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Wie mit der AfD umgehen: Einbinden oder verbieten?

Es war am 2. Februar 1930 nach den Wahlen in Thüringen als ein Adolf Hitler frohlockte: «Den grössten Erfolg erzielten wir in Thüringen. Dort sind wir heute die ausschlaggebende Partei.» Und weiter: »Die Parteien in Thüringen, die bisher die Regierung bildeten, vermögen, ohne unsere Mitwirkung, keine Majorität aufzubringen.» Tatsächlich: Die rechtsbürgerliche-nationalsozialistische Thüringer Koalition wurde so 1930 die erste Landesregierung der Weimarer Republik mit einer Beteiligung der NSDAP. Und jetzt die bange Frage: Wiederholt sich Geschichte? Findet 2024 im deutschen Bundesland Thüringen eine Wiederauferstehung von Nazis statt: von Rechtsextremen mit Björn Höcke, der als Nazi bezeichnet werden kann, an ihrer Spitze, auf dem Weg zur Macht?

Eric Gujer (62), Chefredaktor der Neuen Zürcher Zeitung, findet den Erfolg der rechtsextremen Partei AfD bei den Landtags-Wahlen am 1. September 2024 nicht so abwegig und vor allem gar nicht so dramatisch. Im Gegenteil. Unter dem Titel «Ministerpräsident Höcke, na und?» schreibt er: «Die deutsche Demokratie hält auch einen zwielichtigen Wahlsieger wie die AfD aus». Und weiter: «Eine Demokratie, die es nicht aushält, wenn auch einmal zweifelhafte Gesellen die Regierung bilden, ist keine». Ich lese den Satz zweimal, bevor ich mich weiter in seinen Aufsatz vertiefe. «Nichts wäre entlarvender», meint Gujer, «als eine von Sahra Wagenknecht geduldete Minderheitsregierung der AfD in Thüringen.» Denn schnell würde sich Höckes Widerstandsgestus als Popanz erweisen. Oder fürchte sich die etablierte Politik davon, dass Höcke, der offiziell als Faschist bezeichnet werden darf, gar ganz passabel und vor allem populär regieren könnte, fragt Gujer? «Dann wäre nicht der Populist das Problem, sondern die etablierten Parteien und ihre Unfähigkeit, den Zeitgeist in attraktive Politik zu verwandeln.»

Zu einem anderen Schluss kommt der deutsche Politikwissenschaftler, Aktivist und Buchautor Arne Semsrott (36) in einem Gespräch mit dem Tagesanzeiger am gleichen Tag. In dem Gespräch befürwortet er gar ein Verbot der AfD, und den weltweiten Vormarsch der antidemokratischen Parteien beklagt er vehement. Deutschland müsste die Demokratie fördern, in dem ein Demokratiefördergesetz verabschiedet würde. Zweitens müsste endlich ein AfD-Verbotsverfahren – bei allen Schwierigkeiten, die damit verbunden wären – eingeleitet werden. Drittens wäre es essenziell, gute Sozialpolitik zu machen. Also Themen besetzen, bei denen die AfD Leerstellen hat: Gesundheitspolitik, Wohnungspolitik. Das würde auch andere Stimmungen erzeugen. Weil die Demokratie von innen und auch von aussen attackiert werde, brauche es aus seiner Sicht ein Verbot. Nicht zuletzt verliere die AfD mit einem Verbot auch ihren – ohnehin zu grossen – Raum in den Medien. «Ich plädiere dafür, dass Faschisten gar nicht mehr zu TV-Talks und dergleichen eingeladen werden.»

Die grosse Frage also: Einbinden der AfD, sie damit zähmen oder eben ihre Unfähigkeit entlarven, wie Gujer hofft, oder sie verbieten, ihnen die grosse Bühne entziehen, was Semsrott fordert?

Zweifellos: Die Wahlerfolge der AfD in Sachsen und vor allem in Thüringen wecken beklemmende Erinnerungen, auch wenn sich die Verhältnisse in der damaligen Weimarer Republik, wie eingangs beschrieben, mit der heutigen Situation nicht oder noch nicht vergleichen lassen. Dennoch: Vor wenigen Tagen ist an die Befreiung des Vernichtungslagers in Auschwitz vor 75 Jahren erinnert worden. An die grauenhaften Verbrechen der Nazis, wo Tausende, gar Millionen Juden, Linke, auch Sozialdemokraten, Fahrende, Fremde, nicht arische Frauen, Männer und Kinder von den Nazis vergast worden sind. Nie wieder. Wehret den Anfängen. Allein der Verdacht auf einen neuen Anfang muss unsere Aufmerksamkeit wecken, auch in der Schweiz. Mit dem Wort «Remigration» umschreibt die AfD ihre Ausländerpolitik unmissverständlich: Selbst «Eingebürgerte» will sie des Landes verweisen. Deutschland den Deutschen.

