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Wenn die schwarze Venus tanzt

Ein Weltstar war Josephine Baker, umjubelt, mit Schmäh konfrontiert, vor allem eine beeindruckende Persönlichkeit. Fünfzig Jahre nach ihrem Tod sind ihre Memoiren auf Deutsch erschienen «Tanzen, Singen, Freiheit».

Die Erinnerungen an die vielen Erlebnisse ihrer Laufbahn als Tänzerin, Sängerin, schliesslich Entertainerin selbst niederzuschreiben, dafür hätte Josephine Baker (1906-1975) weder die Zeit noch die notwendige Geduld aufgebracht. Marcel Sauvage (1895–1988), französischer Journalist und Schriftsteller, nahm sich das schon 1926 vor, als die junge Amerikanerin gerade zwanzig Jahre alt war und seit zwei Jahren in Paris lebte und auftrat.

«Mademoiselle Josephine Baker brach in lautes Lachen aus», schreibt er, «als ich ihr bei unserem ersten Treffen den Vorschlag machte, ihre Memoiren zu schreiben.» Zuerst sprachen die beiden Englisch miteinander. Mit den Jahren lernte Mademoiselle Französisch, denn Paris wurde ihr Lebensmittelpunkt, und schliesslich erhielt sie die französische Staatsbürgerschaft – und wie!

Zuerst schief angesehen, zuletzt gefeiert und verehrt

Damals, 1924, begann die Geschichte, wie aus der jungen, zugleich ehrgeizigen und entspannten schwarzen Frau aus Missouri eine berühmte hochgeschätzte Künstlerin und selbstbewusste Weltbürgerin wurde; so verehrt wurde sie, dass 1975 bei ihrer Beerdigung in der Pariser Kirche La Madeleine 20’000 Personen zusammenkamen und der französische Staatspräsident Giscard d’Estaing ein Beileidsschreiben schickte. Davon berichtet Jean-Claude Bouillon-Baker (geb. 1953), eines ihrer Adoptivkinder, im Vorwort des Buches, es ist eigentlich die Rede anlässlich der Überführung des Sarges seiner Mutter ins Panthéon 2021.

Marcel Sauvage beginnt mit einer Schilderung der Umstände, wie er Josephine Baker kennenlernte, eine kluge Entscheidung. So erfahren wir Lesenden nicht nur einiges über die Lebensumstände der jungen Tänzerin und die späteren wichtigen Wendepunkte, sondern lernen auch den Stil des Schriftstellers kennen. Er wird stets genau bei der Sache bleiben und – so scheint es mir – den Ton seiner Hauptperson hervorragend treffen. Kurzweilig war das zweifellos, aber wohl nicht immer einfach: «Ich musste Miss Baker zahlreiche Besuche abstatten», schreibt er, «denn sie erinnert sich nicht gern, sie lebt im Hier und Jetzt.»

Memoiren als eine Art Reportage

Josephine erzählt ihrem Biografen Episoden aus ihrem Leben: Ihre Geburtsstadt St. Louis / Missouri empfand sie als kalt, ihre Familie war arm, ihr Vater verschwand, aber das kleine Mädchen dachte schon ans Theater. Mit 16 entschloss sie sich, ihr Leben selbst zu gestalten. Sie liess sich die Haare kurz schneiden («einen raspelkurzen Krauskopf»), verliess St. Louis und ihre Familie und begann in einer «kleinen schäbigen Revue» in Philadelphia als Tänzerin.

Jean Chassaing (1905–1938): Josephine Baker, 1931, Plakat 160 × 108 cm. / commons.wikimedia.org. – Verschiedene Künstler liessen sich von der Ausdruckskraft der jungen Tänzerin inspirieren.

Ihre nächste Station war New York, wo sie sich regelrecht ein Plätzchen erkämpfen musste. Dann gelang es ihr, im Musical Shuffle Along engagiert zu werden, «das war mein Durchbruch», sagt sie. Wenig später gesteht sie: «Nach Europa wollte ich schon lange.» – Wie sie danach von nächtlichen Zweifeln überfallen wird, können wir Lesende voll nachempfinden. In Paris fühlt sie sich erst mal wie ein Mädchen vom Land: «In Frankreich sind die Häuser zwar klein, aber die Absätze an den Frauenschuhen sind sehr hoch.» Sie tanzt in der Revue nègre, in einem Kostüm aus Bananenblättern oder Federn.

