Es gibt ein Kommunikationsmittel, das weit über die westliche Welt hinaus seit Jahrunderten fast jeden erreicht: die Kirchenglocken. In Aarau ist ihnen eine Ausstellung gewidmet.
Sie verbreiteten lange vor Telefon, iPhone und Internet flächendeckend über Stadt und Land die für die Menschen relevanten Informationen über Tages- und Nachtzeiten, Geburt und Tod, Gefahren und Feste, Krieg und Frieden: Die Glockenklänge, die seit altersher von der Bevölkerung nicht nur gehört, sondern auch verstanden werden.
Glockenklänge gliedern den Tag
Denn Glocken strukturieren nicht nur den Tag – und die Nacht, was mancherorts in neuerer Zeit für böses Blut sorgt – sie rufen auch zum gemeinsamen Gottesdienst, läuten einen Festtag ein, rufen zur Taufe eines Kindes, zu einer Hochzeit, begleiten Verstorbene auf ihrem letzten Weg. In vielen Gemeinden künden sie den Beginn des Arbeitstages – auch hier für viele zu früh und zu laut – , mahnen zur Mittagsruhe und die «Betzeitglocke» läutet den Feierabend ein.
Glocke im Versuchslabor Pro Bell in Kempten, Deutschland. (Forum Schlossplatz)
Auch die Totenglocke gibt es noch in etlichen Gemeinden, dumpfe, hellere oder ganz helle langsame Schläge, die den Tod eines Mannes, einer Frau oder eines Kindes verkünden. Und alle kurz innehalten lassen: Da ist einer gegangen, aus der Mitte einer Dorfgemeinschaft heraus.
650 Jahre Handwerk
Im Forum Schlossplatz wurde vor kurzem mit «Bim bam wumm» eine Ausstellung zur Geschichte der Glocken und mit Glockengeschichten eröffnet. Die beiden Kuratorinnen Sibylle Ehrismann und Verena Naegele von Artes-Projekte haben den ersten Ausstellungsort dieser als Wanderausstellung konzipierten Schau nicht von ungefähr gewählt: In Aarau ist die einzige Glockengiesserei der Schweiz domiziliert, die noch Kirchenglocken herstellt. Seit 1367, also seit fast 650 Jahren werden in der Firma H.Rüetschi AG Kirchenglocken gegossen.
Die Kuratorinnen der Ausstellung, Sibylle Ehrismann und Verena Naegele vom Büro Artes. (Bild Daniel Reichlin)
Wobei die Geschichte der Glocken viel weiter zurückreicht, bis nach China und bis fast 2000 Jahre vor unsere Zeitrechnung. Die ersten Glocken wurden aber nicht aufgehängt, sondern umgekehrt montiert und dann angeschlagen. Nach Europa und in die als Glockenstühle bezeichneten Kirchtürme kamen die Glocken im Mittelalter.
«Barbara» läutet seit 650 Jahren
In der Ausstellung zu sehen ist eine Replik der ältesten Glocke auf dem westlichen Kontinent. Sie stammt aus Irland, aus dem 7. Jahrhundert und hängt in der Sakristei der Kathedrale St. Gallen.
Die Geschichte des Aargauer Traditionsunternehmens begann mit dem Guss der Barbaraglocke 1367 für die Freiburger Kathedrale. Auch die 1405 für den Berner Zytglogge-Turm gegossenen Glocken stammen aus dieser Werkstatt. Und alle sind, dank sorgfältiger Restaurationen durch die Herstellerfirma, auch heute noch zu hören.
Glockengiessen ist ein Handwerk, das sich durch die Jahrhunderte nur wenig verändert hat. Wie von alters her sind Lehm, Feuer und Bronze die zentralen Elemente, aus denen eine Glocke geformt, gebrannt und schliesslich gegossen wird. In der Ausstellung wird mittels Bildtafeln und Fotografien (von Werner Rolli) das Entstehen einer Glocke dokumentiert, ein Vorgang, der sich seit Jahrhunderten kaum verändert hat.
Präzisionsarbeit
Dabei ist dieses uralte Handwerk, so archaisch es anmutetet, eine Präzisionsarbeit, ja, man ist versucht von einer Kunst zu sprechen, die von Meisterhand ausgeführt werden muss. «Fest gemauert in der Erden steht die Form, aus Lehm gebrannt» beginnt Friedrich Schillers Lied von der Glocke.»Mit heute muss die Glocke werden», umschreibt er den Prozess, der beginnt, wenn die flüssige Bronze in die Hohlform gegossen wird.
Denn die Glocke. die nach dem Erkalten aus dem Lehmmantel geschält wird, muss perfekt sein, verzeiht keine Fehler. Zwar wird sie noch gestimmt – aber im Grundton und den mitschwingenden Harmonien kommt sie fertig aus der Form. Die Feinabstimmung mittels Metallfeile wird heute computerunterstützt vorgenommen.
In der Ausstellung können die Besucher mit dem Klöppel eine Glocke anschlagen und am Bildschirm verfolgen, wie sich nebst dem Nennton die weiteren Harmonien aufbauen, bis die Glocke rein und voll tönt. Eine Glocke, die nicht ins Schwingen kommt, die «scherbelt», wäre wertlos und müsste eingeschmolzen werden.
Revisionsarbeiten
Glocken, die in die Jahre gekommen sind, und deren Ton deshalb nicht mehr rund und voll ist, werden in den Glockengiessereien revidiert – die Barbaraglocke ist ein schönes Beispiel dafür, sie wurde jüngst in der Glockengiesserei Aarau umfassend revidiert.
Das älteste mechanische Uhrwerk Europas, das noch in Betrieb ist, gehört zur reformierten Kirche Unterkulm. (Forum Schlossplatz)
In der Ausstellung sind nicht nur Geläute aus der ganzen Schweiz zu hören (aufgenommen und kommentiert von Matthias Walter), es wird auch auf die Lärmklagen eingegangen, die in jüngster Zeit da und dort für Schlagzeilen sorgten.
Ein heutiger Geschäftszweig der Glockengiesserei Rüetschi in Aarau ist denn die Steuerungstechnik der Geläute, verbunden mit Massnahmen, die den vollen Klang der Glocken erhalten, aber doch einem gewissen Schallschutz dienen. Und schliesslich kann in einem «Klanglabor» dem vollen Glockenklang nachgespürt werden.
Die Ausstellung «Bim bam wumm. Glockengeschichte(n)» ist im Forum Schlossplatz in Aarau noch bis zum 24. Januar zu sehen. Anschliessend geht die Ausstellung auf Schweizer Tournée nach Basel, Bern, Bubikon im Zürcher Oberland und Neuenburg.