Im Kunst Museum Winterthur sind in einer umfassenden Ausstellung Meisterblätter mit Schweizer Ansichten des 18. und 19. Jahrhunderts zu entdecken. Mit «Souvenir Suisse» wird erstmals die Graphiksammlung der Winterthurer Stiftung Familie Fehlmann präsentiert.
Lange galten die Alpen als gefährlich und unschön. Erst im Zuge der Aufklärung begann eine wissenschaftliche und künstlerische Erschliessung der Landschaft. Nun wurden auch die Alpen als interessant und erhaben wahrgenommen. Bald gehörte die Schweiz mit ihren Naturwundern zu den beliebtesten Zielen der Europa-Reisenden. Als Andenken dienten Gemälde oder Stiche von besuchten Gegenden, die man mit nach Hause nahm.
Simon Daniel Lafond (1763-1831), «Le Glacier superieur du Grindelwald & Le Mont Wetterhorn», 1788, kolorierte Umrissradierung. Winterthur, Sammlung Stiftung Familie Fehlmann.
Schweizer Kleinmeister stellten farbige Ansichten her, um sie als Souvenirs zu verkaufen. Sie trugen das Bild der Schweiz als «Tempel der Natur» in die Welt hinaus. Viele Orte und Sehenswürdigkeiten, wie der Reichenbachfall im Berner Oberland, wurden um 1800 das erste Mal dargestellt. Als Mischung aus Druckgraphik und Aquarell fanden diese Blätter reissenden Absatz. Diese Kleinmeister sind mit Winterthur eng verbunden. Der Erfinder der handkolorierten Umrissradierung Johann Ludwig Aberli wuchs in Winterthur auf. Ebenso Heinrich Rieter und Johann Jakob Biedermann, die Aberli nach Bern folgten und seine Erfindung zur Blüte brachten.
Jakob Emanuel Handmann, Bildnis Johann Ludwig Aberli, 1751. Kunst Museums Winterthur. Foto: Wikimedia commons.
Die meisten der ausgestellten Werke sind sogenannte kolorierte Umrissradierungen. Diese Technik wurde im 18. Jahrhundert von Johann Ludwig Aberli (1723-1786) erfunden. Er war achtzehnjährig als Dekorationsmaler nach Bern gekommen und gründete hier um die Jahrhundertmitte eine eigene Werkstatt mit Verlag, um seine Bilder selber publizieren zu können.
Ausgehend von einer Zeichnung nach der Natur, entwickelte Aberli ein drucktechnisches Verfahren, um kolorierte Handzeichnungen nachzuahmen. Statt die gesamte Ansicht in Kupfer zu radieren, druckte er lediglich die wichtigsten Umrisslinien der Darstellung und malte in einem zweiten Arbeitsgang die Umrisse mit Wasserfarben aus. Für die verschiedenen Arbeitsgänge brauchte sein Verlag Fachleute und Gehilfen, vom Drucker bis zu den Koloristen. In dieser seriellen Reproduktionsgraphik war jeder Abzug auch ein Unikat, weil die Farbe von Hand aufgetragen wurde. Für seine Erfindung erhielt Aberli 1766 von Bern eine Art Patent.
Heinrich Rieter (1751-1818), Meiringen und das Oberhaslital, Bleistift, Tusche und Wasserfarben auf Papier. Kunst Museum Winterthur. Eine Vorlage, nach der eine Umrissradierung entstehen konnte.
Die «Aberli’sche Manier» war bald in ganz Europa bekannt und begehrt. In der Nachfolge entwickelten andere Künstler die Technik weiter, verfeinerten die Aquarelltechnik oder setzten die Aquatinta-Radierung ein. Zwar kolorierte man graphische Blätter schon früher, aber mit Aberlis Erfindung konnte man rationell in grösseren Serien arbeiten. Schätzungsweise wurden jährlich bis zu dreissig Tausend Blätter verkauft, dabei konnten von einer Druckplatte über 1000 Abzüge hergestellt werden.
Johann Ludwig Aberli, Vue du Village et du Lac de Brientz, nach 1780, kolorierte Umrissradierung. Winterthur, Sammlung Stiftung Familie Fehlmann.
Der Ausstellungsrundgang beginnt mit einer Reise durch die Schweiz «Von der Stadt in die Berge», denn Ausgangspunkt einer Reise war oft eine Stadt. Der Betrachter kann sich in Stadtansichten aus der ganzen Schweiz von Baden bis Lausanne vertiefen, aber auch in die durchweg heiteren Schweizer Ansichten vom Tösstal, von unwegsamen Pfaden am Walensee, vom besonders beliebten Berner Oberland, von der Innerschweiz mit der reizvollen Aussicht aus dem Urnerloch oder von der sagenumwobenen Teufelsbrücke über die wilde Reuss am Gotthard.
Ausschnitt aus Lukas Weber (1811-1858) nach Georg Straub (1805-1877), Vue de la sortie de l’Urnerloch vers Andermatt, route du St. Gotthard, aus: Voyage pittoresque de la Suisse, um 1850, Umrissradierung und Aquatinta, koloriert. Winterthur, Sammlung Stiftung Familie Fehlmann.
