Christine Steiger veröffentlichte während Jahren in der «Weltwoche» die Kolumne «Grüne Welle» und war Bloggerin der Zeitschrift «Spuren». Die Journalistin, Buchautorin und Katzenliebhaberin lebt heute zurückgezogen in einem Bauernhausteil am Rande der Stadt Zürich. Seniorweb hat sie besucht.
In der Buchhandlung Dr. Oprecht waren wir zusammen Lehrlinge. Christine Steiger hatte die Lehre in Deutschland begonnen und setzte diese in Zürich fort. Mit neuen Ideen eröffnete sie mir die Welt der amerikanischen Literatur. Die Bücher der Beat Generation der 1950er Jahre, vor allem Jack Kerouac mit seinem freien Leben on the road, begeisterten uns. In der Folge reisten wir später unabhängig voneinander per Autostopp durch Europa, sie mit ihrem Freund nach Ungarn und ich nach Südfrankreich. Die Drogen der Beatniks interessierten uns nicht.
Unsere Lehrzeit war prägend. Noch heute erinnern wir uns an die aufregenden Geschichten von damals. An die berühmte Kundschaft, wie etwa den jungen Dalai Lama mit Gefolge, die Schriftsteller Max Frisch oder Elias Canetti, die wir als Lehrlinge natürlich nicht bedienen durften. An den Besuch des CIA Direktors Allen Dulles, dem wir die Hand geben durften. An das ewige Päcklipacken am Nachmittag und an unsere Vorgesetzten. Bis heute sind wir in losem Kontakt geblieben. Nach langer Zeit habe ich Christine nun wieder einmal besucht. Doch woher kam sie, die damals so anders war als alle meine Bekannten?
Nachkriegsleben in Deutschland
Die ersten acht Jahre wuchs Christine Steiger in Basel auf, dann zog die Familie 1953 nach Deutschland. Ihr Vater Klaus Steiger war Schauspieler und hatte ein Engagement am Theater in Darmstadt. Dort wohnten sie im einzigen intakten Wohnblock mitten im kriegszerstörten Quartier; acht Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Trümmerlandschaft war mit Pflanzen überwachsen. «Es war der schönste Spielplatz», sagt sie, «und es war ein Glück, dass keine Blindgänger explodierten.» Mit ihrem Heimweh nach Basel, fühlte sie sich wie das Heidi von Johanna Spyri.
Bücher und Katzen sind Christine Steigers Leben, hier mit «Söpheli» (Foto: ©Privatarchiv)
Zur Schule ging sie nie gerne, lieber las sie Bücher. Die Amerikaner richteten Bibliotheken mit aus dem Englischen übersetzten Kinderbüchern ein. Hier entdeckte sie Mary Poppins, die Geschichten des mit magischen Fähigkeiten ausgestatteten Kindermädchens, mit dem die Kinder zauberhafte Abenteuer erlebten und nie genau wussten, ob es Wirklichkeit oder Traum ist. «Das Buch ist meine Bibel», sagt Christine, «ich lese es alle 10 bis 20 Jahre wieder und entdecke es stets auf neue Art, auch mit bald 80.»
Die Schule war in Deutschland noch vom Nationalsozialismus geprägt. «Das hätte es unter Adolf nie gegeben», war ein gängiger Spruch der Geschichtslehrerin. Die Nazivergangenheit war ein Tabuthema. Umso mehr informierte sich Christine als Teenager, las Bücher und Dokumente und klärte jeweils im Unterricht auf, «ich fühlte mich wie eine Rachegöttin und war wohl recht arrogant», meint sie heute. In der Schule wurde sie beneidet, hatte sie doch noch einen jungen Vater. Die meisten Väter waren tot oder alt, weil sie nicht zum Krieg eingezogen wurden. Christine erlebte auch, wie sich Männer bei der Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft umbrachten, wenn sie Familie und Haus nicht mehr vorfanden. Für alle Kinder war das traumatisch. Die Bücher einer Mary Poppins halfen Christine, die aus einer heilen Welt kam, zum Überleben.
Magisches Denken
Das magische Denken wurde durch den fantasiebegabten, etwas skurrilen Vater gefördert im Positiven wie im Negativen. Er bezeichnete sich stets als Heide, ohne Religionszugehörigkeit. Dennoch wurde Ostern gefeiert. «Dabei brachte der Osterhase nicht nur gefärbte Eier, sondern es hing jeweils ein mit Farbe bekleckertes Tüchlein an der Klinke», erzählt Christine, «mit dem sich der Osterhase die Pfötchen abgewischt hatte. Ein klarer Beweis, dass er da war.»
