Im „Königreich des Schnees“ transportiert die Gletscherbahn Gäste bis auf 3300 Meter über Meer. Das Stubaital im österreichischen Tirol gilt als schneesicherer als andere Alpentäler. Auch im Sommer hat das Gebiet so einiges zu bieten.
„Ich heisse Ferdl und bin ein Bergbauernbub“, stellt sich der junge Mann vor, der auf dem Sessellift neben mir Platz nimmt. Er lebt auf dem Hof seiner Eltern, oberhalb der Tschangelaier-Alm. Im Winter arbeitet er für die Gletscherbahn, im Sommer hilft er seinen Eltern auf dem Betrieb. „Nei, e Madl hab i no ned“, antwortet Ferdl auf meine Frage und ergänzt: „I wor mol in Innsbruck, aber di Madl dort habn mer ned bsunders gfalln. Und a Hiesogi hob i o no ned gfundn.“
Zurück in der Unterkunft „Zum Fuhrmann“ in Schaller erklärt uns Gastgeber Benni, dass der Name Tschangelaier aus den Rätoromanischen stammt. „Cingularia“ bedeute Einzäunung. Das „Tsch“ kam im Hochmittelalter in der Aussprache dazu. Die Alm soll seit mindestens tausend Jahren bewirtschaftet werden. Das weckt unsere Neugier: Am nächsten Tag besuchen wir die Gastwirtschaft. Und werden nicht enttäuscht.
Traditionelle Küche
Aus der Küche kommt uns ein köstlicher Duft von herrlichen Speisen entgegen. Die Gaststube ist aus altem Holz urchig eingerichtet, der Kachelofen strömt wohlige Wärme aus. Die Gerichte sind bodenständig und günstig, deshalb kommen viele Besuchende im Sommer, wie im Winter, denn es hat sich herumgesprochen, dass die Qualität der angebotenen Speisen sehr traditionell ist.
Urchige Gaststube.
Auf der Speisekarte stehen: Brettljause, Wilderergröstl, Jägernudeln, Kaiserschmarrn und Apfel- und Topfenstrudel. Der Hit jedoch sind die geräucherten oder die in Butter gebratenen Forellen, die aus dem Quellwasserteich gleich neben der Alm kommen. Frischer kann der Fisch nicht sein und auch nicht besser schmecken. Die eigene Forellenzucht ist die höchste Fischzucht im Tirol und gehört den höchstgelegenen Fischzuchten im Alpenraum. Neben eigenen Rindern hält die Familie auch Schafe, Ziegen, Hühner und Gänse.
Wichtigster Wirtschaftszweig
Das Stubaital liegt in unmittelbarer Nähe der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck – direkt an der Brennerautobahn. Der Name des Tals taucht unter der Bezeichnung „inter Alpes ad Stupeia“ („innerhalb des Gebirges im Stubaital“) um 994 erstmals in einer Traditionsnotiz des Hochstifts Freising auf. Spätere urkundlich verbriefte Bezeichnungen sind Stubei, Stubaie oder Stubay.
Blick auf Neustift mit seiner mächtigen Kirche.
Trotz dieser äusserst verkehrsgünstigen Lage hat das Tal seine malerische Ursprünglichkeit bewahrt. 35 Kilometer lang zieht es sich südwärts tief in die überwältigende Bergwelt der Stubaier Alpen mit ihren 80 Gletschern und 109 Dreitausendern. Höchster und berühmtester Berg in einer Reihe eindrucksvoller Giganten ist das Zuckerhütl mit 3507 Metern. Grosszügige Umgehungsstrassen verschonen die fünf Hauptorte Neustift, Schönberg, Mieders, Telfes und Fulpmes vom Durchgangsverkehr.
