StartseiteMagazinGesellschaft„Tschüss, ich radle dann mal nach Sibirien“

„Tschüss, ich radle dann mal nach Sibirien“

Laura Fehlmann fuhr mit dem Velo an den Baikalsee. 6000 Kilometer, rund 6 Millionen Kurbelumdrehungen. „Das Alter ist kein Hindernis, um das zu tun, was manche für verrückt halten“, sagt die 65-Jährige. 

Wenn jetzt nicht Corona wäre, würden wir uns vor ihrem alten Hausteil treffen. In Cressier wohnt sie, einem Freiburger Dorf nahe an der französisch-deutschen Sprachgrenze, wo sie in ihrem Garten die Blumen mit Vor- und Nachnamen kennt und mit dem Spinat vertrauliche Gespräche führt. Aha, denkt man, hier lebt eine durchgegrünte Komfortverweigerin. Doch Laura Fehlmann entspricht nicht dem, was man sich unter einer 6000-Kilometer-Radlerin vorstellt. Keine Lederhaut und keine Hauptsache-praktisch-Klamotten. Sie ist eitel. Die 65-jährige Journalistin ist schön eitel.

Im vergangenen Sommer kurz nach ihrer Pensionierung fuhr Laura Fehlmann von Kiew in der Ukraine nach Russland an den Baikalsee in Sibirien. Mit ihr radelte ihr Freund Ruedi Burger (70), früher stellvertretender Chefredaktor der Zeitung „Der Bund“, und teilweise der Reisejournalist Dres Balmer (71). Die drei hatten je zwischen 12 und 20 Kilogramm Gepäck dabei und benützten handelsübliche, zum Teil angejahrte Fahrräder. Sie übernachteten im Zelt, Hotel oder bei Zufallsbekanntschaften. Fehlmann beschrieb ihre Eindrücke in Glossen, die wöchentlich unter dem Titel „Ostwärts“ in der „Berner Zeitung“  erschienen.

Seniorweb: Frau Fehlmann, tut das, äh, Gesäss immer noch weh?

Laura Fehlmann: Nein, warum?

6000 Kilometer Hinweg und auf der Rückreise noch rasch 1000 Kilometer durchstrampeln: Da hat man doch entweder Hornhaut oder Furunkel am Allerwertesten.

Ich hatte nie Probleme beim Sitzen. Dies vor allem, weil ich einen perfekt angepassten Sattel hatte. Die einzigen Schmerzen erlitt ich anfangs im Nacken.

Dann waren die mentalen Wehwehchen übler? Zu dritt während zwölf Wochen dauernd beisammen zu sein, das stresst.

Ruedi Burger und ich haben die ganze Reise gemacht. Mit Dres Balmer nur rund die Hälfte. Unsere Wege trennten sich unterwegs. Aber ja, es stimmt, wir hatten Konflikte, am meisten bei der Routenwahl. Richtigen Streit hatten wir nie.

Ostwärts. Laura Fehlmann unterwegs auf einer Magistrale, einer Hauptverkehrsachse in Russland.

Ihr seid ohne GPS gefahren, so ein Anachronismus.

Ausserorts sind die russischen Strassen gut beschildert. In den Städten jedoch fehlen die bei uns üblichen Signalisationen.

Ebenfalls als russische Eigen- oder Unart gilt die überbordende Bürokratie.

Die haben wir nur einmal zu spüren bekommen. Wir wollten unsere Fahrräder mit in den Zug nehmen. Der uniformierte Beamte erlaubte dies erst nach langen erschöpfenden Diskussionen.

Der Vorfall bestätigt das schlechte Image, das Russland im Westen hat: Korruption, schlechte Regierung, aufgebretzelte Frauen.

Der Reihe nach: Wie haben keine bestechlichen Menschen erlebt. Wir haben nie über Politik diskutiert. Ich spreche zwar Russisch, aber meine Kenntnisse reichen nicht für Tiefgründigeres. Und: Vielen Schweizer Frauen würde es gut tun, mehr auf ihr Äusseres zu achten.

Nostalgischer Glanz beim Bahnhof von Irkutsk, einer Grossstadt an der Transsibirischen Eisenbahn.

Nochmals ein paar Russen-Klischees: Wodka, Balalaika, Kalaschnikow.

Dass der Alkohol eine miese Rolle spielen kann, haben wir tatsächlich erlebt. Zum Beispiel als wir bei einer Familie übernachten durften und der Gastgeber dem trunkenen Elend verfiel. Die anderen Vorurteile? Ach was, stattdessen haben wir erfahren, dass ein weiteres Klischee keins ist: die russische Seele. Wir haben soviel Herzlichkeit, Wärme und Gastfreundschaft erfahren, wie es bei uns nicht gibt.

Reden wir über Zahlen: Wie viele Pannen, wie viele platte Reifen, wie viele Fast-Kollisionen?

Dem unplattbaren Reifen Schwalbe Marathon sei dank: Wir hatten bloss ein einziges Mal keine Luft mehr im Reifen. Unseren robusten Velos sei dank: Wir hatten keine Fahrradpannen. Und dem russischen Verkehr seis geklagt: Wir hatten unzählige Fast-Kollisionen. Manche Russen fahren wirklich wie Teufel.

Altes Russland, neue Architektur in Jekaterinburg, 2600 Kilometer weit vom Start in Kiew.

Nochmals Zahlen: Wie oft haben Sie gewünscht, daheimgeblieben zu sein?

Hm, zweimal. Einmal ernsthaft. Das war, als wir in Sibirien die Waldbrände zu spüren bekamen. Wir dachten erst, es handle sich um Nebel oder Abgase, bis wir gemerkt haben, dass es Rauch ist. Die Folgen spüre ich immer noch: Mein Asthma hat sich verschlimmert.

Das war das schlimmste Erlebnis. Das schönste?

Nach 6000 Kilometern im Baikalsee zu baden. Himmlisch.

Jetzt, nach Ihrer Rückkehr, werden Sie sicher rundum bewundert und gelobt.

Ja, ich habe tatsächlich viele positive Reaktionen erhalten. Aufgrund meiner Reisebeschreibungen in der „Berner Zeitung“ hat mich sogar eine Frau an der Migros-Kasse angesprochen.

Am Ziel, der Baikalsee. „Hier zu baden war himmlisch,“ schwärmt Laura Fehlmann. Bilder: Laura Fehlmann, Rudolf Burger

Was nun? Die Wüste Gobi?

Nein. Wahrscheinlich ein paar Touren im Schwarzwald, ist doch auch ganz schön. Und die Enkelin. Und der Garten.

Klingt ganz vernünftig. Trotzdem werden wohl einige Leute hinter Ihrem Rücken sagen, dass Sie ein verrücktes Huhn sind.

Vermutlich. Aber diesen Leuten und allen anderen entgegne ich, dass das Alter kein Hindernis ist, das zu tun, was manche für verrückt halten.

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