StartseiteMagazinGesellschaftWie in Maria Alm das Kriegsende geplant wurde

Wie in Maria Alm das Kriegsende geplant wurde

Anfang Mai 1945 wurde im österreichischen Wallfahrtsort Maria Alm die Kapitulation Deutschlands und damit das Ende des Zweiten Weltkriegs  in Europa eingeleitet. Anhand historischer Fotos, einem Offizierssäbel, alten Presseartikeln sowie zwei geheimnisvoller Prophezeiungen wird hier der Versuch unternommen, das denkwürdige Ereignis zu rekonstruieren. 

Am kommenden 8. Mai jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum achtzigsten Mal. Den Geschichtsbüchern zufolge unterzeichnete der deutsche Generaloberst Albert Jodl am 7. Mai 1945 im Hauptquartier der Alliierten in Reims die Kapitulation Deutschlands. Dokumentiert ist auch, dass die Unterschriftenzeremonie in der Nacht auf den 9. Mai 1945 im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst wiederholt werden musste, da in Reims kein sowjetischer Militärvertreter anwesend war.

Postkarte des Dorfs Maria Alm, in den fünfziger Jahren.

Weitgehend vergessen ging hingegen, wie es zur Kapitulation kam. Nach dem Zusammenbruch der Südfront, im März 1945, hatte der deutsche Generalfeldmarschall Albert Kesselring, Oberbefehlshaber «Süd», sein Hauptquartier ins österreichische Gebirgsdorf Maria Alm verlegt. Das abgelegene Tal im Salzburgerland galt für die Wehrmacht als idealer Rückzugsort, um sich den vorrückenden Alliierten zu entziehen. Zudem bot das Dorf relative Sicherheit sowie eine ideale Lage für die Koordination der noch geplanten Militäroperationen.

Hauptquartier im Gasthof «Moserwirt»

In Maria Alm bezogen Kesselring und sein Stab Quartier im 300jährigen Gasthof «Moserwirt». Schriftliche Quellen, Fotos sowie Augenzeugenberichte belegen, dass im kleinen Gebirgsdorf zwischen Hochkönig und dem Steinernen Meer das Kriegsende, der Frieden in Europa und die Gründung Österreichs eingeleitet wurden. Auf der Hausbank des Gasthofs soll Kesselring mit seinen Offizieren die Modalitäten für die deutsche Kapitulation vorbesprochen haben. Für zeitlichen Druck sorgten die US-Streitkräfte, die am 4. Mai 1945 nach Salzburg vorrückten und eine bedingungslose Aufgabe forderten.

Historisches Foto des Gasthaus «Moserwirt»: Auf der Bank rechts vom Eingang besprachen Anfang Mai 1945 Offiziere der Wehrmacht die Modalitäten der bevorstehenden deutschen Kapitulation.

Die militärische Lage schien dem Chef der sogenannten «Alpenfestung» aussichtslos. Deshalb funkte Kesselring die mit seinem Stab erarbeiteten Kapitulationsvorschläge an Generaloberst Jodl nach Berlin. Dieser reiste unverzüglich ins Pinzgau und besprach die Modalitäten mit den deutschen Offizieren. Daraufhin kontaktierte Kesselring General Eisenhower, der Verhandlungen auf höchster Ebene, zwischen der deutschen Heeresleitung und Vertretern der Alliierten, veranlasste. Die in Reims unterzeichnete Kapitulation trat am 8. Mai um 23:01 Uhr in Kraft. Eine Bombardierung Maria Alms durch US-Flieger konnte im letzten Moment gerade noch abgewendet werden.

Dank Kesselrings Initiative war der zweite Weltkrieg in Europa am 9. Mai zu Ende. Am 11. Mai zogen die deutschen Einheiten aus Maria Alm ab und gingen grösstenteils in Kriegsgefangenschaft. Am 16. Mai wurden der Generalfeldmarschall und sein Stab von US-Truppen beim «Moserwirt» abgeholt und nach Berchtesgaden gebracht. Als Dank für die Gastfreundschaft schenkte Kesselring dem damaligen Moser-Wirt, Johann Niederreiter, seinen Offizierssäbel.


Der Säbel von Generalfeldmarschall Kesselring (Privatbesitz).

200jährige Prophezeiungen

Interessant ist, dass den historischen Geschehnisse im Gebirgsdorf Maria Alm zwei alte Prophezeiung vorausgingen: Vikar Martin Weissbacher, der von 1734 bis 1742 in Maria Alm tätig war, hatte vorhergesagt: «Wenn vier hohe Militärs auf der Moserbank sitzen, ist ein grosser Krieg zu Ende». In einer zweiten Prophezeiung hiess es: «Wer in Alm ist, soll in Alm bleiben, wer nicht in Alm ist, soll nach Alm eilen, denn sobald der schwarze Stier durchs Tirol herabbrüllt und auf der Moserbank hohe Herren sitzen, geht eine furchtbare Zeit zu Ende.» Nach der Kapitulation erinnerten sich viele Dorfbewohner an die in einer Chronik verbrieften Prophezeiungen und interpretierten diese als «mystische Zeichen» für das Kriegsende.

