Obwohl die Hitze des Sommers der Erde zusetzte, genoss ich die Schönheit der Landschaft.
Der Sommer in seiner Pracht, der sich bis in den dunklen Herbst hineinzog, lockte mich einige Male über den sich gelassen und breit hinziehenden Rücken des Hügels zu wandern, dem Gubel zu. Dort befindet sich das kleine Kloster Maria Hilf der Kapuzinerinnen. Wo der Hügel steil gegen die Zuger Talebene abfällt, beten und wirken seit 1851 Klosterfrauen. Ich nenne diese Kuppe die Kanzel des Zugerlandes. Das Kloster entstand in stürmischer Zeit kurz nach dem Sonderbundskrieg. Es bildet ein schönes Ensemble mit Kirche und Kloster, dem kleinen Haus des Spirituals, dem stattlichen Gasthaus und der grossen mächtigen Scheune mit Bauernhaus. Es ist eingefasst von stattlichen Linden.
Jeder Mensch hat Orte, wo er sich besonders wohlfühlt. Zu den meinen gehört der Gubel. Wer über die Anhöhe wandert, geniesst einen weiten Blick in die Ferne, zur Rigi und zum Pilatus, zu den Alpen und zum Mittelland bis zum Jura. Was besonders besticht sind die gepflegten Wiesen und Äcker. Die verschiedene Grüntöne hätten eine Vorlage für ein Gemälde von Klee mit seinem Wechselspiel der ineinander greifenden Farben abgegeben, denn auch Äcker mischen das Grün mit Braun- und Geldtönen auf. Die Flächen, die hier zusammenspielen, leuchten im Sonnenlicht. Die Linden am Weg sind zerzaust. Sie neigen nach Osten. Der starke Westwind fasst sie immer wieder unzimperlich an. Die Landschaft fliesst dahin, als ob sie voran geschoben worden wäre. In der Tat kuppeln sich neben dem ein Tausend Meter hohen Höhenzug die vom Gletscher geformten Moränen. Findlinge zeugen von der Schubkraft des Lindt- und Reussgletschers.
Ich denke wandernd an die fruchtbare Haut der Erde, an den Humus, der den Bäumen, den Wiesen und den Äckern den Nährboden gibt und vergleiche ihn mit der Haut des Menschen. Die Haut ist der wichtigste Sinn des Menschen. Sie ist, wie Michel Serres* schreibt, der Vorposten des Subjekts. Jedes Ding hülle sich in einen Überzug. Am Anfang stehe der Tastsinn. In der Tat, ohne die wahrnehmende, empfindende Haut kann der Mensch nicht existieren. Er würde an der heissen Herdplatte seine Finger verbrennen. Sein Fuss verfehlte seinen Tritt. Alle weiteren Sinne sind vom Tastsinn abhängig, sogar der Blick. Die Haut des Ohrs vibriert und reagiert auf Töne. Die Geruchsnerven sind auf ihren Schutz angewiesen und die Zunge schmeckt, ob eine Frucht bitter oder süss ist. Die Haut ist auch eines der Schönheitsmerkmale der Menschen und sie charakterisiert sogar den Menschen. Man spürt, wenn er dickhäutig ist, Sensibilität und Feinfühligkeit vermissen lässt. Man erfährt, ob er doppelzüngig redet. Der Mensch ist ein Mikrokosmos.
Die Erde als Makrokosmos ist wie der Mensch mit einer wunderbaren Haut ausgestattet. Sie ist der Vorposten der Landschaft. Wo sich der Mensch landschaftliche Missgriffe erlaubt, verliert sie ihre Schönheit. Durch die Haut fliesst das Wasser und ernährt, was wachsen will. Die Haut des Berges, der hoch aufragt ist aus Stein. Der Stein ist dickhäutig, und doch ist er der Erosion ausgesetzt. Ohne den Humus, der Tier und Mensch ernährt, ist Leben nicht möglich. Ich schaue von der Kanzel des Zugerlandes über die Bautätigkeit hinweg zur Rigi. Der Blick ruht auf ihr, als ob er in sich selbst versinken würde und den Gedanken nährt: So wie der Mensch seine Haut pflegt, so soll er auch zur Haut der Erde Sorge tragen.
* Michel Serres: Die fünf Sinne.