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Generationenwohnen gegen Wohnungsnot und Einsamkeit?

«Wo-Wo-Wonige» ist ein Slogan bei Demonstrationen gegen die Wohnungsnot. Laut Pro Senectute waren 2022 mehr als ein Viertel der über 55-Jährigen von Einsamkeit betroffen. Sollten wir anders wohnen? Das ETH Wohnforum zeigt andere Wohnmöglichkeiten auf.

Ende 2023 gab es in der Schweiz nach Angaben des Bundesamtes für Statistik (BFS) rund 4 Mio Privathaushalte. Die durchschnittliche Haushaltgrösse betrug 2,18 Personen. Mehr als ein Drittel (37,3%) wohnten in Einpersonenhaushalten, 26,8 % in Zweipersonenhaushalten. Wohngemeinschaften oder Generationenwohnen scheinen nicht im Trend zu liegen.

Das ETH Wohnforum – ETH CASE hat im angewandten Forschungsprojekt «Generationenwohnen in langfristiger Perspektive – von der Intention zur gelebten Umsetzung» vom Oktober 2020 bis Mai 2024 Generationenwohnprojekte näher betrachtet. Gefragt wurde, wie Generationenprojekte gelebt und erlebt werden, wie sich die Projekte im Laufe der Zeit ändern und welche Ausstrahlung die Projekte für die Standortgemeinden und die Umgebung haben. Die Erkenntnisse aus dem Projekt wurden in drei Publikationen und in einem Film (35 Min.) festgehalten.

Das Hunziker Areal ist das Produkt einer innovativen Baugenossenschaft für gemeinnütziges Wohnen.

Die erste Publikation, ein Booklet von 2021 mit 194 Seiten, stellt 19 Wohnprojekte, die zwischen den frühen 1970er Jahren bis 2017 geschaffen wurden, näher vor. 13 davon sind Wohnprojekte für alle Lebensphasen, 6 für die 2. Lebenshälfte. Die 19 Wohnprojekte unterscheiden sich nach geographischer Lage, Grösse, Bebauungsart, Trägerschaft, Eigentumsform (Miete oder Eigentum), Nutzung, (Selbst-)Verwaltung, Gemeinschaftsinfrastrukturen.

Generationenwohnen kann sich sehr unterschiedlich ausprägen. Im Film wird folgende Definition gegeben: «Generationenwohnen ist eine Wohnform, bei der Menschen unterschiedlicher Altersgruppen gemeinsam in einer Wohnung, einem Haus, einer Siedlung oder einem Quartier leben. Die Bewohnenden unterstützen sich im Alltag gegenseitig und teilen sich bestimmte Räume.» Die Bewohnenden leben in einer mehr oder weniger engen Beziehung zueinander und müssen immer wieder aushandeln, wie viele Nähe sie zulassen, wie viel Distanz sie brauchen. Da kann man sich oft wohlfühlen oder auch in gelegentliche Unstimmigkeiten oder gar Konflikte hineinlaufen.

Wer will, kann sich für ein gemeinsames Essen eintragen.

Die zweite Publikation, ein Fallstudienbericht von 2024 (337 S.), beginnt mit einer Definition, die andere Akzente setzt: «Generationenwohnprojekte sind bewusst geplante Formen des gemeinschaftlichen Wohnens, die darauf abzielen, unterstützende Netzwerke von Menschen verschiedener Generationen im nahen Umfeld zu schaffen.» Für diesen Bericht einer Analyse von sechs Generationenwohnprojekte waren folgende Fragestellungen handlungsleitend:

  1. Welche intentionalen, strukturell-organisatorischen, baulich-räumlichen und sozialen Aspekte prägten die Realisierungs- und Anfangsphase des Projekts?
  2. Wie haben sich diese Aspekte im Laufe der Zeit entwickelt und gegenseitig beeinflusst?
  3. Welche Bedingungen, Gründe und Motive beeinflussten Veränderungs- und Entwicklungsprozesse, und wie haben die beteiligten Akteur:innen darauf reagiert?

In allen Wohngemeinschaften gibt es Gemeinschaftsräume, in grösseren sogar einen Einkaufsladen, wo die Bewohnenden einander begegnen und sich austauschen können.

Die dritte Publikation, ein 92-seitiger Abschlussbericht von 2024 (92 S.), liegt auch als Kurzfassung vor (16 S.). Am Schluss werden Handlungsempfehlungen für private Initianten und die öffentliche Hand gegeben. Private werden etwa gewarnt vor unrealistischen Erwartungen.

Die öffentliche Hand (Bund, Kantone oder Gemeinden je nach Zuständigkeiten) wird im Zusammenhang mit dem demographischen Wandel und der hohen Wohnkosten zu folgenden Handlungsempfehlungen für gemeinschaftliches, nachhaltiges Wohnen aufgefordert: 1. Grundstücksuche und -erwerb erleichtern; 2. Vielfältige finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten anbieten und kommunizieren; 3. Informations- und Beratungsangebote schaffen; 4. Schnittstellen zwischen Immobilien-, Finanz-, Sozial -und Alters-/Generationenpolitik aufbauen und fruchtbar machen; 5. Kooperative, dialogische Planungsverfahren aufbauen und pflegen; 6. Öffentliche Ausschreibung eines Architekturwettbewerbs mit zwingend interdisziplinär zusammengesetzten Planungsteams und Jurys.

Beim gemeinschaftlichen Wohnen entwickeln sich Freundschaften und gemeinsame Aktivitäten.

Das Forschungsprojekt des ETH Wohnforums kann Private und die öffentliche Hand anregen, ökologischer und sozialer zu bauen. Das Einfamilienhaus ist finanziell für viele ein Traum, ökologisch ein Alptraum und ideologisch für eine Kleinfamilie konzipiert mit all den Vor- und Nachteilen. Das anonyme Wohnen in Wohnsilos oder in «Überbauungen» ist auch nicht besser und könnte durch attraktivere Wohnformen überwunden werden. Das Projekt «Generationenwohnen in langfristiger Perspektive. Von der Intention zur gelebten Umsetzung» eröffnet einen Blick in andere Wohnformen und zeigt durchaus anspruchsvolle Wege auf, wie man dahin gelangen kann.

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Titelbild: Anonymes Wohnen in einem Renditebau ohne Gemeinschaftsräume (Foto Pixabay). Die andern Fotos sind Screenshots von bs aus dem 35-minütigen Film «Generationenwohnen – Einblicke ins (Un)Gewohnte» von Leonie Pock und Stephan Hermann.

Hier können die drei Studien und der Film direkt gesichtet oder heruntergeladen werden.

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1 Kommentar

  1. Den Film musste ich gleich ansehen. Ich kenne die vorgestellten Siedlungen nicht, aber andere.
    Die Freuden und Leiden sind allen bekannt, die schon selber an einem Ort mit Mitwirkung gelebt haben. Am wichtigsten sind ganz sicher: Offenheit, «Füfi la grad si» (heisst: nicht grad einfahren, wenn man nicht einverstanden ist mit einer Aktion), die Einstellung, auf andere Rücksicht nehmen zu können und das Wollen über den eigenen persönlichen Tellerrand hinaus zu blicken. Lebenslanges Lernen in diesem Sinn.

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