Dokumente und Fotos in den Keller verbannt

Die genauen Umstände der Kapitulation sind heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Immerhin: Der Enkel des damaligen «Moserwirts», Reinhard Niederreiter, heute selbst als Wirt im Moserhotel tätig, hat die Kapitulation im Mai 1945 zwar nicht selbst erlebt, berichtet uns aber von Erzählungen seiner Vorfahren. So seien seine Vorfahren durch die deutschen Offiziere vorübergehend aus dem Wirtshaus ausquartiert worden. Sein Vater habe als Kind im Stall schlafen müssen. Wenigstens tagsüber sei es seinen Grosseltern erlaubt worden, ins Gasthaus zurückzukehren.

Das renovierte Gasthaus «Moser» heute.

Nach der Kapitulation sei die Freude im Dorf gross gewesen, berichtet Reinhard Niederreiter weiter: Seine Grossmutter sei mit einer weissen Fahne durch Maria Alm gefahren. Bis zur Renovation der Gaststätte erinnerte eine neben dem Eingang an der Hausfassade angebrachte Gedenkvitrine mit Schwarz-Weiss-Fotos und alten Zeitungsartikeln an die Geschehnisse im Jahr 1945.

Heute sind die historischen Dokumente im Keller, gegenüber den Toiletten, hinter Glas zu sehen. Kesselrings Säbel befindet sich dagegen in Privatbesitz. Er wird von der Hoteliers-Familie Niederreiter (Verwandte von Reinhard Niederreiter) in den Privaträumen des  «Hotels Niederreiter», direkt gegenüber der Liegenschaft «Moserwirt», aufbewahrt.

Maria Alm gehört auf die Weltkarte

Damit bleiben achtzig Jahre nach Kriegsende wichtige Zeitzeugnisse von Kessselrings Kapitulationsinitiative dem öffentlichen Blick entzogen. Die Ereignisse vom Mai 1945 gerieten selbst im Dorf in Vergessenheit. Eigentlich schade, dass die Dokumente und Fotos nicht zusammen mit dem schönen Offiziierssäbel präsentiert werden.

Es wäre wünschenswert, wenn die Zeitzeugnisse in einer öffentlich zugängliche Ausstellung an prominenter Stelle gezeigt würden, beispielsweise in einer Vitrine des Gemeindeamts oder beim «Moserwirt». Auf diese Weise könnte die Erinnerung an ein äusserst denkwürdiges Ereignis in der europäischen Geschichte wach gehalten werden.

Eine kleine Ausstellung würde das Gebirgsdorf Maria Alm auch medial als Ort des Friedens und als Mahnmal gegen den Krieg auf die Weltkarte hieven, was dem Tourismus sicherlich nicht abträglich wäre. Der Säbel könnte in Privateigentum  bleiben. Und die Installierung einer Ausstellungsvitrine liesse sich für  die nächsten zwanzig Jahre, bis zum 100. Jahrestag der Kapitulation, vertraglich regeln und vereinbaren.

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Kesselrings militärische Karriere

Generalfeldmarschall Albert Kesselring (Foto) spielte im Zweiten Weltkrieg eine zentrale Rolle als hochrangiger deutscher Offizier. Zu Beginn des Krieges kommandierte er die Luftflotte 1, die beim Überfall auf Polen 1939 Luftunterstützung leistete. Später führte er die Luftflotte 2 im Westfeldzug sowie in der Luftschlacht um England, wo er Angriffe auf London koordinierte. Ab 1941 war er als Kommandant an der Ostfront beteiligt und unterstützte die Heeresgruppe Mitte bei der Invasion der damaligen Sowjetunion.

Ende 1943 übernahm er als Oberbefehlshaber «Süd» die Leitung deutscher Truppen im Mittelmeerraum, einschliesslich des Afrikafeldzugs. Ab 1944 organisierte er den Rückzug der Wehrmacht aus Italien und führte Abwehrkämpfe gegen die Alliierten. Später wurde er Chef der «Alpenfestung» der Wehrmacht, die diesen Namen allerdings nie verdiente: Im Gegensatz zum Schweizer «Reduit» gab es in den österreichischen Alpen keine entsprechenden Einrichtungen (Bunker) für einen Rückzug grosser Truppen- oder Bevölkerungsteile.

Wertschätzung für seine Initiative zur Beendigung des Krieges wurde Kesselring nie zuteil. Ende 1947 verurteilte ihn ein britisches Militärgericht in Italien wegen Kriegsverbrechen zum Tode. Immerhin: Die Todesstrafe wurde in eine lebenslängliche Haftstrafe umgewandelt. Und in den fünfziger Jahren wurde Kesselring sogar begnadigt. Er starb am 16. Juli 1960 in Bad Nauheim.

Titelfoto: Am 11. Mai 1945 verliessen die in Maria Alm stationierten deutschen Truppenteile das Gebirgsdorf und gingen in Kriegsgefangenschaft. Fotos © PS / ZVG / Wikipedia.

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Dokument/Zeitungsartikel

«Alpenfestung kapitulierte in Alm – Die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs im Oberpinzgau». Quelle: Salzburger Nachrichten, Länderbeilage, 8. Mai 1965, Autor: Leopold Radauer. 1965_05_08 SalzburgerNachrichten_Kesselring

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