Kolonialistische Gesinnungen ignorieren

Hier soll eine Betrachtung eingefügt werden, die in den Memoiren nur hinter den Worten steht. Josephine Baker besass wohl einen bewundernswert gefestigten Charakter. In Paris und später auf ihren zahlreichen Reisen, besonders wenn sie die USA besuchte, wurde sie als schwarze Frau angefeindet, als Sexobjekt missachtet und in ihrem Kostüm, das wir heute schockiert zurückweisen würden, verlacht. Josephine sieht das, sie erwähnt es gegenüber M. Sauvage. Einmal sagt sie: «Man wollte mich schwärzer machen, als ich bin, aber ich will weder heller werden noch nachdunkeln.»

Josephine Baker, Stadttheater Bern, 1930.  Foto: Fred Erismann, Theaterfotograf / commons.wikimedia.org

Besonders als sie in Prag und dann in Wien gastiert, rufen ihre Auftritte Proteste und Schmähreden hervor, aber Josephine lässt sich davon nicht beirren. Sie hält sich einfach an die Menschen, die zu ihr stehen.

Ihre Entschlossenheit, optimistisch und menschenfreundlich zu bleiben, ist eine ihrer Charakterstärken. Aus dieser Überzeugung heraus sorgt sie für Tiere und Menschen, denen sie begegnet, und später adoptiert sie zwölf Kinder aus verschiedenen Ländern.


Kämpferin in der französischen Résistance

Mit dem Einmarsch der Hitlerarmee ändert sich Josephines Leben. Durch ihre Bekannten und Freunde gerät sie in den Umkreis derer, die gegen die deutsche Besatzung kämpfen. «Ich hatte nur einen Gedanken, das Mindeste war für mich, dem Land zu dienen, dem ich immer noch Dank schuldig war. Frankreich hat mich zu dem gemacht, was ich bin, jenseits aller Vorurteile», erzählt sie. Sie wurde mit «geheimen Zettelchen» zu bestimmten Adressen geschickt. Obwohl sie sich als Kurierin bzw. Spionin nicht sehr wohl fühlte, wusste sie: «Ich hatte den richtigen Blick. Ich hatte das richtige Gehör.» Anschliessend tritt sie neben ihrer Tätigkeit für die Résistance als Künstlerin für die französischen Soldaten in Nordafrika auf, lernt Marrakesch kennen und findet – wie an vielen Orten – freundliche und hilfsbereite Menschen, die ihr helfen und ihr das Land zeigen.

Josephine Baker 1961 auf ihrem Schloss Les Milandes / commons.wikimedia.org

Noch vieles musste Marcel Sauvage notieren. Josephine Bakers Leben war reich an Höhepunkten und schwierigen Zeiten! 1947 heiratete sie Jo Bouillon, eine glückliche Heirat und ein fröhliches Fest. Die anhaltende Rassentrennung in den USA nach dem 2. Weltkrieg machte ihr schwer zu schaffen. «No jews, no dogs, no nigger», das empörte Josephine. Sicher nicht nur aus diesem einen Anlass, sondern aus Überzeugung unterstützte sie die Bürgerrechtsbewegung, nahm 1963 am Marsch nach Washington teil und durfte direkt vor Martin Luther King zu den Teilnehmenden sprechen. Sein «I have a dream» war auch ihr Traum.

«Josephine verkörpert für uns jene fremdartige Poesie, wie wir sie aus Abenteuerromanen unserer Jugend kennen.
Und doch bleibt sie bei aller Bewegtheit und Ungezwungenheit die liebenswerteste, bescheidenste, die freisinnigste und zugleich schüchternste aller Frauen.
Kokett und mit goldenem Herzen.»

Marcel Sauvage schreibt dies im Anfangskapitel und zeichnet damit ein Bild von «La Baker», das gültig bleibt bis über ihr Lebensende hinaus. – Eine empfehlenswerte Lektüre, berührend und herzerfrischend.

Josephine Baker und Marcel Sauvage: «Tanzen, Singen, Freiheit».
Memoiren. Deutsche Erstausgabe.
Vorwort von Jean-Claude Bouillon-Baker und einer Einleitung von Marcel Sauvage. Nachwort von Mona Horncastle.
Übersetzt von Sabine Reinhardus und Elsbeth Ranke.
2025 Reclam Verlag, 281 Seiten.
ISBN: 978-3-15-011522-0

Titelbild: Foto Reclam Verlag

 

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