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Singen aus dem Wirtschaftsteil

Einführung in ein etwas anderes Chorprojekt: Finanzrequiem — Gesänge aus der Unruhe des Chors Kultur&Volk

Es ist so weit: Die Hälfte allen Vermögens weltweit ist in Händen von einem Prozent der Menschheit, 99 Prozent teilt sich in den Rest. «Die soziale Ungleichheit wächst schockierend schnell», heißt es in dem aktuellen Bericht der britischen Aktivistengruppe Oxfam zur Vermögensverteilung auf der Welt. Seit der sogenannten Finanzkrise ist die Veränderung Richtung grosse Vermögen jährlich um einen bis zwei Prozentpunkte gestiegen.

 

«Big Money» bei den Demonstrationen Occupy Paradeplatz. Foto: Roland ZH Wikicommons

Mit der Globalisierung werden riesige Geldmengen weltweit verschoben, dort gelagert, wo es am wenigsten kostet, wo wenn möglich keine Steuern gezahlt werden müssen, oder auch dort investiert, wo der höchste Profit winkt. Der Kauf von Schweizer Eishockeyclubs durch Investoren aus Kanada ist nur ein Symptom. Hierzulande begründen die Unternehmer und ihre Manager zurzeit die Verlagerung von Produktionsstandorten mit dem Wechselkurs. Wenn die Produktion in ein Billigland verlagert wird, verlieren Tausende mit bislang sozialen Arbeitsbedingungen ihren Job.

Neben den hohen Profiten der Unternehmen und ihrer Besitzer kommen auch wir ganz gut weg. Für nominell viel weniger Geld als im letzten Jahrhundert können wir beispielsweise Kleider kaufen. Auf die Schnäppchen verzichten und teure Marken kaufen, hilft nur partiell, die billigen Produkte werden oft in den gleichen Fabriken hergestellt wie die teuren Markenartikel.

 

Am 12. Mai 2013 stürzte das Fabrikgebäude Rana Plaza zusammen und wurde zum Grab. Foto: rijanx Wikicommons

Um die hohen Profite noch zu steigern, muss auch die Steuersparmaschine in Funktion treten: Steuerbare Gewinne fallen in globalisierten Konzernen durch raffinierte Firmenkonstrukte immer dort an, wo die Steuern niedrig sind. Oder präziser: wo rentabel produziert wird, aber die Steuern hoch wären, zahlt die Tochterfirma für Dienstleistungen einer anderen Konzerngesellschaft in einem Offshore-Land hohe, willkürlich festgelegte Gebühren. Damit schwimmt der Gewinn dorthin, der Produktionsstandort muss wenig oder gar keine Gewinnsteuer zahlen, die Aktionäre werden mit steuerfreuen Dividenden aus Reserven beglückt. Machtlos sehen Staaten zu, wie ihnen Milliarden an Franken, Euro, Dollars etc. ganz oder fast ganz legal vorenthalten werden. Nach wie vor steht die Schweiz auf Platz eins der Steuerflucht-Oasen, denn die Weissgeldstrategie gilt nur für die Länder der ersten Welt.

 

Finanzrequiem – der Flyer

So ungefähr lässt sich der Denkraum umreissen in dem der Chor Kultur&Volk sein Projekt zu Finanzwelt und Globalisierung entwickelt hat. Keine einfache Materie, und eher bedrohlich, wenn man sich die durchökonomisierte Zukunft vorstellt. Aber man kann die komplexe Ökonomie statt ausblenden auch durcharbeiten, bis man’s versteht. So was hat der „etwas andere Chor“ probiert. Der vor vierzig Jahren in Zürich von linken Musikern, Aktivisten und Altkommunisten gegründete Chor sucht auch etwas andere Wege für seine Projekte. Statt ein Liederprogramm unter ein Thema zu stellen und mit einschlägiger Lesung oder Orchestermusik anzureichern, wird in diesem Chor von Freiwilligen monatelang recherchiert, Bücher werden gewälzt, Experten zum Thema konsultiert. Ist der Gesamt-Chor informiert und motiviert, kann die Projektplanung losgehen. Hier dauerte der gesamte Prozess weit über zwei Jahre.

 

Endproben: Die Sängerinnen und Sänger hören zu, wie der Sprechchor Begriffe aus der Finanz- und Börsenwelt erklärt

Klar war bald, dass es eine Komposition sein sollte, die extra für das Finanzthema geschrieben würde. Chorleiterin Ines Bauer konnte die italienische Komponistion und Folksängerin Giovanna Marini gewinnen, ein zeitgenössisches Requiem, genannt Gesänge aus der Unruhe zu komponieren. Susanne Frohn, Sängerin und Mitglied der Projektgruppe schrieb verdichtet und lyrisch einen Text über Geldmengen, Marktmechanismen und Offshore-Domizile. Neben der Welt der Finanzmafia und der Reichen, die auch die Mächtigen sind, widmet sich die Gedichtfolge auch den globalisierten Produktionsmethoden und ihren Folgen für uns – billige Elektronik, billige Kleidung – und für die Produzierenden miese Löhne, Umweltzerstörung, Sklaverei. Der Zusammenbruch der Kleiderfabrik Rana Plaza in Bangladesh ist drastisches Beispiel, hier vertont im Dies Irae, dem vierten Teil des Requiems, wo es wie zahllose Nähmaschinen rattert, wenn der Sopran von Hunderttausend Hosen singt, die in der dritten Welt für die erste genäht werden. Die Gesänge aus der Unruhe – ein Finanzrequiem umfassen folgende Teile:
Requiem aeternam: Steuerflucht
•Sanctus: There is no Alternative, zum Markt, Markt als Religion
•Offertorium: Finanzwirtschaft mit undurchschaubaren Produkten
•Dies irae: Umverteilung und Ausbeutung
•Agnus Dei: Widerstand am Beispiel des Potlach, des Fests der Geschenke kanadischer Indianerstämme, wo der Mächtige oder Reiche rituell alles oder fast alles, was er besitzt, seinen Gästen schenkt.

 

Regisseur Christopher Kriese in Aktion, Maud Vuilleumier (Bühnenbild und Licht) sowie Chorleiterin Ines Bauer hören freudig interessiert zu

Die Komposition ist nicht abendfüllend und ruft nach Erklärungen. Da der Chor Kultur&Volk traditionell Klang und Sinn verbinden will, gibt es rund um die Lieder Wortbeiträge und Spielszenen, beispielsweise ein Sieben-Punkte-Programm zum Steuerbetrug ironisch auf den Punkt gebracht von Experte Bruno Gurtner oder ein Finanz-Glossar geschrieben von Chormitglied Werner Kallenberger, welches auf unterhaltsame Weise Begriffe wie die Greater Fool Theory (man findet immer einen Dümmeren) ausdeutscht.

Aufführungen in der Photobastei, Sihlquai 125, Zürich am 9., 11., 16., 18., 23. März, 20 Uhr und am 13. und 20. März, 11 Uhr.

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