StartseiteMagazinKulturRückblick auf das 17. Zürich Film Festival

Rückblick auf das 17. Zürich Film Festival

Das Zürich Film Festival, das vom 23. September bis 3. Oktober 2021 dauerte, hat gemäss Vorinformationen viele gute, schöne, wichtige, bewegende, herausfordernde und notwendige Filme versprochen – und nach meiner Meinung übertroffen.

Vorausgeschickt sei, dass mein Rückblick sich an dem orientiert, was in meiner Filmarbeit generell gilt: Ich stelle Filme des aktuellen Kinoangebotes vor: Filme, die Werte vermitteln, auf Fragen des Lebens Antworten suchen oder Sinn stiften. Filme, die Fremdes ausleuchten oder Grenzen sprengen und so vielleicht eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst erfüllen.

Einschränken muss ich auch, dass ich von den 160 Filmen des Festivals nur etwa 30 gesehen habe. Die Filme des diesjährigen ZFF boten, nach meiner persönlichen Einschätzung, in einem doppelten Sinn etwas wie eine aktuelle Standortbestimmung: der Welt mit uns Menschen und des Menschen in dieser Welt – etwas wie eine horizontale und eine vertikale Sicht, Durchsicht, Übersicht und im besten Fall Einsicht.

«The Last Bus»

Vom Hollywoodfilm zum Weltfilm

Mit «President» zeigt die Investigativ-Filmemacherin Camilla Nielsson den Abgang des Alleinherrschers Mugabe in Simbabwe und den Versuch, mit Nelson Chamisa auf demokratischem Weg einen neuen Präsidenten zu wählen. Der Politthriller eines exemplarischen Scheiterns.

«Un divan à Tunis» von Manele Labidi, «La belle et la meute» von Kaouther Ben Hania, «Hedi» von Mohamed Ben Attia und mehr als ein Dutzend weitere Filme erzählen die Geschichte des Arabischen Frühling vom begeisterten, leidenschaftlichen Start bis zum resignierten, Leid schaffenden Endes. 10 Jahre lokale Weltgeschichte.

«Room Without a View» gibt jungen Frauen aus den Philippinen, von Bangladesch und Äthiopien, die nach Beirut vermittelt werden, das Wort, über die systematisch betriebene moderne Form der Sklaverei im Libanon zu sprechen. Roser Corellas feinfühlige Klage und radikale Anklage.

«Sabaya» von Hogir Hirori. Unter Lebensgefahr befreien Mitglieder einer lokalen kurdischen Organisation gefangene, traumatisierte Frauen aus einem Lager, wo sie vom IS als Sexsklavinnen, Sabayas, gehalten werden, und bringen einige von ihnen zu ihren Familien zurück. ઻

«Hive» von Bierta Bassholli erzählt die Geschichte einer Frau, deren Mann seit dem Kosovo-Krieg vermisst wird, die mit andern zusammen, gegen männliche Opposition, eine Selbsthilfegruppe und eine Lebensmittelproduktion gründet. Ein eindrückliches Beispiel weiblichen Überlebenswillens.

«Noche de fuego» von Tatiana Huezo schildert in ihrem zauberhaften, berührenden Spielfilm den Überlebenskampf von Frauen und Mädchen in einem mexikanischen Bergdorf, welche ins Kreuzfeuer der Kartelle geraten. Geschichte einer omnipräsenten Bedrohung einer Mutter mit Tochter.

«Soy Libre» von Laure Portier. Eben aus der Jugendstrafanstalt entlassen, sehnt sich Arnaud nur nach einem: raus in die bedingungslose Freiheit. Und darüber macht seine jüngere Schwester, die Filmemacherin, einen vielschichtigen Dokumentarfilm; denn sie ist ihm nah und gleichzeitig fern.

In welchem Zustand sich die Welt, nach dem Wirken dreier Weltreligionen, der Aufklärung, der französischen und russischen Revolution, befindet, scheint mir desaströs und lässt kaum Hoffnung zu. USA und China lasse ich weg, da die dortige Situation allseits bekannt sein dürfte.

«The Silent Land» von Aga Woszczyńska ist für meinen Text so etwas wie die «Drehtür» zwischen Gesellschaft und Individuum, zwischen den Filmen über die Welt und den Filmen über Einzelne. Der befremdlich und verstörend anmutende Spielfilm kann einerseits als Gleichnis über den Zustand der Welt und anderseits als Psychogramm eines Paares gelesen werden – führt mich zum nächsten Kapital:

Von der Oberfläche in die Tiefe des Einzelnen

 «Mass»

Die nachfolgende Zusammenfassung von Filmen betreffen Individuen. In diese tauchen einzelne Spiel- und Dokumentarfilme in geradezu tiefenpsychologischer Weise in die Seelenleben ein. All diese Werke, auch wenn sie von Gewalt und Unmenschlichem erzählen, sind letztlich schön und bieten so etwas wie einen Blick auf ein Licht am Ende des Tunnels. Überraschend, dass dies vor allem mit vielfältigen Formen des Humors gelingt.