Der Tourismus ist der bedeutendste Wirtschaftszweig im Tal. Er bietet die meisten Arbeitsplätze und erzielt die grössten Umsätze. Eine Stärke des Stubaier Tourismus ist die ganzjährige Verteilung der Saisonzeiten. Neben dem seit Beginn des Alpinismus stetig zunehmenden Sommertourismus hat sich seit dem Bau der Stubaier Gletscherbahn (1973) zuhinterst im Tal und kleinerer Anlagen ein immer stärkerer Wintertourismus entwickelt. 2010 brachte das Winterhalbjahr 60 Prozent der insgesamt 1,7 Millionen Übernachtungen und einen noch höheren Anteil des Jahresumsatzes. Die mit Abstand tourismusintensivste Gemeinde ist Neustift.
Attraktives Winterangebot
Durch die Höhenlage und klimatische Eigenheiten der Region am Alpenhauptkamm gilt das Gebiet als besonders schneesicher. Der Wintertourismus erfordert wesentlich höhere Investitionen und Erhaltungsmassnahmen. Dies gilt insbesondere für den Skibetrieb mit Zufahrtsstraßen, Seilbahnen und Liften, Pisten und Versorgungseinrichtungen. Die Masten der Gletscherbahn stehen teilweise auf blankem Eis und senken sich wegen der Klimaerwärmung stetig ab. Das Seil muss deshalb regelmässig an die neue Höhe angepasst und alle paar Jahre mal verlängert werden, wie uns Benni erklärt.
Top of Tyrol: Blick von der Aussichtsplattform auf dem Schaufelspitz.
Die Stubaier Gletscherbahnen erschliessen rund 700 Hektaren Pisten. Daneben stehen den Gästen die Skigebiete Schlick, Elferspitz und Serleslifte zur Auswahl. Das Winterangebot ergänzen mehrere Langlaufloipen, Schlittenabfahrten und Winterwanderwege.
Reichhaltiges Sommerangebot
Die wichtigste Sommerattraktion bilden die vielfältige Natur- und Kulturlandschaft mit Gletschern, Almen, Wiesen, Wäldern, Bächen und Wasserfällen. Besonders bekannt ist der gut zugängliche Grawa-Wasserfall. Drei Schutzgebiete (Landschaftsschutzgebiet Serles-Habicht-Zuckerhütl, Ruhegebiete Stubaier Alpen und Kalkkögel) wurden 1983 eingerichtet, um einen raumplanerischen Ausgleich zu den erfolgten Erschliessungen herzustellen.
Wandern im Stubaital ist äusserst beliebt.
Die alpine Umgebung des Tales mit acht Alpenvereinshütten, zahlreichen Jausenstationen und einem weitverzweigten Wegenetz ist gut erschlossen. Mehrere Wegstrecken sind als Themenwanderwege ausgestaltet (z. B. Stubaier Höhenweg, Wilde-Wasser-Weg und Franz-Senn-Weg). Aussichtsplattformen gibt es an der Schaufelspitze im Gletscherskigebiet (Gipfelplattform Top of Tyrol) und am Kreuzjoch oberhalb von Fulpmes.
Doch der Klimawandel macht trotz der Höhe der Skigebiete auch dem Stubaital zu schaffen. „Wir kreieren laufend neue Angebote“, erzählt Vermieter Benni. Dazu gehören Bike-Strecken, Klettersteige, Wanderwege und Wellness-Hotels für Sommergäste. Innovation und Investition lauten hier die Stichworte, den Kopf in den Schnee stecken und kapitulieren ist keine Devise.
„Ich bin nicht der Oetzi, ich lebe noch.“
Am Skilift hinter dem Schaufelstock treffen wir auf einen urchigen „Anbügler“ mit langem weissen Haar, einen Hünen von Mann. „Bist Du der Oetzi“, frage ich den Bahnangestellten, während er mir den Bügel reicht. „Nein, ich lebe noch“, ruft er mir lachend nach.
Ja, die Stubaierinnen und Stubaier, sie leben trotz Klimawandel noch, und das gerne und gut.
Titelbild: Blick auf das Skikarussel mit der Bergstation Eisgrat. Fotos PS /© TVB Stubai Tirol
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