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Gianandrea Nosedas beherzter Einstand

Nach kürzeren Gastauftritten erfolgte nun mit der Zürcher Opernpremiere von Verdis „Il trovatore“ die Stabübergabe von Fabio Luisi an Gianandrea Noseda als neuem Generalmusikdirektor (GMD) – und seine musikalische Handschrift ist ein Versprechen.

Ich erinnere mich an vier Zürcher „Trovatore“-Inszenierungen aus den Jahren 1961/62, 1966/67, 1996/97 und 2007/8. In den ersten beiden stand Nello Santi am Pult (wer denn sonst?) und legte mit seiner befeuernden „Italianità“ nicht nur den mediterranen Opernvirus in die Herzen der Heimweh-Diaspora. Auch mich traf (damals als Schüler) das inhaltlich zwar krude, aber musikalisch fesselnde Heldenpathos bis ins Mark. Umso mehr, als mit James McCracken und seiner Frau Sandra Warfield in den Rollen des Manrico und der Azucena zwei Stimmen Zürich einen kometenhaften Aufstieg von der Provinz an die Opernsonne bescherten. Die testosteron-getriebene Cabaletta „di quella pira“ (auf youtube immer noch nachzuhören)  von McCracken prägt neben der Bravour-Arie „nessun dorma“ aus Puccinis Turandot die Bewährungsprobe jedes Heldentenors. 60 Jahre später ist das hohe C für viele Himmelsstürmer zwar immer noch das Mass aller Dinge, aber inzwischen haben die meisten Ohren einen differenzierteren Zugang zu diesem etwas robusteren, auch plakativeren Dreigestirn Verdis, zu dem die „Traviata“ und der „Rigoletto“ zählen. Azucena (Agnieszka Rehlis) verbreitet im Zigeunerlager durch ihre Schauermär helles Entsetzen

Und nun also GMD Noseda und die Frage: Wie weiter mit Verdis Hochdramatik und diesem haarsträubenden Liebesdreieck, in dem sich die Rivalen letztlich als Brüder entpuppen, die sich auch noch in den Fängen einer „Zigeunerin“ verstricken, welche das Unheil auf die Spitze treibt. Doch darin steckt immanent der shakespearsche Ingrimm und seine unaufhaltsamen Todesspiralen, die Verdi in seine Adaptationen überträgt und dramatisch zuspitzt. Doch auch wem der Anachronismus Oper ein Graus ist, der kann vor dieser fesselnden Musiksprache die Ohren nicht verschliessen. Der unentwegt pulsierende Gestus führt in einen dramatischen Sog, dem schwer zu widerstehen ist.

Wenn dem Maestro der Dirigentenstab im Wege steht 

Gianandrea Noseda, dem  das slawische und das deutsche Repertoire ebenso vetraut sind wie das italienische, seit er durch Valery Gergiev früh gefördert wurde und am Petersburger Mariinsky-Theater seine Sporen abverdienen konnte, kennt auch seinen Verdi in- und auswendig. Er weiss auch um die Tücken einer zu grossen Orchesterbesetzung, die im relativ kleinen Zürcher Opernhaus die Forteskala zu Ungunsten der Singenden rasch aus dem Gleichgewicht brächte. Er nimmt in den Arien die Tempi auch so weit zurück, damit für die erlesenen Solisten wieder etwas Ruhe in die peitschende Dramatik einkehrt und er ihnen dadurch optimale Entfaltungsmöglichkeiten gewähren kann.

Der Respekt vor den Intentionen Verdis ist Noseda sehr wichtig. Was fasziniert ihn am verwirrenden Libretto? „Dass es voll von Konflikten ist, aber auch voller Mysterien, voller Rätsel. Die Oper hat durchgängig eine unglaublich hohe Temperatur.“ Noseda steht dann jeweils der Dirigentenstab im Wege, und er wird mit seinen Handdeutungen bis in die Fingerkuppen zum Klangmagier. Nicht alle nehmen seine Nuancen konsequent wahr, sind oft etwas zu sehr beschäftigt mit dem Timing und der linearen Phrasierung. Doch in den weiteren Vorstellungen werden die Rädchen wohl noch selbstverständlicher ineinandergreifen.

