Das Kunsthaus Zürich widmet der Dadaistin und Malerin Suzanne Duchamp die erste umfassende Retrospektive. Obwohl ihre Arbeiten in namhaften Sammlungen zu finden sind, ist ihr Werk wenig bekannt. Höchste Zeit, es in Zürich, wo Dada begann, vorzustellen – auch figurative Werke aus einer späteren Schaffensphase.
Suzanne Duchamp (1889-1963) war zu Lebzeiten eine gefragte Künstlerin. Ihre Bilder wurden von Kunstliebhabern geschätzt und gesammelt. Sie stammte aus einer bekannten Künstlerfamilie aus der Normandie und gehörte zum Kreis der Avantgarde, wie ihre drei älteren Brüder, die ebenfalls Künstler waren. Mit Marcel Duchamp (1887-1968), berühmt durch seine Readymades, war sie besonders eng verbunden.
Suzanne Duchamp, Intimité, 1911. Dieses Gemälde gehört zu ihren frühen Arbeiten. Foto: © Joseph Painter.
Die Retrospektive im Zürcher Kunsthaus umfasst Suzanne Duchamps Oeuvre aus allen Schaffensphasen. Die Gastkuratorin Talia Kwartler promovierte über die Künstlerin und realisierte gemeinsam mit Kunsthaus-Kuratorin und Dada-Expertin Cathérine Hug die Schau mit rund 50 Gemälden, 20 Arbeiten auf Papier sowie seltenen Archivalien und Vintage-Fotografien. Viele Arbeiten wurden erst durch intensive Recherchen wiederentdeckt.
Suzanne Duchamp, Ariette d’oubli de la chapelle étourdie (Vergessene Ariette der benommenen Kapelle), 1920. Öl, Holz und Glasauge auf Leiwand. Auf dem Gemälde mit surreal-poetischem Text porträtiert die Künstlerin Jean Crotti, den sie im Jahr zuvor geheiratet hatte.
Suzanne Duchamp heiratete 1919 den Schweizer Künstler Jean Crotti (1878-1958) und stellte bis zu seinem Tod öfter mit ihm zusammen aus. Das Kunsthaus Zürich besitzt mehrere Schlüsselwerke von Crotti. Die letzte bedeutende Ausstellung Tabu Dada: Duchamp & Crotti, 1915-1922 fand 1983 in der Kunsthalle Bern statt, in Zusammenarbeit mit dem Centre Pompidou in Paris. Tabu war der Name, den das Künstlerpaar ihrer experimentellen Kunstrichtung gab.
Suzanne Duchamp, Radiation de deux seuls éloignés (Strahlung von zwei entfernten Einzelpersonen), 1916-1920. Objektcollage: Öl, Goldfarbe, Schnur, Wachs, Plastik, Glasperlen und Alufolie auf Leinwand.
Suzanne Duchamp besuchte 1905 die Ecole des Beaux-Arts in Rouen. Um 1910 begannen ihre drei Brüder mit wöchentlichen Künstlertreffen in ihrem Pariser Atelier in Puteaux (heute La Défense). Suzanne war Teil dieser avantgardistischen Künstlergruppe, die auch Literaten miteinschloss. Mit der Unterstützung ihres Bruders Marcel stellte sie schon früh ihre Bilder in Galerien aus. Während dem Ersten Weltkrieg arbeitete sie in einem Militärhospital als Krankenschwester, war aber weiterhin als Künstlerin aktiv.
Suzanne Duchamp, Un et une menacés (Ein und eine Bedrohte), 1916. Aquarell, Uhrwerk, Metallringe, Senklot und Schnur auf Papier. Foto: rv
Die Dada Bewegung wurde 1916 in Zürich im Café Voltaire gegründet, hauptsächlich von ausländischen Kunstschaffenden und Literaten. Zeitgleich experimentierten in New York Suzannes Bruder Marcel, Francis Picabia, Jean Crotti und andere mit unkonventionellen künstlerischen Materialien und gefundenen Objekten. Sie stellten die konventionelle Vorstellung eines Kunstwerks grundsätzlich in Frage. Marcel Duchamp verwirklichte das Konzept des Objet trouvé in seinem Flaschentrockner (1914) oder Fontaine (1917). Von New York aus schrieb er seiner Schwester, sie möchte ihm den in Paris zurückgelassenen Flaschentrockner beschriften, so wäre dieser ein Readymade à distance.
