StartseiteMagazinKulturDie Liebe einer Transfrau

Die Liebe einer Transfrau

Der Film «Una mujer fantástica» von Sebastián Lelio und Daniela Vega in der Hauptrolle lässt die Liebe einer transsexuellen Frau gegen den Widerstand der Welt erleben und fragt, was Lieben ist.

Marina und Orlando leben in Santiago, lieben sich und planen eine gemeinsame Zukunft. Sie arbeitet als Kellnerin und singt leidenschaftlich gern, er ist im Mode-Business tätig. Ihretwegen hat er, zwanzig Jahre älter als sie, seine Familie verlassen. Als die beiden nach ihrer Geburtstagsfeier nach Hause kommen, bricht der 57-Jährige zusammen und stirbt. Jetzt überschlagen sich die Ereignisse. Denn Marinaist eine Transfrau * und hiess einst Daniel. Orlandos Familie begegnet ihr mit Unverständnis, Misstrauen und Wut. Die Noch-Ehefrau Sonja schliesst Marina von der Beerdigung aus und verlangt die baldige Räumung der Wohnung. Für Marina beginnt, was sie längst hinter sich glaubte: der Kampf um das Recht auf ihre Art zu lieben.

Der Regisseur des eindrücklichen und aufwühlenden Spielfilms «Una mujer fantástica» ist der 1974 in Argentinien geborene Chilene Sebastián LelioNach «La sagrada familia», «Navidad» und «El año del tigre» gelingt ihm 2013 mit «Gloria», der internationale Durchbruch. Er gilt als Spezialist für starke Frauenfiguren. Der neue Film wurde 2017 in Berlin für das beste Drehbuch ausgezeichnet.

«Transgender ist eine Bezeichnung für Menschen, deren Geschlechtsidentität oder Geschlechtsrolle von demjenigen Geschlecht abweicht, das ihnen zu Beginn ihres Lebens aufgrund augenscheinlicher körperlicher Geschlechtsmerkmale zugewiesen wurde. Der Begriff Transgender hat sich als eine positive Selbst- wie Fremdbeschreibung und Positionsbestimmung im gesellschaftlichen heteronormativen Raum etabliert. Oft wird entsprechend der jeweiligen Geschlechtsidentität oder Geschlechtsrolle in Transmann und Transfrau unterschieden.» Wikipedia

Das Liebespaar Marina und Orlando

Daniela Vega alias Marina auf der Suche nach Liebe

«Una mujer fantástica» ist ein Dreiakter, grossartig verkörpert von Daniela Vega, selbst eine transsexuelle Frau, die sich für das Thema exponiert. Marina, die faszinierend-ambivalente Protagonistin, welche die Untergründe ihrer – letztlich auch unserer – Sehnsucht nach Liebe beschreibt. Der erste Teil, die Liebesgeschichte von Orlando und Maria, zeigt, wie schön Liebe sein kann, jenseits von Geboten und Verboten.

Mit Orlandos Tod entwickelt sich im zweiten Teil die Liebesgeschichte, wie sie von aussen wahrgenommen und wie darauf reagiert wird. Der Notfallarzt verdächtigt sie für den Tod ihres Geliebten. Die Detektivin Adriana Cortés vom Dezernat für sexuelle Straftaten behandelt sie wie eine Kriminelle. Der Facharzt katalogisiert sie, indem er sie nackt fotografiert, was sie erniedrigend erlebt. Die Polizei spricht sie mit Daniel an, wie es im Pass steht. Sonja Bunster, Orlandos Ex-Frau, und ihr Sohn Bruno lassen ihrer Wut freien Lauf, was in einer brutalen Entführung gipfelt. Marina wird als Missgeburt, Chimäre, Monster bezeichnet, ihre Liebesbeziehung als Perversion. Sie wird geduzt, mit «er» angesprochen.Die Verurteilungen und Angriffe kränken und erniedrigen die transsexuelle Frau.

