Landschaften mit Zypressen und ausladenden Pinien, traumhaften Palazzi und Kunst locken Reisende bis heute. Meinen Wunsch, einmal die Toskana und Umbrien zu besuchen, habe ich mir mit einer Gruppenreise erfüllt: Ausflüge von Perugia und Lucca aus, bei angenehmen Septembertemperaturen.
Reisen im Car ermöglicht ein relativ langsames Ankommen in einer neuen Umgebung. Die Po-Ebene mit den weiten Reisfeldern kannte ich bereits. Die hügelige Landschaft der Toskana mit Pinien, Säulenzypressen, Steineichen, Olivenbäumen und Weinreben entsprach ganz meinen romantischen Vorstellungen. Am meisten erstaunten mich jedoch die ausgedehnten Wälder. Sie überziehen Hügel und Berge auch in Umbrien, dazwischen einzelne Häuser und Dörfer. Ein Paradies für Bären und Wölfe. In solchen Naturreservaten lässt sich auch gut wandern.
Im Car unterwegs, vorbei an bewaldeten Hügeln und Bergzügen in der Toskana und in Umbrien.
Das Ziel waren kulturelle Hotspots: Der Besuch von Städten in Umbrien und in der Toskana, begleitet von spannend und fachkundig erläuterten Stadtführungen. Überall waren noch Touristen unterwegs, die wie ich, diese Sehnsuchtsorte sehen wollten. Von einzelnen Destinationen, die mich besonders ansprachen, berichte ich hier im Wissen, dass der Besuch viel zu kurz war.
Perugia, Rolltreppen und Schokolade
Perugia, Hauptstadt der Region Umbrien, war unser erstes Ziel. Die Stadt ist rund um einen 500 Meter hohen Hügel gebaut. In fünf Quartieren wie eine Hand mit fünf Fingern, meinte die Stadtführerin. Um die steilen Wege von der Neustadt in der Ebene nach oben zu erleichtern, liess die Stadt verschiedene Rolltreppen im historischen Gemäuer einbauen. Eine praktische Einrichtung, die meisten funktionierten.
Durchgang im historischen Gemäuer von einer Rolltreppe zur anderen.
Zuoberst auf dem Hügel befindet sich das Zentrum, die Altstadt mit dem Palazzo dei Priori, das gotische Rathaus, mit seinen spitzbogigen Fenstern von 1293, wo heute Kunst ausgestellt wird, derzeit Gustav Klimt. Gegenüber steht die Kathedrale San Lorenzo, an der vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert gebaut wurde. Und mittendrin die Fontana Maggiore, ein grosser 25-eckiger Marmorbrunnen, der 1278 kunstvoll mit Relieftafeln und Säulen vom Steinmetz Niccolò Pisano und seinem Sohn verziert wurde.
Links: Der Palazzo dei Priori mit den Wahrzeichen der Stadt, Greif und Löwe, als Bronzeskulpturen über dem Eingang. Rechts: Die Fontana Maggiore, zwischen Rathaus und Kathedrale San Lorenzo.
Perugia ist eine lebendige Universitätsstadt, viele junge Leute sind unterwegs. Galerien, Ateliers und Läden mit Kunsthandwerk prägen das Stadtbild. Der grosse Brunnen ist der traditionelle Treffpunkt der Einheimischen. Die Pasticceria Sandri gegenüber dem Rathaus wurde 1840 vom Zuckerbäcker Schucany aus dem Unterengadin gegründet und bietet noch heute mit Marzipanrosen verzierte Torten an. Zudem sind die Schokoladen, die Baci der Firma Perugina (heute Nestlé), weltweit bekannt.
Bei «Sandri», in der alten Schweizer Konditorei mit Café und Bar bezaubern die von Hand hergestellten Torten und Schnitten.
Assisi, aus arm wird reich
Das Städtchen Assisi liegt am Hang des Monte Subasio. In den engen Gassen Souvenirläden, Cafés und Touristen. 1206 hat sich Franz von Assisi (1181/2-1226) am Rand der kleinen Stadt niedergelassen. Er entstammte einer wohlhabenden Tuchhändlerfamilie und führte als junger Mann ein ausschweifendes Leben. Krank und durch Kriegserfahrungen gezeichnet, soll ihm im Traum Gott erschienen sein und ihn aufgefordert haben, «seine Kirche, die einstürzt, wieder aufzubauen». Er gab seinen ganzen Besitz dem Vater zurück und führte fortan ein Leben in grösster Armut, verfasste Texte, auch den berühmten Sonnengesang sowie seine Ordensregeln.
Basilica San Francesco. Statt einer bescheidenen Kirche nach der Lebensweise des Heiligen wurde ihm kurz nach dem Tod eine monumentale zweigeschossige Basilika erbaut.
Zwei Jahre nach seinem Tod wurde Franziskus heiliggesprochen und ihm zu Ehren mit dem Bau der monumentalen doppelstöckigen Kirche begonnen. In der reich bemalten romanischen Unterkirche befindet sich seine Grabkammer. Von Anbeginn an bis heute strömen Besucher hierher, Pilger und Massen von Touristen.
Romanische Unterkirche, die Grabkammer des Heiligen Franziskus von 1230.
Für die gotische Oberkirche malte Giotto di Bondone (1266-1337) ab 1296 bis zu seinem Lebensende einen Freskenzyklus. Erstmals in der Malerei mit zentralperspektivischen Ansichten. Auf den vierzehn bunt bemalten Fresken lassen sich Szenen aus dem Leben des Heiligen wie in einem Bilderbuch ablesen. Nach dem Erdbeben vom 26. September 1997 mussten durch den Einsturz des Gewölbes einzelne Fresken aufwändig restauriert werden.