Die Serie «Bonheur champêtre – Glückliches Bauernleben» zeigt, dass die Reisenden durchaus auch von den fremd anmutenden ländlichen Bewohnern der Schweiz, ihrer Kleidung und ihrer Behausung fasziniert waren.
Gabriel Ludwig Lory (1763-1840), Paysan d’Oberhasli, tenant la trompe des Alpes, Blatt 7 aus der Folge « Nouvelle Collection de Costumes Suisse», 1805, kolorierte Umrissradierung. Winterthur, Sammlung Stiftung Familie Fehlmann.
Die Landleute galten als freie Bauern, glücklich, ohne Unterdrückung und Ausbeutung, anspruchslos und im harmonischen Einklang mit der Natur. Bilder mit Trachten, insbesondere der bunten Sonntagstracht aus verschiedenen Regionen, wurden von den Touristen gesammelt und fanden sogar Eingang in englische Modebücher.
Anfänglich wurden die Trachtenleute vor einem monochromen Hintergrund dargestellt, damit der Blick ganz auf die Person fokussiert war. Doch zunehmend setzten die Künstler sie in ihren Lebensraum, in die Landschaft ihrer Herkunft mit Attributen, die auf ihre Sitten und Gebräuche verwiesen, wie erstmals auch das Alphorn. Das hatte zur Folge, dass die Reisenden nunmehr ihre Wanderungen gerne unterbrachen, um den Klängen des Alphorns und seinem Echo zuzuhören. Es dauerte nicht lange, bis die Bewohner des Berner Oberlandes merkten, dass sich der Klang des «rude horn» in bares Geld ummünzen liess.
Die Darstellung des Bauernhauses wurde nach 1800 zum eigenständigen genau analysierten Bildgegenstand. Im Ausland kannte man idealisierte Schweizer Bauernhäuser in englischen Gartenanlagen. Im Sinne der Aufklärung sollten nun auch enzyklopädisch Bauernhaus-Typen der Schweiz vermittelt werden. Die Ansichten ermöglichten den Vergleich von Bautypen und regionalen Eigenarten und richteten sich nicht nur an Reisende, sondern auch an «Freunde der Völker und Länderkunde».
Birmann & Huber (Verleger), Canton d’Unterwalden, Blatt aus der Folge: «Collection de maisons de paysans suisse», um 1812-1823, Umrissradierung und Aquatinta, koloriert. Winterthur, Sammlung Stiftung Familie Fehlmann.
Auf ihrer Reise durch die Schweiz besichtigten Touristen auch Denkmäler, die mit der Geschichte der Eidgenossenschaft und ihren Mythen zusammenhingen. Das Mittelalter, lange als dunkle Zeit zwischen Antike und Renaissance abgetan, bekam dank der Aufklärung Vorbild-Charakter. Man bewunderte nun die Eidgenossenschaft als wehrhaftes und unabhängiges Land. Besonders beliebt waren Ansichten von Orten, die an mittelalterliche Freiheitskämpfe erinnerten, wie das Rütli, die Tells Kapelle oder das Schlachtfeld bei Sempach, allerdings ohne Schlachtszene.
Gabriel Ludwig Lory, Chute superieure du Reichenbach, dans la Vallée d’Oberhasli, aus: «Recueil de paysages suisses dessinés d’après nature», 1797 oder 1798, Aquatinta, handkoloriert. Winterthur, Sammlung Stiftung Familie Fehlmann.
In der Serie «Reisen als Abenteuer» bestaunen die Reisenden die tosenden Wasserfälle, die Felsabhänge und der Blick in schwindelerregende Tiefen, das Gebirge und die Gletscher. Doch der Weg dorthin war oft beschwerlich und gefährlich. Die Kleinmeister machten dieses schwierige Terrain zum Thema und vermitteln uns eine Ahnung, was es in der damaligen Zeit bedeutete, in der unwegsamen Landschaft unterwegs zu sein.
Heute sind viele Werke dieser Kleinmeister kaum mehr auf dem Kunstmarkt zu finden. Das macht die Sammlung der 2016 auf Initiative von Heinz Fehlmann-Sommer (1919-2015) gegründeten Stiftung Familie Fehlmann so wertvoll und faszinierend. Die Sammlung wurde vom Vater Heinrich Fehlmann-Richard (1880-1952) zusammengetragen und wird nun erstmals öffentlich gezeigt. Ergänzt durch Zeichnungen und Gemälde aus dem Kunst Museum Winterthur.
Ausstellung bis 2. Februar 2020, zusätzliche digitale Informationen mit Tablets beim Eingang der Ausstellung.
Jubiläumspublikation: Souvenir Suisse. Die Graphiksammlung der Stiftung Familie Fehlmann, Hrsg. Christian Féraud und Michael Matile, Michael Imhof Verlag, 2019, reich illustriert, 198 S., CHF 24.00.
Fotos: Kunst Museum Winterthur