Manrico (Piotr Beczała) sieht sich von Dämonen umstellt, die er immer weniger zu bändigen vermag / Fotos © Monika Rittershaus

Am wenigsten überzeugen konnte Quinn Kelsey als Graf Luna und Gegenspieler Manricos, der Leo Nucci punkto Agilität schon als Rigoletto das Wasser nicht reichen konnte. Er wirkt oft etwas gar hölzern und klotzt mit Lautstärke statt mit nuancierter Verve. Noch nicht in die erste Reihe, aber mit aufsteigendem Profil gehört Marina Rebeka (als Leonore), die bei den Registerwechseln die metallische Färbung aber noch nicht zu amalgamieren weiss. Eine Entdeckung ist Agnieszka Rehlis (als Azucena), die mit ihrer irrlichternden Rollendeutung ungemein fesselt.

Piotr Beczałas Wechsel ins Heldenfach als Wegscheide 

Ein Debüt war es nicht nur für Noseda, sondern auch für Piotr Beczala, der mit dem Manrico ins heldische Tenorfach wechselt, weil er nun in reiferen Jahren den lyrischen Partien entwachsen ist. Dass er häufiger in grösseren Häusern singt und in Zürich seine bewundernswerte Strahlkraft etwas mehr zügeln könnte, gehört zu den Erfahrungen, welche Rollenwechsel mit sich bringen. Zu hoffen bleibt, dass ihm nicht das gleiche Schicksal wie vielen Berufskollegen beschieden ist, die ihre Stimmbänder aufgrund der martialischen Anforderungen im Spitzen-Bereich zu schnell verschleissen. Aber Beczala hat ein unglaublich präzises Timing und ist ein Götterbube, den man einfach ins Herz schliessen muss.

Robert Pomakovs kerniger Kohlenbass kontrastiert als Ferrando sehr schön mit den auftrumpfenden Choristen, wie denn überhaupt Janka Kastelic die männlichen wie die weiblichen Chorensembles, wie es sich für eine packende Choroper gehört, zu eindringlicher Gesamtgeltung führt (erster schleppender Choreinsatz mal ausgenommen).

Unerfüllte Liebesträume zwischen Leonore (Marina Rebeka) und Manrico (Piotr Beczala), hintertrieben durch Graf Luna (Quinn Kelsey) und Ferrando (Robert Pomakov) mit ihrer Soldateska

Feuer, Gift, Mord und Totschlag – aber auch etwas britischer Humor 

Die junge walisische Regisseurin Adele Thomas liess sich von ihrer Ausstatterin Annemarie Woods eine monumentale Treppe einbauen und mit Ein- und Aufstiegsklappen ergänzen, um die raschen Szenenwechsel überhaupt zu ermöglichen. Die grossen Chorauftritte schmückt sie auch noch mit fünf Tänzern, welche als geifernde Dämonen und radschlagende Bajazzos die „dunkle, zerstörerische Kraft, die aus der Hölle kommt“, illustrieren sollten. Diese melodramatische Aufstülpung wäre aber gar nicht nötig, denn Verdis Musikkolorit spricht eine so eindeutige Sprache, dass solche eingestreuten Visualisierungen nur vom Gehalt ablenken. Etwas verquerer britischer Humor schadet aber nicht, denn die Kriegsgurgeln mit ihren blechernen Tellerhelmen und den Pappkartonschildern könnten augenzwinkernd gerade so gut Asterix und Obelix oder Monty Python vom Karren gesprungen sein.

Lassen Sie die kulturarme Tristesse der vergangenen 1 1/2 Jahre hinter sich und tauchen Sie ein in diese irisierende und glutvolle Verdi-Perle, die unter Gianandrea Noseda beflügelt und auf eine vielversprechende neue Ära hoffen lässt.

Weitere Vorstellungen: November 2, 6, 9, 12, 17, 20, 26

2. Philharmonisches Konzert: Samstag, 30. Oktober, 19.00
Seinen sinfonischen Einstand gibt Gianandrea Noseda mit Brahms Erstem Klavierkonzert und dem Solisten Daniil Trifonow, gefolgt von der Achten Sinfonie von Dvorák.

Gastspiele: Stadtkasino Basel am 31. Oktober und Casino Bern am 1. November, je 19.30               

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3 Kommentare

  1. Fantastisch geschrieben. Ich muss die Oper fast nicht mehr sehen, so lebhaft wird sie mir in diesem Artikel vorgeführt. Danke!

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