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„Und immer, wenn Du meinst, es geht nicht mehr….“

Zürich Judith Stamm im Café City für das Wocheninterview . 10.05.2010 Bild : Peter Würmli

Auch aus der ärgsten Krise gibt es einen Ausweg. Die Erfahrung lehrt, dass das so ist. Meistens!

Als Kind war ich häufig bei einer ledigen Tante in den Ferien. Sie war Schneiderin, gesundheitlich anfällig, verdiente schlecht und recht, und die Stube ihrer Zweizimmerwohnung war auch ihr Atelier. Zu den Anproben kamen die Kundinnen zu ihr nachhause. Manchmal durfte ich zuschauen, manchmal auch nicht. Wie meine Tante aus einem Stück Stoff ein Kleid zaubern konnte, fand meine höchste Bewunderung. Meine Tante konnte gut mit Menschen umgehen, sie konnte gut kochen und sie gab mir ihre Lebensweisheit mit: „Immer, wenn Du meinst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her…..“ Erst Jahre später verstand ich, dass dieser Spruch für meine Tante wohl mehr als einmal der Realität ihrer Situation entsprochen hatte.

Selbstverständlich bin ich dem Spruch nachgegangen. Er existiert in den verschiedensten Varianten und dürfte aus einem Gedicht stammen. Auf einer einschlägigen Seite im Internet fand ich Dutzende von Kommentaren, oft eingeleitet mit einer Bemerkung: „mein Grosi hat diesen Spruch immer auf den Lippen gehabt“, „mein Opa hat mir diesen Spruch ins Leben mitgegeben“.

Soll jemand sagen, dass wir von unseren Vorfahren nichts lernen wollen!

Irgendeinmal machte mich jemand auf die Lieder von Leonard Cohen aufmerksam. Er hat denselben Jahrgang wie ich. Ich gestehe, dass ich an dieser Kultfigur und seinen Texten ziemlich achtlos vorübergegangen bin. Aber ein Refrain aus „Anthem“ ging mir nicht mehr aus dem Sinn: „There is a crack in everything. That`s how the light gets in.“ Beim Nachdenken über eine heikle Situation, kommt mir immer etwa in den Sinn: „da muss doch ein Riss im Gemäuer sein, das Problem muss sich doch sprengen lassen“. Das tönt aggressiver als bei Cohen. Ich bin in der Tat häufig zu ungeduldig, um auf das Licht zu warten, das sich den Weg durch die Ritze bahnt! Dabei wissen wir doch alle: auch die Ungeduld ist keine gute Ratgeberin!

Und dann gehört auch die meisterhafte Formulierung von Werner Bergengruen (1892 – 1964) zu meinem Schatz der Leitsprüche: „Und immerdar enthüllt das Ende sich als stahlender Beginn.“ In meinen Ohren tönt sie pathetisch. Ich fand sie passend für dramatische historische Umwälzungen. Wobei ich von den heutigen Umwälzungen leider denke, dass wir noch Jahrzehnte oder länger auf den „strahlenden Beginn“ eines neuen befriedeten Zeitalters werden warten müssen!

Ich fand dann heraus, dass der Satz aus einem Gedicht von Werner Bergengruen aus dem Jahr 1942 stammt. Da wurde er mir greifbarer, vertrauter. Europa stand damals mitten im zweiten Weltkrieg.

Gelegentlich, wenn ich genügend Musse habe, nehme ich das Gedicht zur Hand und denke nach. Der Titel heisst: „Himmlische Rechenkunst“ und der Text lautet:

„Was dem Herzen sich verwehrte,
lass es schwinden unbewegt.
Allenthalben das Entbehrte
Wird dir mystisch zugelegt.
Liebt doch Gott die leeren Hände
Und der Mangel wird Gewinn
Immerdar enthüllt das Ende
sich als strahlender Beginn“.

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