Die Zeit der unvermeidlichen Weihnachtslieder und -schlager von früh bis spät auf allen Kanälen ist angebrochen. Da kommt Daniel Fueters Chanson-Buch «’s fehlt no es Lied» gerade recht.
Seit rund vierzig Jahren hat der Zürcher Komponist und Musiker Daniel Fueter Gedichte vertont. Begonnen hat es, als er Gedichte der Autoren Thomas Hürlimann und Martin Suter in Töne setzte. Diese Chansons sang damals die Schauspielerin Kathrin Brenk auf vielen Bühnen so phantastisch und vereinnahmend, dass sogar Säuglinge und Hunde aufmerksam zuhörten, wie sich Thomas Hürlimann erinnert. Am Klavier jeweils begleitet von Daniel Fueter, die Lieder und Zwischentexte, manchmal Minidramen in Szene gesetzt von Regisseur Christoph Leimbacher: Die drei waren eine Art Trio infernal, das die so genannte Kleinkunstszene nachhaltig prägte. Das Titel-Chanson ’s fehlt no es Lied stammt von Martin Suter. Der bekannte Schriftsteller und Krimiautor ist genauso wenig ein Mundartdichter wie Thomas Hürlimann, dennoch schrieben beide für Kathrin Brenk Chansons auf Züritüütsch.
Zum Beispiel Suters Strophe im Lied Bi so truurig: «Es lachet und lachet am Näbetisch / I miir in gits gar nüt, wo luschtig isch. / Es tränet und tränt imis Zweierli, / Bi so truurig will i truurig bi.» Oder anrührig und lakonisch zugleich S Lied vo de Zyt, in dem Thomas Hürlimann über die Befindlichkeit in einer alten Ehe dichtet. Aber da ist auch der witzige Song vom Postauto (Hürlimann) oder jener über einen typischen Softy (Suter).
66 Chansons sind in dem Band «s fehlt no es Lied», Gedichte, Verse, Lyrik aus einem Jahrhundert in Töne gesetzt von Daniel Fueter. Collage © Seniorweb
Sehr unterschiedliche, aber sehr präzise Spracharbeiter beide, erinnert sich Daniel Fueter. Ihn habe es gereizt, sich auf seine beiden berühmten Texter einzulassen, dem exakt dichtenden Verseschmied Suter nicht im akkurat metrischen Duktus zu folgen, dem offener schreibenden Hürlimann musikalische Grenzen zu setzen.
Das alles kann nun in dem Buch, das zu mehr als der Hälfte den Chansons der beiden Schweizer Schriftsteller Platz einräumt, nachgesehen, oder dank der Noten auch nachgesungen werden.
Seither hat Daniel aus vielen weiteren Gedichten Chansons gemacht, hat beispielsweise Friedrich Dürrenmatts Poem vom Mister vertont, dem Mann, der die Arche ausmistet, das so endet: «O Mensch gib acht / Was ein grosses Tier macht / O brauche deine Nase / Gross ist der Mist der grossen Tiere / Und klein der Mensch.»
Ganz unterschiedliche Lyrik hat Daniel Fueter zum Vertonen bekommen, Mundartlyrik von Max Rüeger (Sunndigmorge) oder von Maja Stolle (Durchsage der Leitstelle) aber auch Besinnliches oder Melancholisches von Max Werner Lenz und Albert Ehrismann. Aus Balladen von Kurt Tucholsky und expressionistischer Lyrik von Jakob van Hoddis hat Fueter ebenfalls Chansons gemacht.
Das Liederbuch mit den 66 Chansons hat viel zu bieten: Gedichte aus hundert Jahren, politische, lyrische, besinnliche, böse, trostlose und witzige zum Lesen, alle Poeme natürlich auch als Partituren zum Singen mit Klavierbegleitung, sowie alles, was wir uns in einem schönen Buch noch wünschen, nämlich eine Einführung von Daniel Fueter, einen Beitrag samt Interview mit dem Komponisten von Herausgeber und Arrangeur Philipp Bartels. Nicht mal die Zugabe fehlt in diesem Singbuch: es ist ein kurzes Liebesgedicht von Ernst Jandl – in Musik gesetzt von Daniel Fueter.
Eine weitere Zugabe ist die Hommage des Schriftstellers Thomas Hürlimann auf die Sängerin der ersten Chanson-Programme, Kathrin Brenk. Ohne sie gäbe es weder das Buch noch die vielen Gedichte und Balladen aus dem Alltag, die Thomas Hürlimann und Martin Suter für sie schrieben und Daniel Fueter zu Chansons vertonte. Der charismatischen Schauspielerin, der die Auftritte nicht leicht fielen, obwohl sie ihr Publikum gleich in der Tasche hatte, konnten Hürlimann und Suter die Worte auf den Leib dichten, Fueter die Musik für ihre ganz persönlichen Ausdrucksmöglichkeiten, ihre Stimme, ihre Bühnenpräsenz schreiben.
