Die Befreiung des Klangs aus dem Korsett der Melodien und Tonsysteme
„Alle meine Werke gehen immer von einem menschlichen Anreiz aus,“ schrieb Luigi Nono (1924-1990) anlässlich der Uraufführung von Diario polacco 1958, welchem Nonos Erschütterung nach einem Besuch in Auschwitz vorangegangen war. Und weiter: „Zu dem Antrieb aus der menschlichen Sphäre kommt die musikalische Verwirklichung mit den ureigenen und ausschliesslichen Mitteln der Musik.“
Aus der Partitur von Il Canto Sospeso 1955
Nun feiert ihn – endlich – auch Zürich. Die Festspiele 2014 wurden Prometheus gewidmet, im Zentrum steht der Prometeo – tragedia dell’ascolto von Luigi Nono. Es ist der lang gehegte Wunsch des scheidenden Tonhalle-Intendanten Elmar Weingarten, sein Abschiedsgeschenk. Mit Erstaunen und Freude stellte man fest, dass die Aufführung am 2. Juli innert weniger Tage ausverkauft war: und das ausgerechnet in einer Stadt, die den venezianischen Komponisten vor vierzig Jahren als Schöpfer „vergewaltigter Musik“ abqualifiziert, und noch jahrzehntelang als militanten Kommunisten abgelehnt hat. Nonos einziger Auftritt zu Lebzeiten in Zürich fand in der Roten Fabrik statt, dem Kulturzentrum der Linken, erkämpft während der Jugendbewegung Anfang der 80er Jahre.
Der studierte Jurist und passionierte Musiker Luigi Nono war aktives Mitglied der italienischen kommunistischen Partei, sein Anliegen war freilich weniger eine Ideologie als das Leiden der Menschen im Faschismus und in Fabriken, der Schmerz über Ungleichheit und Ungerechtigkeit mit Musik anzuprangern und Hoffnung zu bringen. Musik steht für Nono im Dienst der Aufklärung und der Erneuerung der Gesellschaft im Sinne beispielsweise von Antonio Gramsci.
Luigi Nono 1979 © CC – Nationaal Archief
Bekannt über Italien hinaus wurde Nono Mitte der 50er Jahe mit Il Canto sospeso, wo er Lyrik von Garcia Lorca und Pablo Neruda zusammen mit Briefen von zum Tod verurteilten Widerstandskämpfern zur Grundlage seiner Komposition machte. Wie andere Künstler seiner Zeit, die während des Faschismus jung waren, war ihm das Gesellschaftliche und die Musik eins, seine Bewunderer lasen die Texte, die er in seinen Kompositionen verwendete, nahmen dieselben als Manifeste, auch wenn – so Nonos Biograph Jürg Stenzl – kaum jemand hörte, „wie Nono mit derartigem Material musikalisch umging.“
In den 80er Jahren wusste Nono, wohin die Reise gehen sollte: Nach wie vor die grosse Revolution, aber nun mit den Mitteln der Klänge, welche er so verarbeitet, dass sie den wachen Zuhörenden zum Nachdenken, vielleicht zu tiefgreifender Erkenntnis bringt. Nono hält an den Texten fest, die politische Aussage ist da, aber musikalisiert, als Atmosphäre wahrnehmbar. Es gibt ein Libretto im Prometeo, kompiliert aus Hesiod, Aischylos, Friedrich Hölderlin, Walter Benjamin und anderen . Verfasser ist der Philosoph und langjährige Freund Nonos Massimo Cacciari.
Mit der Entdeckung der neuen Möglichkeiten der Life-Elektronik, die er im Experimentalstudio des SWR dank dessen Leiter André Richard kennen und nutzen lernte, konnte Nono seine Vorstellung vom Klang, der sich frei im Raum bewegt, realisieren. Wer sich den Wellen und Räumen aus Klängen hingibt, wer die Stille hören will, der erfährt mehr als Musik.
Arbeit am Prometeo 1984 im Schwarzwald. Foto Luigi Nono
Der dem Werk Prometeo eng verbundene Dirigent Ingo Metzmacher schreibt dazu: «Der Zuhörer sitzt im Zentrum des Klanggeschehens und wird wie auf einem unterirdischen Strom durch die Wunder dieser Partitur geführt. Derjenige, der das Glück hat, einer Aufführung beizuwohnen, wird sie niemals vergessen. Sie sind selten, weil sie mit grossem Aufwand verbunden sind. Die Musik klingt herauf wie aus uralter Zeit und konnte doch nur heute geschrieben sein.»
Die Aufführung des Prometeo am 2. Juli in der Tonhalle ist leider ausverkauft, aber für die Generalprobe am 1. Juli (Tonhalle, 15.30 Uhr) gibt es noch wenige Freikarten an der Kasse. Ausserdem finden im Kleinen Tonhalle-Saal ebenfalls heute Dienstag zwei Nono-Konzerte mit Kleinformationen statt.
Nonos Witwe Nuria, Tochter von Arnold Schönberg, führt das Archiv in Venedig mit viel Informationen auf der Homepage. Ausserdem gibt es zahlreiche Kompositionen auf Youtube zu hören. Dabei ist jedoch die wunderbare Raumakustik mit der Life-Elektronik nicht vermittelbar – noch nicht?
Titelfoto: Fondazione Archivio Luigi Nono