Im dritten Akt, teils in irrealem bis surrealem Stil gefilmt, beginnt sie sich zu wehren. Um ihre Qualen zu verdrängen, stürzt sie sich in ein kurzes Disco-Abenteuer. Doch dann folgt sie den Spuren ihres Geliebten und entdeckt Schlüssel für eine Sauna, in welcher er wohl verkehrt hat, was sie enttäuscht, da sie nun ahnt, nicht seine einzige Geliebte gewesen zu sein. Eindrücklich folgt danach ihre Flucht ins Krematorium, wo sie dem toten Orlando vor der Verbrennung nochmals begegnet. Daniela Vega, unterstützt von Francisco Reyes als Orlando und getragen von einer einfühlsamen Regie, starken Bildern von Benjamín Echazarreta und aussagekräftiger Musik von Matthew Herbert, verleiht der Transfrau Marina eine tief menschliche Würde. Die von sphärischen Klängen untermalten Bilder der grossartigen Iguazú-Wasserfälle, mit denen der Film begonnen hat, unterstreichen schon zu Beginn das Überwältigende und Umfassende der individuellen Liebesgeschichte.

Marina sucht und verteidigt ihre Identität

Zwei Szenen, die auf Deutungen verweisen

Gegen Ende des Films gibt es zwei Szenen, die nachhaltig wirken. In der ersten liegt Marina neben der Hündin Diabla auf dem Sofa, die Beine leicht angewinkelt, nackt, die Scham von einem Spiegel verdeckt. In der nächsten Einstellung Marina von oben: ihre Beine, ein Teil des Bauches und mitten im Bild ihr Gesicht im Spiegel zwischen den Beinen. Dieses eindringliche Bild lässt eine Deutung erahnen. Schlicht und wortlos weist es darauf, was Lelio damit wohl meint: Die Identität der Menschen bestimmt nicht das, was sie zwischen den Beinen haben.

In seinem letztem Film sang und tanzte Gloria, genau wie jetzt Marina. Musik und Tanz spielen eine zentrale Rolle. Beide enden mit einem Lied, das die Befreiung der Frauen ausdrückt. Für «Una mujer fantástica» gilt das noch verstärkt, da Marina eine der ganz grossen Arien der Musikliteratur singt: Händels «Ombra mai fù», einen Klagegesang über die Kunst der Kastraten. Gross, gefasst, stolz und klagend zugleich, ganz in Schwarz, singt Marina. Endlich kann sie trauern – und wohl bald auch wieder lieben. Ein kraftvolles Finale eines grossen Films.

Nicht nur gegen den Sturm, gegen die ganze Welt kämpft Marina

Fragen nach der Liebe, die Grenzen sprengt

Nur wenige Filme stellen wie «Una mujer fantástica» eine radikale Frage wie: Was ist Liebe? Ist es die Kugel, die aus zwei Halbkugeln zusammengesetzt ist, wie es Platon symbolisch meinte? Ist es das romantische Zusammenleben zweier hetero Menschen, wie es das christliche Abendland postuliert? Oder ist es die Vereinigung oder das Spiel verschiedener oder gleicher Geschlechtsorgane? Ist es die biologische Verbindung von zwei chemischen Substanzen zu einer neuen? Und gibt diese Liebe nur zwischen zwei oder auch zwischen mehreren Menschen? Ist es eine lebenslange oder eine zeitlich begrenzte Bindung von Individuen? Die Grenzen solcher Definitionen scheinen mir fliessend, vage und unfassbar? Der Film stellt solche Fragen, bietet Ansichten und Einblicke an, gibt aber keine Antworten. Denn diese kennt niemand, obwohl die Menschen seit Jahrtausenden danach fragen.

Abschliessend Sebastián Lelio zu seinem Film: «Was werden die Zuschauer sehen, wenn sie Marina betrachten? Eine Frau, einen Mann oder die Summe von beidem? Sie werden ein menschliches Wesen sehen, das sich kontinuierlich vor ihren Augen verändert, fliesst, vibriert und sich modifiziert. Was sie sehen, ist wiederum nicht exakt das, was sie sehen, und dieser Umstand verwandelt Marina in einen Wirbelsturm, der die Fantasie und Sehnsucht der Zuschauer anregt und sie einlädt, die Grenzen ihrer eigenen Empathie zu erkunden.»

Titelbild: Marina, gespielt von Daniela Vega

Aus einem Interview mit dem Regisseur und der Protagonistin von «Una mujer fantástica»PDF

Regie: Sebastián Lelio, Produktion: 2017, Länge: 104 min, Verleih: Pathé

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