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Im Sumpf der Korruption

Am Beispiel eines Vaters, der für seine Tochter nur das Beste will, und als Abbild des aktuellen Rumänien erzählt Cristian Mungiu in «Graduation» eine traurige Lügen- und Korruptions-Geschichte.

Der Arzt Romeo und seine Frau Magda, eine Bibliothekarin, leben mit ihrer Tochter Eliza in einer rumänischen Kleinstadt. Neben seiner Ehefrau hat Romero die Lehrerin Sandra als Geliebte. Für seine 18-jährige Eliza will er alles tun, dass sie es einmal besser hat. Sie steht kurz vor dem Abitur. Wenn sie ihre letzte Prüfung besteht, bekommt sie ein Stipendium für eine englische Eliteschule und damit eine Chance für eine bessere Zukunft. Doch kurz davor traumatisiert ein Überfall die junge Frau. Ihre Zukunft steht auf dem Spiel, der Vater ist gefordert – dies auf Kosten seiner eigenen Prinzipien. Er sucht Bekannte, die ihm helfen, trifft Beamte, die ihre Unterstützung von Gegenleistungen abhängig machen. Er verstrickt sich allmählich in ein unauflösbares Geflecht von Mauscheleien und Lügen, betritt das glitschige Terrain verhängnisvoller Verpflichtungen.

Romeo, von anonymer Gewalt bedroht

Das Eine-Hand-wäscht-die-andere-Prinzip

Romeo erweist sich als ein alltäglicher, tragischer Held, als jemand, der seine glückliche Zeit hinter sich und seine hehren Ziele verpasst hat. Als 49-Jähriger ist er mit seinem politischen Credo, nach der kommunistischen Diktatur Ceausescus, «Berge zu versetzen», gescheitert. Illusionslos gesteht er sich dies ein. Äusserlich verkörpert er zwar den aufrechten Arzt und den liebenden Vater. Doch an seiner Mimik wird sichtbar, dass er innerlich bereits gebrochen ist. Als Zuschauer wünscht man ihm zwar Glück, auch wenn man früher als er erkennt, dass er mit dem Verrat seiner Prinzipien, wenn auch mit guter Absicht, grossen Schaden anrichtet.

«Graduation» macht von Sequenz zu Sequenz deutlicher, dass das hier durchgespielte Eine-Hand-wäscht-die-andere-Prinzip nicht nur in Rumänien gilt, sondern auch anderswo. Manchmal zeigt der Film dies zentral, etwa wenn einem Politiker beim Beschaffen einer Spenderleber geholfen oder einem Schulbeamten beim Manipulieren der Abschlusstests ein Angebot gemacht wird. Öfter spielt es jedoch am Rande, in einer beiläufigen Bemerkung oder einer kurzen Anekdote. Was leicht in stumpfes Rumänien-Bashing hätte ausarten können, entwickelt sich dank des subtilen, naturalistischen Stils des Regisseurs und des emphatischen Spiels der Darstellerinnen und Darsteller zu einer kraftvollen, wenn auch schmerzhaften Bestandsaufnahme allgemeiner menschlicher Bosheit, erinnernd an «L’enfer c’est l’autre», den Kernsatz in Sartres «Huit clos», das hier personifiziert und, auf viele Rollen verteilt, durchgespielt wird.

Formal und inhaltlich überzeugt der Film: als komplexe Studie über Moral, Loyalität und die Schwierigkeit, sich richtig zu verhalten in Zeiten allgegenwärtiger Korruption. Seine Kernfrage ist gut gestellt und überzeugend beantwortet, ohne Pathos oder Sentimentalität. Ganz aufgegeben hat Cristian Mungiu, nach der ausführlichen Kritik seine Heimat trotzdem nicht: Nach zwei wenig optimistisch stimmenden Stunden lässt er am Ende einen Hoffnungsschimmer zu.

Romeo, mit der Polizei kollaborierend

Beispiele der rumänischen Nouvelle Vague

Cristian Mungiu, Mitbegründer der rumänischen Nouvelle Vague, 2015 mit der Goldenen Palme für den besten Film «4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage» ausgezeichnet, beschreibt auch in seinem fünften Spielfilm «Graduation», für den er 2016 in Cannes die Goldene Palme für die beste Regie erhalten hat, wieder ähnlich radikal die politische Befindlichkeit seines Landes. Der moralische Konflikt wird exakt analysiert und nachvollziehbar dargestellt. Der Film verzichtet auf Musik, die Aufnahmen sind in unspektakulären Grautönen gehalten, so grau, wie sich der Alltag in diesem tristen Ort zeigt.

Anders als Cristi Puiu, der in «Sieranevada» mit unzähligen fragmentarischen Kurzgeschichten das Chaos der sich auflösenden Gesellschaft inszeniert, macht es Cristian Mungiu in «Graduation»: nämlich mit einer zu Beginn langsamen, dann immer schnelleren und sich in verschlungenen Episoden entwickelnden Geschichte. Beide Filme kommen zu einem ähnlichen Schluss, sie bilden sozusagen die zwei Seiten der gleichen Medaille. Die rumänische Gesellschaft wird, wie es ein Filmkritiker beschreibt, in einer fortschreitenden Fäulnis gezeigt, als dramatische Vivisektion, bei der Giftstoffe austreten: Lügen, Feigheit, Verrat und Misstrauen, insgesamt die Verwesung einer kranken Gesellschaft.

Titelbild: Vater Romeo und Tochter Eliza

Regie: Cristian Mungiu, Produktion: 2016, Länge: 128 min, Verleih: Filmcoopi

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