Der grossartig gespielte und inszenierte Spielfilm «Grosse Freiheit» von Christian Meise kommt schon fast wie ein Historienfilm daher, denn er behandelt mit zwei Protagonisten die Tragödien der Schwulen in den Gefängnissen, solange es in Deutschland den Paragrafen 175 gab, bis 1. Juli 1989.

Der Spielfilm «Mass» von Franz Kranz lässt uns beiwohnen einem höchst aufwühlenden Gespräch des Elternpaares eines Attentäters und dem Elternpaar eines Opfers dieses Attentats. In einer Intensität, die zeitweise kaum auszuhalten ist, nimmt uns der Film ins Innerste von vier Menschen mit, die an vielen Stellen auch in unserem Namen sprechen. Ein Schock, der aber Hoffnung macht.

Im Spielfilm «The Last Bus» von Gillies Mackinnon beschliesst in Pensionär nach dem Tod seiner geliebten Ehefrau, mit einem geheimnisvollen Inhalt in seinem Koffer auf eine längere Reise aufzubrechen. Ein abwechslungsreiches und berührendes Roadmovie, das Alten wie Jungen viel zu sagen hat und ein Leben in seiner Grösse und Schönheit zeigt.

Der Spielfilm «Monday um Zehn» von Mareille Klein erzählt von der 62-jährigen Helga, die ihr Mann verlassen hat und jetzt, in vielfachem Sinn, stecken bleibt, bis sie in einem polnischen Putzmann einen neuen Geliebten findet. Situationskomik mit viel Herz: eine Comédie humaine.

Der unterhaltsame, actionreiche und witzige finnische Spielfilm «Compartment No. 6» von Juho Kuosmanen erzählt von einem Zug, der zum nördlichen Polarkreis schlängelt, in dem zwei Fremde das Abteil teilen und sich dabei langsam, doch nachhaltig ihr Leben verändert.

Zur aktuellen Diskussion über Sexualität bringt das Festival den Block #letsSEXplore mit 8 Filmen. Darunter «Bad Luck Banging or Loony Porn» von Radu Jude, der die Meinungen über Sex aufschlussreich hinterfragt, und «Pleasure» von Ninja Thyberg, der vom Publikum starke Nerven verlangt, weil er ungeschönt und brutal die zur kapitalistischen Brutalität pervertierte Sexualität ausleuchtet. Filme, welche viel Andiskutiertes zum Ausdiskutieren bringen könnten.

Für mich ist der deutsche Dokumentarfilm «Herr Bachmann und seine Klasse» von Maria Speth die schönste Abrundung meines Kapitels. Er handelt in mehr als drei Stunden, doch keiner Minute zu viel, von einem Lehrer, der mit seiner Klasse eine Utopie realisiert. Mit Abrundung meine ich, dass es hier um einzelne Menschen im System der Schule geht, wir also wieder in die Gesellschaft zurückgeführt werden – und das Hoffnung macht.

«Herr Bachmann und seine Klasse»

Von den Film-Schocks zum Cultural-Clash

Nach manchen Filmen dieses Festivals war ich so betroffen, dass ich kaum darüber sprechen konnte. Von andern Zuschauer*innen habe ich Ähnliches gehört. Ich denke, es sind die fremden Welten, mit denen wir hier in einer intensiven Art frontal konfrontiert wurden.

Dann gab es für mich, nach den Schocks während der Filme, noch etwas anderes: Ich komme aus dem Dunkel des Kinos ins Helle der wunderbaren Herbsttage und -nächte, mitten unter die 5000 oder 10000 mehrheitlich jungen Menschen in der wunderbaren Stadt: in eine Welt der Schönheit, des Luxus, des Überflusses, der Verschwendung im Materiellen, im Administrativen und im Politischen. Das hat mir das Zürich Film Festival geboten! Davor kann und will ich die Augen nicht verschliessen! Das Festival-Motto «Fall in Love with Movies!» hat bei mir voll eingeschlagen.

«Silent Land»

Drei Nachbemerkungen

Ein Programm, wie jenes des 17. ZFF, ist gerade heute, unter den corona-bedingten Umständen, nicht selbstverständlich. Es ist das Werk von Christian Jungen mit seinem ganzen kreativen Team. Die über 100’000 Besucher*innen dürfen als Zeichen der Anerkennung verstanden werden.

Dass bei den hier kurz vorgestellten Filmen mehrheitlich Frauen Regie führen, habe ich nicht stipuliert, ist Zufall. Doch es macht Sinn und erklärt vielleicht auch das hohe Niveau des Programms.

Ich muss heute mein altes Vorurteil, das Zürich Film Festival zeige vor allem Hollywood, korrigieren. Ähnliche habe ich auch von andern gehört. Das 17. ZFF zeigte Weltkino aus 53 Ländern, mit einigen wenigen weissen Flecken auf der Weltkarte des Kinos.

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