Giotto di Bondone, Aus dem Leben des Heiligen: Franziskus gibt seinem Vater Kleider und alle irdischen Güter zurück. Bemerkenswert ist die perspektivische Darstellungsweise, die Giotto erstmals einsetzte. Foto: Wikimedia Commons
Pisa, Platz der Wunder
Pisa gehörte im Mittelalter neben Venedig, Genua und Amalfi zu den ersten Seefahrerrepubliken Italiens. Nachdem die Pisaner 1011 den Angriff der Sarazenen auf ihre Stadt erfolgreich zurückschlagen konnten, wurden sie zur Seemacht. 1063 siegte ihre Flotte bei Palermo über die das Mittelmeer herrschenden Sarazenen und machten reiche Beute. Auch der Handel im ganzen Mittelmeerraum war einträglich und brachte orientalische Einflüsse mit sich. Pisa wurde im 11. Jahrhundert die mächtigste Stadt der Toskana.
Pisa, Campo dei Miracoli mit Baptisterium, Dom, Glockenturm und Camposanto. Die ausserordentliche Akustik im Baptisterium wird bis heute geschätzt.
Den Sieg über die «Ungläubigen» erachteten die Pisaner als ein Zeichen des Himmels. Sie begannen 1063 mit dem Bau der Kathedrale, aus strahlend weissem Carrara-Marmor. 1152 folgte das Baptisterium, die weltweit grösste Taufkirche, zumal man ohne Taufe nicht zur christlichen Gemeinschaft gehörte. Der Friedhof, der Camposanto, entstand zwischen 1278-1358. Angeblich wurde dafür extra Erde aus dem Heiligen Land hergebracht. 1372 folgte der 56 Meter hohe Glockenturm. Doch das Schwemmland am Westtor der Stadt war nicht besonders belastbar. Kurz nach Baubeginn sackte der Turm ein. Die Baumeister versuchten dagegenzuhalten, doch der Turm blieb schief, und wurde so zum Wahrzeichen Pisas.
Pisa, der Dom Santa Maria Assunta wurde aus dem erbeuteten Schatz der Sarazenen erbaut und zeigt orientalische Einflüsse, etwa das Mosaik mit dem thronenden Christus in der Apsis oder die schwarz-weissen Arkaden, die an eine Moschee erinnern.
Der ganze Gebäudekomplex am Rande der Universitätsstadt, der Campo dei Miracoli, wurde zur Machtdemonstration Pisas. Obwohl die Bauzeit sich über 200 Jahre hinzog, wirken die Bauwerke durch die einheitliche Fassadengestaltung in sich geschlossen und aufeinander abgestimmt, auch dank dem gleichbleibenden Baumaterial, dem weissen Carrara-Marmor. Der Dom von Pisa wurde für andere Kathedralen der Renaissance etwa in Florenz oder Siena zum Vorbild.
Pisa, Ausschnitt aus dem Freskenzyklus «Triumph des Todes» von Buonamico Buffalmacco im Camposanto. Auf den langen Wänden sind Fresken mit mittelalterlichen Bildergeschichten dargestellt, besonders dramatisch die Hölle mit dem Teufel.
Lucca, die Wehrhafte
Lucca, nur zwanzig Kilometer von Pisa entfernt, hatte allen Grund sich nach aussen abzusichern. Rund um den Stadtkern führt eine 4’200 Meter lange Mauer mit ursprünglich drei Toren. Heute sind es sechs, der äussere Graben ist aufgeschüttet. Die Festungswälle sind stellenweise mehr als zehn Meter hoch, darüber eine mit Bäumen bepflanzte breite Promenade, die zum Spazieren einlädt. Der Bau der Mauer dauerte 100 Jahre, 1650 war sie fertig. Die Bäume darüber sollten bei Belagerungen als Holzreserve dienen. Auch wenn es keine Angriffe mehr gab, schützt die Mauer bis heute vor Überschwemmungen.
Lucca, die Stadtmauer von aussen bei der Porta Sant’Anna.
Lucca wurde auf einer Flussinsel am Serchio vermutlich von den Ligurern gegründet, in deren Sprache heisst «luk» sumpfiger Ort. Durch die Römer wurde die Stadt zum bedeutenden Handelszentrum, angelegt mit einem bis heute bestehenden quadratischen Strassennetz. Als freie Stadt war Lucca im Mittelalter berühmt für ihre Seidenstoffe, verarbeitete aber auch Wolle. Die Textilien erreichten sogar englische und französische Märkte.
Lucca, die Piazza dell’ Anfiteatro wurde im Mittelalter auf dem Grundriss des römischen Amphitheaters errichtet.
Lucca ist eine überschaubare Stadt mit einem ovalen Hauptplatz über dem alten römischen Amphitheater. Umringt von Häusern, kleinen Läden und Strassencafés strahlt der Platz eine gemütliche Atmosphäre aus. Die Häuser wirken von aussen bescheiden, sollen aber im Inneren elegant ausgestattete Wohnungen haben. Das sei typisch für die Mentalität hier, meinte unsere Stadtführerin.
Malerei der Schulkinder zu Puccinis Oper «La Fanciulla del West» (Das Mädchen aus dem goldenen Westen).
Eine berühmte Persönlichkeit aus Lucca ist der Komponist Giacomo Puccini (1858-1924). Sein Geburtshaus ist heute ein Museum. Davor ehrt ihn eine Bronzestatue, sitzend mit der Zigarette in der Hand. Ebenso Bilder der Schulkinder mit Sujets aus seinen Opern, die sie auf geschlossene Rollos malen durften und die in der ganzen Stadt auftauchen.
Titelbild: Aussicht von Assisi aus. Fotos: rv