Umgekehrt erlebte die Familie bei jedem Ferienaufenthalt Todesängste, weil der Vater beispielsweise trotz Gewitterwarnung mit ihnen unbedingt in Halbschuhen den Säntis hochwandern oder mit einem lecken Boot auf dem Murtensee rudern wollte. Der Schutzengel war wohl dabei. Diesem war Christine als 5jährige vor der Polizeiwache in Basel begegnet. Auf dem Veloabstellplatz erschien ihr ein etwa zweieinhalb Meter grosser Engel. Und für sie war klar, er beschützt die Velos.
1964 kehrte die Familie in die Schweiz zurück, der Vater hatte ein Engagement am Zürcher Schauspielhaus. Zudem wurde er Lehrer am Bühnenstudio. Eine Schauspielschülerin tat es ihm an, sie war ein Jahr jünger als seine eigene Tochter. Von einem Tag auf den andern verliess er die Familie. Das Ganze war so unbegreiflich, dass Christine bei einer Astrologin Rat suchte. Durch das Aufzeigen des Horoskops fand sie Zugang zu dem, was passiert war. Dies war der Auslöser, dass sie selbst Astrologie lernte und Beratungen machte, «aber nie mit Prophezeiungen», betont sie.
Unterwegs als freie Journalistin
Nach der Lehre arbeitete Christine noch ein Jahr in einer Buchhandlung, dann wurde sie freie Journalistin. Anfänglich schrieb sie Kulturberichte für das TV-Magazin TELE, später für die Zeitschriften Sie und Er, Nebelspalter und Schweizer Illustrierte. Für ein Jahr wurde sie Redaktorin bei TR7 (eine TV/Radio-Programmzeitschrift). Da mehrere Redaktionen im gleichen Haus arbeiteten, fand sie Eingang zur Weltwoche, wo sie Kulturberichte und Porträts verfasste. Nachdem sie eine Geschichte über ihren verwilderten Garten schrieb – sie nennt ihn «Zoo für Insekten und Schmetterlinge» – entwickelte sich daraus die Kolumne Grüne Welle. Diese schrieb sie mit grossem Erfolg während fast zwanzig Jahren, bis zum Redaktionswechsel.
«Ich habe nie etwas angestrebt, ich wurde immer reingeschubst». So kam sie zur Zeitschrift Spuren: «Für Spuren habe ich Kolumnen im Heft und später Blogs auf ihrer Internetseite geschrieben», und das während rund dreissig Jahren. Ihr gefiel, dass hier die Themenwahl völlig frei war und sie über «Gott und die Welt» schreiben konnte. 1992 publizierte sie zudem das Buch Hexe im dritten Lehrjahr. Begegnungen mit weisen Frauen und Schamanen unserer Zeit.
Katzen als Familie
Auch wenn keine Katzen mehr bei Christine Steiger leben, sind sie präsent. (rv)
Am liebsten schrieb Christine Steiger Porträts, etwa über Michael Ende. Oder über ihre geliebten Katzen. «Ich wollte nie Kinder in diese grässliche Welt setzen», sagt sie. Dafür hatte sie im Laufe ihres Lebens dreizehn Katzen. 1988 gab sie Das Büsi-Babettli-Buch heraus. Ihr frühester Berufswunsch als Kind war «Katzenheimleiterin». Dafür zeichnete sie Pläne mit Zimmern und Gärtchen für jedes Kätzchen. Seit dem Tod von Söpheli verzichtet sie altershalber auf ein weiteres Büsi. Nur schade, findet sie, dass am Schluss ihrer eigenen Todesanzeige nicht stehen kann: «Unterschrieben von Söpheli, der trauernden Hinterbliebenen».
Hat gerade jetzt eine Saite von mir angeschlagen: die ungefähr gleichaltrige Frau hat eine ganz andere Biografie als ich, aber ich liebe Katzen, liebe Bücher. Lebe nicht ganz allein, sondern mit einer ganz jungen Lernenden, die durch ihre Gegenwart das Büsi ersetzt, das vor zwei Jahren gestorben ist.
Sehr warmherzige Begegnung. Danke liebe Frau Vuillemier!