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Von Schnappviechern und Schwarzhexen

Heute wäre Fasnachtsanfang. In Luzern, in Köln, im Südtirol. Den Egetmann-Umzug im Dorf Tramin gibt es nur in ungeraden Jahren und in diesem Pandemiejahr wie überall sonst schon gar nicht. Kein Grund, sich nicht an der Erinnerung zu freuen. Vor zwei Jahren ging es so wild zu wie eh und je. 

Am Fasnachtsdienstag in ungeraden Jahren, feiert der Egetmann Hansl seit mindestens 400 Jahren in Tramin Hochzeit! Sein Umzug gehört zu den ältesten und merkwürdigsten Tiroler Fasnachtsbräuchen. Der erste Nachweis geht zurück aufs 16. Jahrhundert. Wie andere alpenländische Dorffasnachten hat auch dieser Brauch seinen festen Platz im Veranstaltungskalender der Einheimischen und der zahlreichen Gäste.

Aber 2021 ist Egetmanns Hochzeit wie fast alle Fasnachten nah und fern abgesagt – ein grosser Verlust für das Überetscher Weindorf. Denn die Vorbereitungen dauern Monate. Sie schweissen die vielen Beteiligten zusammen und sind ein eigentlicher sozialer Kitt. Aber die Erinnerung trägt – wenn nötig bis zum übernächsten Fasnachtsdienstag 2023.

Schwarzhexen stellen sich vor Beginn des Umzuges zu einem Gruppenfoto auf. Im Moment noch ein friedliches Völkchen. Mit ihren Schweinsblasen sind sie gefürchtet, wenn sie durch die Gassen jagen.

Ab 13 Uhr zieht der Tross mit dem Egetmann Hansl, einem wohlhabenden, besseren Herrn, seinen Begleitern und vielen originellen Wagen und Figuren durchs Dorf. Das prominente Paar, eine männliche Puppe als Hauptfigur, fährt mit seiner Braut – ebenfalls ein Mann – in einer Kutsche vor.

Der Hansel freut sich auf seine Braut. Foto Antje Braito, egetmann.com

Im Zentrum des bunten Treibens steht der Hochzeitszug, eine bunte Gesellschaft von Schwarzfischern und Waschweibern, von Pfannenflickern und Zigeunern, dazu die spektakuläre Altweibermühle und all die eindrucksvoll geschmückten Wagen.

Zimperlich allerdings sollten die Besucher nicht sein. Es empfiehlt sich nicht, sich mit der neuesten Jacke ganz nach vorne in die erste der dichten Zuschauerreihen zu drängen. Denn man muss damit rechnen, dass man etwas vom Russ, von den Federn und den Sägespänen abbekommt.

Der weisse Bär russt eine Frau ab. Er und der grüne Bär sind die einzigen, die Masken tragen.

Die Figuren des Umzugs schmieren nämlich nicht nur die hübschen Mädchen ein, sondern gern auch den allzu neugierigen Besucher. Und die Dorfhonoratioren kommen dran: Es ist eine Ehre, „abgerusst“ in die närrische Welt einbezogen zu werden. Und es macht Spass, die Schmiere mit Stolz zu tragen, immerhin weiss man ja, dass man sie irgendwie wieder von Haut oder Haaren wegbringt.

Schon von weither hört man das Klappern der langhalsigen Riesen. Unermüdlich schnappend erzeugen sie den Sound des Festes.

Wichtig im Umzug sind die Schnappviecher, die – überdimensional groß und mit Fellen versehen – die Zuschauer mit ihren Schnappmäulern erschrecken. Sie sind in der Regel harmlos, haben genug mit sich selber zu tun, müssen die Männer drunter doch stundenlang ein Gewicht bis 30 Kilogramm tragen.

Schnappviecher oder “Wudelen”, wie sie liebevoll von den Einheimischen genannt werden. Die Mäuler sind mit hölzernen Zähnen und einer Zunge aus Blech bestückt. Mittels eines Zugseiles können sie unter möglichst großer Lärmentwicklung auf- und zugeklappt werden.

Vergeblich, den Umzug beschreiben zu wollen! Man muss ihn gesehen haben. Diese Karnevalswelt ist so herrlich chaotisch, zieht einen hinein in eine augen-, nasen- und ohrenbetäubende Geräusch- und Geruchskulisse. Man taucht ein in ein Getümmel und Getöse, in eine total verdrehte Welt.

