Das Museum ist in Adligenswil LU und beinhaltet eine umfangreiche Sammlung von Handschriften, Schreibzeugen & Tintengefässen. Das Museum ist einzigartig in Europa und dokumentiert mit über 2000 Exponaten die Geschichte des Schreibens von der Antike über das Mittelalter bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts.
Man erreicht das in einem länglichen Industriegebäude im obersten Stock gelegene Museum ab Luzern mit dem Postauto. Der Besitzer Erhard Durrer empfängt uns mit feinen, weissen Handschuhen. Beim Betreten ertönen die ersten Ausrufe: «Genau auf so einer Bank habe ich in der ersten Primarschulklasse gesessen.» Zu sehen ist eine alte Schulbank um 1900 gebaut, mit aufklappbaren Sitzen und mit alten Lesebüchern.
Alte Schulbank um 1900, Sitze aufklappbar mit alten Lesebüchern
Wir erreichen den Mittelpunkt mit den vielen Glasvitrinen mit unschätzbaren Dingen wie alten Briefen, Bilder und Tintenfässer aus Porzellan. Erhard Durrer nimmt eine Schreibkassette von Kardinal Mazarin, Paris um 1645 und das Bild des Sonnenkönigs Ludwig XIV zur Hand und erzählt die spannende Geschichte. Wir lauschen seinen Ausführungen und verstehen nicht alles. Der Mann hat ein unheimliches Gedächtnis. Wie kam er auf die Idee, solche Dinge zu sammeln?
Erhard Durrer erklärt Besuchern alte Schriften
Angefangen hat alles vor ungefähr 40 Jahren: Erhard Durrer entdeckt per Zufall seine Leidenschaft für historische Schreibgefässe, weil er regelmässig Trödelmärkte und Antiquitätengeschäfte besucht. Dort hat er auch seine ersten Sammelstücke erworben. Als die private Sammlung sowie sein Interesse an den Objekten stetig grösser wurden, fing Durrer an, Messen und Auktionen in ganz Europa zu besuchen.
Sonnenkönigs Ludwig XIV
Das Museum ist mehr als eine Augenweide, nicht nur für gängige Museumsbesucher. Das hat sich der damals 21-jährige Heizungszeichner Erhard Durrer nicht träumen lassen, dass er dereinst Museumsgeschichte auf hohem Niveau schreiben würde. Er erklärte in einem Interview einer Luzerner Zeitung: «Im Brocki Schwyz habe ich so nebenbei zwei hölzerne Tintengefässe gesehen – und gekauft.» Sie sind verstaubt in einem Büchergestell herumgelegen, bis ihn ein Bekannter fragte, ob er denn solche Sachen sammle.
Letzte historische Schreibfeder von Kaiser Zar Nicolas I vor seinem Tod 2. März 1855
«Vorerst habe ich auf Flohmärkten, bei Trödlern und Brockenstuben nach schönen Stücken gesucht, doch das genügte mir auf die Dauer nicht mehr, ich wollte mit seltenen Stücken meine Sammlung aufbauen. Und edle, antike Exponate konnte ich nur in Auktionshäusern und an Messen kaufen, in Wien oder München fand ich ab und zu, was mir passte, Händler kamen auf mich zu und hielten ganz seltene Exponate feil», erinnert er sich. Und nach dem Verkauf seiner Firma Durrer Technik fand er Zeit, sich seinem ehemaligen Hobby mit noch mehr Leidenschaft zu widmen. Was dann im Jahre 2004 zur Eröffnung seines Museums führte.
Kleines Tintenfass in Porzellan, Böhmen um 1815 zwei Bären spielen Zahnarzt
Tintenfässer alleine genügten nicht mehr, er wollte der Schrift mit all’ ihren Facetten auf den Grund gehen, also kamen Schreibzeug und echte Schriften dazu. Dafür hat er viel Zeit geopfert, er besuchte Kurse und setzte sich mit alten Schriften auseinander, lernte sie lesen – und deuten. Erstaunt nicht, dass er alles über Schreibergott Toth kennt, Exponate aus altägyptischer Zeit besitzt und vor allem über jedes noch so kleine Detail Auskunft geben kann.
Lateinisches Stundenbuch auf Pergament, Paris um 1480
Gleich neben Briefe von Napoleon an seine Geliebte oder Bestell- und Kaufurkunden für Kanonen, die Näpi bestellte, oder umfangreiche Briefe, die einen Teil der französischen Revolution beschreiben, über Schweizer Söldnern in fremden Diensten oder Adelsbriefe, neben alten Schriften aus China, Persien, Ägypten und Europa.
Benediktiner Mönch in der Schreibstube
Seine damalige Frage «Wie ist Schrift entstanden» wurde zum Virus, er widmete auch diesen Fragen viel Herzblut, Durrer kann die Herstellung von ersten Tinten erklären, hat Rezepte dazu in Vitrinen und uralten Büchern. «So kam ich Vielem immer näher, sehe Verbindungen zu verschiedenen Themen.
Schreibgarnitur Wien um 1820 Perlmutter und Bronze vergoldet
Neuestes Kunstwerk im Tintenfassmuseum: Die letzte Schreibfeder des Zaren Nikolaus I., die er im Winterpalais in St.Petersburg kurz vor seinem Tode im März 1855 noch benutzte. Er habe das Exemplar im Frühjahr 2022 auf einer Auktion in München erworben, erzählt Durrer.
Schreibgarnitur Krippe, Faenza um 1510. (Rarität) Von Giovanni Manzoni
Dass wegen Putins Angriffskrieg auf die Ukraine an der Auktion in Deutschland keine Russen zugelassen waren, erweist sich für Durrer somit als Glücksfall. Apropos Russland: Im Tintenfassmuseum befinden sich auch drei symbolische Kanonenkugeln als Andenken an den Krimkrieg, einem militärischen Konflikt zwischen Russland und dem Osmanischen Reich, der von 1853 bis 1856 dauerte. Russland ging als Verlierer aus diesem Krieg hervor, und die politische Zugehörigkeit der Halbinsel im Schwarzen Meer blieb infolgedessen umstritten – bis heute. Was die Kanonenkugeln betrifft: Diese wurden in Tintenfässer umgewandelt.
Erhard Durrer untersucht alte Schriften mit der Lupe
Ein Erfolg, wie sich rückblickend sagen lässt. Denn im Pensionsalter verkauft der «Sammelkönig von Adligenswil» seine Firmenanteile, um sich voll und ganz seinem Herzensprojekt, dem Tintenfassmuseum, zu widmen. Sämtliche Ausstellobjekte hat der leidenschaftliche Sammler mit seinem privaten Vermögen erworben. Sponsoren habe er keine. Für die Zukunft wünscht sich Erhard Durrer, dass mehr Menschen – speziell Fachleute und Sammler – sich für sein Museum interessieren. Aber auch über Gruppenbesichtigungen würde er sich immer freuen.
Titelbild:Erhard Durrer mit alten Bücher
Fotos: Josef Ritler
Mehr Infos: http://tintenfassmuseum.ch