Bilderbücher von Bernadette sind seit Generationen ein fester Wert bei Kindern. Nun ist ein Sammelband erschienen – für Gross und Klein ein Wiedersehen mit ihren Lieblingsmärchen.
Ist das ein Gruselkabinett, das alte Schloss der Zauberin, die Mädchen in Singvögel und Jungen in Steinsäulen verwandelt! «Jorinde und Joringel» der Gebrüder Grimm ist eines der bösesten Kapitel im Bernadette-Sammelband, der diesen Herbst im NordSüd Verlag erschienen ist. Denn in der Regel sind Bernadettes Illustrationen versponnen, romantisch, oft impressionistisch. Keine Bilder, bei denen Kinder rasch weiterblättern, weil sie Angst bekommen.
Wohliges Gruseln
Das Zauberschloss der Mädchenverzauberin macht da eine Ausnahme. Und lehrt den Kindern das wohlige Schaudern, wie es die Grossen von einem Krimi oder einem Gruselfilm her kennen. Und wie diese müssen sie doch immer wieder schnell hinschauen – nur um dann rasch weiterzublättern.
Wobei die Illustrationen von Bernadette Watts, wie die Engländerin mit vollem Namen heisst, ganz allgemein nicht immer nur nett und harmlos sind. Da ist die Schneekönigin in ihrer kalten Pracht, der kleine Giftzwerg Rumpelstilzchen, die böse Hexe in «Hänsel und Gretel». Bernadette illustriert vor allem Märchen der Gebrüder Grimm und von Hans Christian Andersen. Und das seit 1968, mit wachsendem, weltweitem Erfolg.
Rechte übertragen
Bei der Präsentation ihres Sammelbandes Ende Oktober in Zürich hat die Künstlerin dem NordSüd Verlag die Rechte an über 60 Bilderbüchern übertragen. Dieses einmalige Oeuvre wird nun vom Verlag weltweit vertreten und verwaltet. Damit wird eine 50 Jahre lange Zusammenarbeit auf eine neue Basis gestellt.
Im vorliegenden Sammelband sind alte und neuere Bilderbücher zusammengefasst, einige, wie eben «Jorinde und Joringel» lagen bis jetzt im Archiv des Verlags und werden nun erstmals aufgelegt. Nebst den deutschen Volksmächen sind auch Fabeln von Aesop zu finden und Geschichten aus Bernadettes Feder. Zum Beispiel «Ein Elefant mit Haaren», dem sie eine faszinierende afrikanische Landschaft gezeichnet hat.
Kindheit im Krieg
Das Buch beginnt mit «Rotkäppchen», der Geschichte, für die Bernadette als junge Illustratorin an der Frankfurter Buchmesse einen Verlag suchte – und den NordSüd Verlag fand, der die fast mittellose Künstlerin unter Vertrag nahm. Denn so heil Bernadettes Welt in ihren Büchern erscheint, war sie im realen Leben nicht. Aufgewachsen in den Kriegsjahren, der Vater in einem deutschen Kriegsgefangenenlager festgesetzt, lernte sie als Kind eher die dunklen Seiten des Lebens kennen. Als Sechsjährige soll sie im Kino Walt Disneys «Pinocchio» gesehen und sofort gewusst haben, dass sie auch Zeichnerin werden wollte, was sie mit einem Kunststudium in Kent denn auch realisierte.
Mit dem grossen Märchenbuch wird eine Künstlerin gewürdigt, die es versteht, jeder Geschichte den ihr eigenen Rahmen zu schaffen, die den Geschichten Raum lässt, zum Träumen und Geniessen. Und sicher stecken auch grössere Kinder und Erwachsene ab und zu die Nase in das Buch, erinnern sich ihre Kindheit, als sie sich schon von den Bilderbüchern Bernadettes verzaubern liessen.
Bernadette – Märchen und Erzählungen. Sammelband mit 320 Seiten, farbig illustriert. Erschienen im Nord Süd Verlag.