Deutsche Medien rücken die Schweizerische Volkspartei SVP politisch gerne in die Nähe der AfD. Weil der SVP aufgrund ihrer Stärke ein zweites Bundesrats-Mitglied zustand, wählte die Bundesversammlung 2003 den SVP-Leader Christoph Blocher in den Bundesrat, um ihn einzubinden, ihn einzuhegen. Dafür musste Ruth Metzler, die Vertreterin der CVP, über die Klinge springen. Weil sich Blocher nicht ganz ins Gefüge der Konkordanz einhegen liess, wählte ihn die Bundesversammlung 2007 einfach wieder ab. Sie ersetzte ihn durch Eveline Widmer-Schlumpf, die in der Folge eine neue Partei mitgründete, die aber nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundesrat nicht lange überlebte. Lässt sich das Einhegen der SVP mit dem Versuch, die AfD in den ostdeutschen Bundesländern einzuhegen, vergleichen? Mitnichten. Die SVP ist nicht die AfD. Selbst Marine Le Pen, eigentliche Chefin der rechtspopulistischen bis rechtsextremen Partei «Rassemblement National» in Frankreich, geht auf Distanz zur AfD; sie will sie nicht einmal in ihrer Fraktion im europäischen Parlament, weil sie zu rechts ist.

Die Schweiz hat zwar auch eine nicht ungetrübte Vergangenheit aufgrund ihres Verhaltens gegenüber jüdischen Flüchtlingen im zweiten Weltkrieg zu bewältigen, nicht aber das Ausmass einer Schuld, die Deutschland auf sich geladen hat. Die Ereignisse in Sachsen, und in Thüringen sind so nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Im Gegenteil. Allein auf die Stärke der deutschen Demokratie zu setzen, genügt nicht. Es braucht den Willen, gemeinsam «mehr Demokratie wagen» (Willy Brandt 28.10 1960), um gegen Rechtsradikale zu bestehen. Lösungen anstreben, den Kompromiss ins Auge nehmen, statt endlos zu streiten.

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3 Kommentare

  1. Das die SVP nicht eins-zu-eins mit der AfD verglichen werden kann, ist unbestritten. Was mir aber Anlass zur Sorge gibt, ist die Tatsache, dass sich Alt-Bundesrat Ueli Maurer mehrmals mit der AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel im Restaurant Meinrad auf dem Etzel zu Gesprächen getroffen hat (gemäss Aussage von Alice Weidel im Rundschau-Interview vom 15. Mai 2024). Offenbar findet hinter den Kulissen eine Zusammenarbeit statt. Zum Beispiel haben beide Parteien die gleiche Werbeagentur. Fazit: die SVP steht in Verbindung mit einer – zumindest teilweise – Nazi-Partei in Deutschland.

  2. Die Einbindung einer antidemokratischen politischen Partei wie die Deutsche AfD, in einen, nach sozialdemokratischen Werten regierten Staat, finde ich brandgefährlich. Unverständlich, warum diese Partei, die vom Deutschen Staatsschutz längst als nationalsozialistische Partei, die Hitlers unmenschliches Dogma zum Ziel hat, nicht schon lange verboten wurde. Wehret ihren Anfängen ist längst verpasst.

    Die aktuelle Lage in unserem Nachbarland kann durchaus verglichen werden mit den wirtschaftlichen und politischen Zuständen in der 1930iger Jahren, als Hitler die allgemeine Unsicherheit im Land ausnützte und die Menschen mit seinem überhöhten Nationalismus, Judenhass und Fremdenfeindlichkeit und mit zunehmender militärischer Gewalt in seine Richtung zwang. Adolf Hitler ist verantwortlich für den Beginn des zweiten Weltkrieges mit 60-80 Millionen Toten und unglaublichem menschlichen Elend. Das ist eine Hypothek, die über Generationen ihre Spuren hinterlässt und ein sehr verletzliches Volk zeigt, das mit seiner Schuld ringt und ich bei politischen TV-Debatten oft als hilflos empfinde.

    Auch die demokratische Staatsform hat ihre Toleranzschwelle und Grenzen, das erleben wir auch in der Schweiz. Wie lange wollen wir die Eingrenzung unserer direkten Demokratie durch konservative, vorwiegend vermögende und immer mehr Einfluss nehmende Anführer in Politik und der Wirtschafts- und Finanzbranche noch hinnehmen?
    Herr Blocher und seine SVP ist verantwortlich für die jahrelangen mühsamen Beziehungen zur EU, beginnend bei der von der SVP im Vorfeld medienmanipulierten Abstimmung zum Beitritt in den Europäischen Wirtschaftsraum EWR, der den Weg für einen Handel auf Augenhöhe und ohne langjährige und mühsame Länderabkommen, von denen die SVP-Mitglieder zwar profitiert, jedoch nichts dazu beigetragen haben. Zudem ist die SVP verantwortlich für die bewusste Behinderung der notwendigen Entwicklung unseres Landes hin zu einem solidarischen Miteinander auf unserem Heimatkontinent, von dem bei einem kriegerischen Angriff auch unsere eigene Sicherheit abhängen wird.

  3. Da haben wir doch Glück wurde die SVP nicht verboten denn dann wären wir schon lange in der EU .das wär das letzte das uns noch fehlt.ich versteh nicht dass es immer noch welche giebt die das wollen.die deutschen wollen diese Regierung nicht mehr.ganz einfach.sie hören den Bürgern nicht zu was sie wollen .kann man so viele ignorieren ? Ist das Demokratie? Wo alle mitreden können?

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