Das Buch ’s fehlt no es Lied hätte eine festliche und klingende Buchpremiere verdient. Aber das Theater Rigiblick, vor langer Zeit dafür reserviert, ist geschlossen. Dennoch, ganz muss man auf den Genuss nicht verzichten: vier Sängerinnen und Sänger haben mit Daniel Fueter am Flügel je ein Chanson gesungen, welches nun übers Internet als Stream zu uns nachhause gelangt.
Daniel Fueter und Philipp Bartels im Gespräch mit Verlegerin Anne Rüffer und viermal ein Chanson, gesungen von Rachel Matter, Helmut Vogel, Maja Stolle und Martina Bovet.
In dem Gespräch mit Bartels lässt sich Fueter in die Karten blicken: «In der Art, wie ich mich im Genre Chanson bewege, wird die Frage, was zuerst sei, Text oder Musik, eindeutig beantwortet: der Text!» Dass zunächst der Auftrag stand und dann die Tonsetzerarbeit, war für Daniel Fueter die passende Arbeitsweise und auch eine Herausforderung: Ohne sich mit den Texten, oder bei der Komposition von Bühnenmusik mit dem Skript, der Regie, den Zielen einer Performance auseinanderzusetzen, geht es nicht. Es ist kein Understatement, wenn Fueter seine Kompositionen als Gebrauchsmusik bezeichnet. Zwar ist der Begriff eher negativ konnotiert, aber Fueter meint ganz undogmatisch, dass er Musik macht, die für den Gebrauch auf der Bühne, zur Unterhaltung im weitesten Sinne dient. Seine Kompositionen decken ein weites Feld ab, und Unterscheidungen in E- oder U-Musik, in Chanson, Kunstlied oder Song sind Schubladen, die dem Musiker Fueter nicht gerecht werden.
Wenn die Aufträge, für die Bühne zu schreiben, ihm zuwenig Freiraum liessen, sei er sich wie ein musikalischer Requisiteur vorgekommen. Irgendwann verzichtete er darauf, schrieb dafür an der Oper Stichtag mit einem Libretto von Thomas Hürlimann und schöpfte beim Erfinden der Musik zunächst so richtig aus dem Vollen – grosses Orchester, grosser Chor, ein toller Tenor – ohne auch nur einen Gedanken an die realen Bedingungen der Aufführung zu denken. Auf die passenden Dimensionen eingedampft wurde Stichtag 1998 im Stadttheater St. Gallen erfolgreich uraufgeführt. Wiederum Musik für den Gebrauch und nicht für die Schublade. Er habe erst mit 70 in diesem Sommer «zum ersten Mal einen Liederzyklus ganz ohne Auftrag komponiert», sagt er im Gespräch.
Das dicke Singbuch mit den vielen Chansons ist im Sachbuchverlag rüffer&rub erschienen. Für alle, die sich der in mancher Beziehung speziellen Abende mit Kathrin Brenk erinnern, ein wunderbares Geschenk für sich selbst oder zum Weiterschenken. Professionelle so gut wie Laien könnte der Band für einen Bühnenauftritt inspirieren, oder auch einfach anregen, zuhause sitzend mal was anderes als das Übliche – die Partitur fürs in weite Ferne gerückte Chorkonzert, die Klaviersonate von Beethoven oder das Jazzmedley und die Weihnachtslieder für ein Fest, das vielleicht gar nicht gefeiert werden darf – erklingen zu lassen.
Titelbild: Daniel Fueter. Foto zVg
Daniel Fueter: s fehlt no es LIed. CHansons mit Texten von Thomas Hürlimann, Martin Suter und vielen anderen, hg. von Philip Bartels. Verlag rüffer&rub, Zürich 2020.
ISBN: 978-3-906304-65-6
Schade, mussten diese heimeligen Mundartlieder auf Hochdeutsch präsentiert werden – ein krasser Stilbruch
Hätte ich also nicht Dürrenmatt zitieren sollen? der schrieb halt Standarddeutsch. Im Buch selbst ist alles, was je Mundart war, auch in Mundart abgedruckt. Nur bislang schreiben wir auch über Mundartbücher unsere Rezensionen auf hochdeutsch. Hier aber noch ein Probiererli aus dem Buch, eine Strophe aus dem Buchtitel-Chanson:
S fehlt no es Muesch-Nüüt-Säge-,
Es Was-Tänksch-Jetzt-Grad-Lied.
S bruucht na es Ghöörsch-De-Räge-,
Es So-Bliibts-Immer-Lied.