Richard Strauss’ Oper „Salome“ ist der Inbegriff glutvoller Leidenschaft und eine musikalische Apotheose mit Sprengkraft. Das Opernhaus Zürich setzt mit dem Einakter am Anfang der Spielzeit 2021/22 ein Ausrufezeichen.
Die Messlatte lag hoch, denn die letzten beiden Zürcher „Salome“-Inszenierungen verantworteten mit Martin Kušej (2000/01) und Sven-Eric Bechtolf (2009/10) zwei Hochkaräter der Regiegilde. Und nun wollte es Hausherr Andreas Homoki wissen, auch er ein gewiegter Richard Strauss-Kenner, der in den Rollenbesetzungen ein feines Händchen beweist. Endlich hatten die Protagonisten ein ähnlich ausgereiftes Profil. Unwiderstehlich die junge Russin Elena Stikhina, welche als Titelfigur auch die Tutti-Brandungen der Philharmonia Zürich mühelos überstrahlte und einfach nur hinreissend sang. Auch der litauische Bassbariton Kostas Smoriginas überzeugt als Jochanaan, dessen Haupt Salome mit brünstiger Begierde zum Küssen fordert, mit fesselnder Strahlkraft.
«Ich bin verliebt in deinen Leib, Jochanaan! Lass mich ihn küssen, deinen Mund.» – «Niemals, Tochter Babylons, Tochter Sodoms… Niemals!»
Den schlüpfrigen Lüstling Herodes interpretiert mit Wolfgang Ablinger-Sperrhacke ein Charakterkopf, der schon in Alban Bergs Zürcher “Wozzeck“ als Hauptmann für Furore sorgte. Und endlich hatte man die Eingebung, die Herodias, die Mutter Salomes, nicht mit einer alternden Diva zu besetzen, sondern mit der deutschen Mezzosopranistin Michaela Schuster, die über ein betörendes Klangregister verfügt. Den Luzerner Mauro Peter braucht man nicht mehr vorzustellen, er zeichnet den unglücklich verliebten Narraboth mit dem ihm eigenen tenoralen Wohlklang. Es wären noch weitere 25 Interpreten aufzuzählen, denn Homoki besetzt die 5 Juden dreifach, was musikalisch durchaus Sinn macht, aber szenisch schwer zu goutieren ist.
Herodes: «Sie ist ein Ungeheuer, deine Tochter. Ich sage dir, sie ist ein Ungeheuer!» Herodias: «Meine Tochter hat recht getan.» Salome: «Ah! Ich habe deinen Mund geküsst, Jochanaan, deinen Mund, es war ein bitterer Geschmack auf deinen Lippen.»
Womit wir bei Regie und Bühnenbild sind. Hartmut Meyer, ein enger Vertrauter Homokis, stellt das Geschehen in ein Niemandsland zwischen zwei scheibenartigen Mondsicheln, wo sich Palast und Zisterne zum Showdown treffen und die Bühnentechnik (Sebastian Bogatu) ein reizvolles, kreisendes Kabinettstück schuf. Was allerdings das mondscheinartige, mit einem Haken an der oberen Mondsichel befestigte ‚Willisauerringli‘ soll, bleibt mir ein Rätsel. Sollte es etwa die zeigerlose Zeit sein, also ein Immer schon?
Salome (Elena Stikhina) und Jochanaan (Kostas Smoriginas) zwischen den Mondsicheln im Niemandsland der Begierde / Fotos © Paul Leclaire
Des Regisseurs Personenführung ist glaubwürdig, bis die um das göttlich Heil zankenden Juden die Bühne stürmen und als Karikaturen schusselig und ihre Hemden zerknüllend die Inszenierung überfrachten. Dazu zählt auch, dass Homoki aus dem „heil’gen Mann“, dem göttlichen Propheten Jochanaan, kurzfristig einen Triebtäter macht, der weder den Reizen Salomes noch ihrer Mutter – und dies ausgerechnet während des Schleiertanzes – abgeneigt scheint. Entspricht diese willkürliche Interpretation einfach dem Zeitgeist oder kann seine tradierte Enthaltsamkeit einfach mir nichts, dir nichts umgedeutet werden? Dass Jochanaan dann kurz vor Schluss aufersteht, auf sein abgeschlagenes Haupt glotzt und Salome ihren Kuss doch noch abholt, ist eine allzu freie Auslegung von Oscar Wildes Libretto und der Intention von Richard Strauss.
Salome reduziert den ‚Tanz mit den sieben Schleiern‘ auf drei bis vier Röcke und lässt die skandalträchtige Nacktheit zurecht aus, was höchstens der Voyeur bedauern mag. Aber mussten es wirklich so biedere, farbarme Rüschenröcke (Kostüme: Mechthild Seipel) fernab jeden optischen Reizes sein? Dass die Ausstatterin die Palastwache zudem in eidottergelbe Anoraks im Astronauten-Look zwängt, ist eine Geschmacksfrage.
Gut 13000 Personen besuchten am Wochenende vom 11. und 12. September die zahlreichen kostenlosen Veranstaltungen im Opernhaus Zürich und auf dem Sechseläutenplatz im Rahmen der «Saisoneröffnung für alle». Highlight des Eröffnungswochenendes war «oper für alle» mit der Live-Übertragung der Premiere von «Salome», die überdies auch im Online-Stream live mitverfolgt werden konnte. / Foto © Tanja Krebs
Statt mit den vorgegebenen ca. 100 Musiker:innen musste sich der kleine Zürcher Orchestergraben mit ca. 70 Ausführenden begnügen. Das bleibt nicht ohne Konsequenzen. Ja, Salzburg, du hast es besser. Franz Welser-Möst, ehemals Generalmusikdirektor im Zürcher Opernhaus, konnte dort in den letzten Jahren sowohl die „Salome“ wie die „Elektra“ mit den Wiener Philharmonikern in Vollbesetzung spielen und auch akustisch aus dem Vollen schöpfen. Zudem ist er momentan die absolute Richtgrösse, was das Erbe von Richard Strauss’ magischer Klangwelt betrifft. Die diesbezüglich ebenso ernst zu nehmende Dirigentin Simone Young hatte das Werk in Zürich absolut im Griff und die Philharmonia Zürich lieferte eine packende Glanzleistung ab, doch schulbuchmässige Perfektion und Charisma differieren in Nuancen. Die ins Mark gehenden Paukenwirbel und Schlagwerke am Schluss müssen hundertprozentig synchron und kongruent sein, waren sie aber nicht. Und die Akustik des Opernhauses macht leider auch einem hochkarätigen Klangkörper nicht den Gefallen, die etwas mulmige Kompaktheit in ein transparentes Fluidum zu verwandeln. Minimalen Einschränkungen zum Trotz ist diese „Salome“ aber musikalisch eine fast hundertminütige Sternstunde.
Weitere Vorstellungen: September 15, 18, 24, 30, Oktober 3, 7, 10, 17