Da raucht es und sprüht auf das Publikum am Wegrand.

Vergeblich, den Umzug beschreiben zu wollen! Man muss ihn gesehen haben. Diese Karnevalswelt ist so herrlich chaotisch, zieht einen hinein in eine augen-, nasen- und ohrenbetäubende Geräusch- und Geruchskulisse. Man taucht ein in ein Getümmel und Getöse, in eine total verdrehte Welt.

Lustig ist das Zigeunerleben. Auch die armen und die reichen Zigeuner sind bei der Hochzeit gern gesehene Gäste. Die beiden Gruppen symbolisieren das Gefälle zwischen den Notleidenden und den Wohlstehenden. Der Wagen der Pfannenflicker gehört zum Sujet „Arme Leut“.

Die Darstellung der Figuren beim Egetmann-Umzug entspringt übrigens sowohl der Tradition als auch der Phantasie und Erfindungsgabe der Traminer. Sie machen den Umzug eigentlich für sich selber, wie sie ihn immer schon für sich gemacht haben. Auswärtige sind jedoch willkommen.

Egge und Pflug werden traditionell mitgeführt. Daraus hat sich der Name Egetmann-Umzug entwickelt. Beide werden jedes Jahr mit viel Radau durch den Ort gezogen.

Und immer wieder die Schnappviecher. Sie dominieren mit ihrer Grösse und ihrem durchdringenden Geklapper die Szene. Hier sind sie im Anmarsch – eine Phalanx von Monstern.

Schnappviecher im Anmarsch. Oben Fell, unten Sack und blutverschmierte Beine. Vor der Phalanx der „Wudelen“ ziehen sich die Zuschauer zurück.

Weniger Respekt haben die Metzger, die mit langen Messern auf einzelne Schnappviecher losgehen: eine Allegorie für den Kampf des Frühlings mit dem Winter. Die grossen Monster symbolisieren den Winter, der vertrieben wird.

Den Abschluss des Egetmannumzuges bildet die Altweibermühle. Dabei werden alte Weiber von Müllerburschen eingefangen und in die Mühle geworfen, wo nach kurzer Zeit hübsche junge Mädchen heraustanzen.

Die „Altweibermühl“ wirkt nur in Tramin. Oben werden die alten“ Weibelen“ in die Mühle gesteckt, unten kommen sie jung und faltenfrei wieder heraus.

Doch meist müssen die Müller ihre Opfer recht mühsam einfangen, ihnen nachjagen. Das Opfer wird an einem Seilzug auf den Wagen mit der Mühle gehievt. Es wehrt sich mit allen Kräften. Doch wie Chirurgen stehen die Müller schon bereit.

Vergeblich der Kampf – aber ein Gaudi für die Zuschauer.

Der Egetmann-Umzug ist farbenfroh und von martialischer Fröhlichkeit. Er vereint Körpereinsatz, artistische Einlagen, Jagen und Sichergeben als traditionelle Elemente des Tiroler Brauchtums mit einem zeitlosen Wert: dem Sinn für Gemeinschaft. Vom Bau der Wagen, der gleich nach dem Dreikönigstag beginnt und eigentlich das ganze Jahr über nie so recht aufhört, bis hin zu dem fröhlichen Innehalten nach getaner Arbeit. Der Brauch verbindet einen Großteil der männlichen Dorfbewohner – bis zu 800 sind es aktuell.

Dialog – der reale Austausch findet eine Etage tiefer statt.

Wie andere Bräuche zwischen der Winter- und der Frühlingssonnwende geht es beim Traminer Fasnachtsumzug um die Symbolisierung des Kampfes zwischen Licht und Finsternis, zwischen Gut und Böse, zwischen Frühling und Winter. Es sind Frühlingsbräuche und Fruchtbarkeitsriten in einer verkehrten Welt, die ihr abruptes Ende mit der Fastenzeit finden.

Fotos: © Justin Koller, 2019

Weitere Bilder und Videos sowie einen Beitrag zur Geschichte des Brauchs finden Sie hier:
Suedtirol.info/wasunsbewegt/egetmann-hansl 
https://www.egetmann.com/de/index.php

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