Der Kontakt mit der New Yorker Gruppe inspirierte Suzanne und förderte ihre künstlerische Entwicklung. Ihre Kunstwerke verband sie nun ebenso mit unorthodoxen und gefundenen Elementen wie mit Uhrwerken, Perlen, Metallfolien oder Schnur. Zudem baute sie poetische Sprache in ihre Bildtitel und Kompositionen ein. Die gemalten Inschriften wurden Teil der Bilder. Diese sogenannten Readymade-Gemälde gelten heute als ihren bedeutendsten Beitrag zu Dada.
Suzanne Duchamp, Usine de mes pensées, 1920. Gouache, Tinte und Aquarell auf Papier.
Nach dem Krieg besuchte die amerikanische Malerin und Kunstsammlerin Katherine Sophie Dreier (1877-1952) die Familie Duchamp in Paris. Als Vertreterin der abstrakten Malerei war sie Mitglied der amerikanischen Künstlergruppe Abstraction-Création, der auch Marcel Duchamp und Man Ray angehörten. Die Frauen befreundeten sich und Katherine förderte fortan Suzannes Werk in den Vereinigten Staaten. Sie wies auf Suzannes Humor, der mitunter in den Bildern selbst, in bizarren Wortspielen sowie in surreal-poetischen Bildtiteln sichtbar wird.
Suzanne Duchamp, La Noce, 1924. Eine humorvolle und ironische Hochzeitsfeier, die die Ehe in Frage zu stellen scheint. Foto: © Gina Folly
1922 brach Suzanne Duchamp mit Dada. Niemand weiss warum. Es war gewiss nicht einfach, den eigenen Weg innerhalb der Brüder und der Künstlergruppe zu finden. Nun hinterfragte sie ihrerseits Dada. Auch wenn ihr Werk vor 1922 unter dem Einfluss der weitgehend männlich dominierten Avantgarde stand, hatte sie stets ihren eigenen individuellen Ausdruck auf originelle Weise gefunden.
Ohne Titel (Germaine Everling mit Vögeln), um 1926. Foto: rv
Nachdem sie Kubismus und Dadaismus hinter sich gelassen hatte, wandte sich die Künstlerin einer konventionelleren, figürlichen Malweise zu, ohne akademisch zu wirken. Aus sich selbst heraus suchte sie ihren Weg und wagte es, ihren Emotionen Raum zu geben. Sie malte nun in einer bunten, naiven und flächigen Bildsprache, bevölkert von liebevoll gestalteten Figuren, auch Landschaften, Stillleben und Porträts.
Ohne Titel (Landschaft mit einem kleinen Mädchen in Blau), um 1930. Das Bild mit den dunklen Bäumen strahlt etwas Bedrohliches aus. Foto: rv
Ab Mitte der 1920er bis in die 1930er Jahre arbeitete Suzanne Duchamp zwischen Paris und der Côte d’Azur und erregte in Frankreich und im Ausland immer mehr Aufmerksamkeit als Künstlerin. Durch die Beziehung mit Katherine Dreier nahm Suzanne Duchamp 1926 an einer Ausstellung im Brooklyn Museum teil und 1933 an einer Einzelausstellung in New York. Auch in Paris war sie in Galerien und Salons präsent.
Jean Crotti à son chevalet (Jean Crotti an seiner Staffelei), 1950. Foto : rv
Ab Mitte der 1950er Jahre begann sie abstrakte Gemälde zu erschaffen. Nach Jean Crottis Tod im Jahr 1958 verstärkte sich ihre Hinwendung zur Abstraktion. Bis zu ihrem Lebensende blieb sie als Künstlerin aktiv. Nachdem sie 1963 die Diagnose Gehirntumor erhielt, starb sie einige Monate später. Ihrem Streben nach neuen künstlerischen Sprachen durch Malerei war sie stets treu geblieben.
Alle Bilder: Suzanne Duchamp / © 2025, ProLitteris, Zürich
Bis 7. September 2025
Suzanne Duchamp, Retrospektive. Kunsthaus Zürich
Katalog: Umfassende Monografie mit verschiedenen Essays, deutsch und englisch, reich illustriert, Zürich 2025, CHF 56.00