Martha Brönnimann ist 85 Jahre alt und blickt auf ein reiches Leben zurück. Sie hat jahrelang in Afrika gearbeitet. Im ersten Teil erzählt sie von ihrer Herkunft auf einem Bauernhof, von ihrem Streben nach Bildung und von einer grossen Jugendliebe.
«Als mich das Leben im Jahr 1972 nach Afrika verschlagen hatte, suchte ich an einem der ersten Tage nach einer Metzgerei im Dorf. Vergeblich. Aber man sah einzelne geschlachtete Tiere auf dem Markt, aufgehängt, ausgeblutet, voller Fliegen. Ein Bub stand mit einem Wedel dabei, um die Fliegen zu verscheuchen. Mein erster Gedanke: ‚Hier werde ich nie Fleisch essen!’ Naja, das Fleisch wurde immer sehr gründlich gewaschen und lange gekocht oder gebraten. Ich wurde nie krank davon. Und ich lernte bald, die Gastfreundlichkeit der Afrikaner, ihre Lebensweise und Lebensfreude zu schätzen und mich unter ihnen wohlzufühlen.
Dabei sah mein Leben anfangs so gar nicht danach aus, als sollte ich eines Tages im fernen Senegal glücklich sein. Als Bauernkind vor 85 Jahren im Kanton Zürich geboren, aufgewachsen im Dorf in einem Haus mit Scheune und Stall, umgeben von meinen Eltern, drei Geschwistern, den Grosseltern und der ledigen Schwester meines Vaters, war mein Weg als Bäuerin vorgezeichnet. Der Vater sagte zwar: ‚Martha, ihr könnt lernen, was ihr wollt, aber Mädchen machen zuerst eine Haushaltlehre.’ Wir sprachen von der Mädchen-RS. Aber aus dem Wunsch, danach Krankenschwester zu lernen, wurde nichts, obwohl ich direkt nach der Schule ein Praktikum im Kantonsspital Winterthur absolviert hatte.
Bauerndorf im Zürcher Unterland 1956. Luftbild Werner Friedli
Zu dieser Zeit starb meine Mutter, während ich an ihrem Bett wachte. Es war ein gewaltiger Schock! Zu Hause wurde ich als Älteste nun gebraucht, deshalb entfiel auch die Bäuerinnenschule in Winterthur Wülflingen. Endlich konnte ich im Winter doch noch die Bäuerinnenschule bei Neuhausen besuchen. Dort sah ich meinen jetzigen Freund Hans zum ersten Mal. Er machte eine Ausbildung zum Landwirt. Hans sah sehr gut aus. Alle Mädchen sahen sich nach ihm um. Wir trafen uns von Zeit zu Zeit, aber mein Vater bestand darauf, dass ich möglichst die kleinere Schwester mitnahm – als Anstandswauwau. Denn ich wurde auf dem Hof gebraucht, und er fürchtete, mich frühzeitig zu verlieren.
Ich allerdings hatte noch so viele Ausbildungspläne! Nachdem es mit der Krankenschwester nichts geworden war, besuchte ich etliche Kurse (Kochen, Nähen, Gärtnern, Säuglingspflege …). Aber alle gleichaltrigen Mädchen verdienten schon bald Geld und hatten schöne Kleider, während ich mit der Tante den Haushalt besorgte, das Geerntete aus dem grossen Garten konservierte, das Fleisch nach der Metzgete räucherte und für den Winter einlagerte. Nicht zu vergessen: der regelmässige Grosse Waschtag! Nebenher lernte ich für die Eidgenössische Bäuerinnenprüfung und bestand sie. All diese Fertigkeiten konnte ich später in Afrika sehr gut gebrauchen.
Angehende Bäuerinnen um 1960 (Festschrift des Schweizerischen Bäuerinnen und Landfrauenverbands 2022)
Im Winter verdingte ich mich mehrfach als Hausangestellte, um neue Menschen kennenzulernen und zu sehen, wie sie leben. So war ich einmal in Zürich bei einer jüdischen Familie mit sechs Kindern. Ich unterstützte eine Zeitlang die Mutter im Haushalt und versorgte die Kinder. Auch lernte ich, wie man koscher kocht, und erlebte grosse Wertschätzung.
In Winterthur war ich bei einem Ehepaar mit drei Kindern angestellt und durfte mit in die Ferien nach St. Moritz. Für mich ein grosses Erlebnis! Die Familie bot mir sogar eine eigene 1-Zimmerwohnung an, war aber begeistert, als ich lieber bei ihnen im Haus leben wollte. Ich war ja daran gewöhnt, wenig Platz für mich allein zu beanspruchen. Später beriet uns (meinen späteren Mann und mich) der Vater dieser Winterthurer Familie bei einem Hauskauf. Er hatte sogar einen Architekten mitgebracht!
Mit einigen dieser Menschen bin ich bis heute in Kontakt geblieben. Eines Tages zum Beispiel klingelte das Telefon. Ich war inzwischen um die 50. Ein Mann am Apparat behauptete: ‚Ich bin der David. Du kennst mich.’ Ich hatte keine Ahnung. Es stellte sich heraus, dass er eins der jüdischen Kinder war und zurzeit meiner Tätigkeit in der jüdischen Familie zwölf Jahre alt. Er sei dabei, seinen Lebensbericht zu schreiben, und ich käme darin vor. Er lud mich nach Zürich ein, wo mich die Mutter und drei Töchter freudig begrüssten.»
In Teil 2 ihres Lebensberichts erzählt Martha von ihrer langjährigen Arbeit in der Entwicklungshilfe und von später Erfüllung. Lesen Sie morgen weiter.
Titelbild: Martha Brönnimann
Fotos: © Christine Kaiser und Wikicommons
Hier finden Sie Teil 2 des Lebensberichts von Martha Brönnimann