind wir stark», lautet der Schlachtruf. Die Szene erinnert an den Rütli-Schwur.
Robin Hood stellt sich dem Bösen. Das Volk steht hinter ihm.
Die abwechslungsreiche Inszenierung unter der Regie von Tiziana Sarro gefällt. Immer wieder tritt ein Bänkelsänger auf und singt in Versen über den Fortgang der Geschichte. Die Übergänge bringen einen Hauch von Musical in die Tell-Arena. Tolle Einfälle, zahlreiche Tiere, emanzipierte Frauen, witzige Dialoge und eine wunderbare Choreographie von Vanessa Cook steigern sich bis zum Schlussbild. Das Publikum verdankt die grossartigen Leistungen mit stehenden Ovationen.
Zu wenig Publikum
Nun würde man den Tellspielen sehr viel mehr Publikum wünschen. Schwer zu sagen, woran es liegt, dass vergangenen Donnerstag nicht einmal die Hälfte der Plätze besetzt waren. Vielleicht am Wetter. Am Enthusiasmus der Spielenden kann es nicht gelegen haben. Ob grosse Rolle oder kleine Rolle, die Laienschauspielerinnen und -schauspieler sind ebenso konzentriert wie begeistert dabei. Das Bühnenbild stimmt, immer wieder kommt Bewegung in der Arena. Spektakulär die Ritte der Reitenden den Hügel hinauf. Auch die Musik von Balz Aliesch überzeugt.
Robin Hood im Kampf mit einem Soldaten des Sheriffs.
Doch leider fehlt es in Interlaken nicht nur an Publikum. Auch der Traum von einer breit abgestützten Jungfrau-Arena hat sich im ersten Anlauf zerschlagen. So war unlängst ein Verein gegründet worden, der die Idee einer «Kulturarena Jungfrau» vorantreiben sollte. Das Projekt zielte darauf ab, dem Tellspiel-Verein bei Management, Instandhaltung und Auslastung der kostenintensiven Infrastruktur des Freilichtspiel-Geländes unter die Arme zu greifen. Erreicht werden sollte dies mit neuen Geldern von Stiftungen und Mäzenen, aber auch von den umliegenden Gemeinden und vom Kanton Bern.
«Gemeinsam sind wir stark», rufen die Frauen.
Gute Idee vorläufig gescheitert
Vor zwei Wochen nun haben der Tellspiel-Verein und die Projektleitung der «Kulturarena Jungfrau» in einer gemeinsamen Information mitgeteilt, dass das Vorhaben nicht flügge ist. Die Kulturarena finde «nach umfassenden Abklärungen nicht die notwendige finanzielle Unterstützung für eine Umsetzung auf 1. Januar 2025», heisst es in der Mitteilung.
Man kann nur hoffen, dass sich die Beteiligten mit neuen Kräften noch einmal zusammensetzen werden und die gute Idee in einem zweiten Anlauf doch noch gelingt. Damit in den kommenden Jahren das Feuer in Interlaken wieder geschürt und Schillers Wilhelm Tell in einer modernisierten Fassung vor vollem Haus gespielt werden kann.
Titelbild: Robin Hood sammelt seine Getreuen und ruft zum Widerstand auf. Alle Fotos Erich Häsler.
Aufführungen des Stücks Robin Hood sind noch bis Anfang September in Interlaken geplant.
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Ich habe schon mehrere Aufführungen von Wilhelm Tell besucht. Tell Interlaken enttäuschte. Viel Kostüm, Kulisse, Folklore, Wildwest, Requisiten. Nicht bewegend. Keine Spannung. Aussprache schlecht verständlich. Unwürdig.
Alpaufzüge erlebe ich lieber real.
Weit weg von Schiller. Meine Sitznachbarn aus Japan verliessen die Show. Meine Enkel genossen es nicht.
Zweifellos, die Darsteller waren mit Herz dabei. Aber das reicht nicht.