Das Zürcher Haus Konstruktiv präsentiert Werke von Sonia Kacem, Gewinnerin des diesjährigen «Zurich Art Prize», eine Retrospektive des Bildhauers Florin Granwehr sowie Zeichnungen und Druckgrafiken aus der eigenen Sammlung.
Der grosse Ausstellungsraum überrascht mit einer luftig-orientalisch wirkenden Atmosphäre. Die mit bedruckten Stoffbahnen überzogenen Wände – eine Seite mit rot-weissen, die andere mit gelblich-olivfarbigen Musterungen – erinnern an Fassaden aus dem Orient. Eine Installation von Sonia Kacem. Die Ausstellung Le superflu öffnet ein weites Feld für Assoziationen.
Mit «Façade Superflue (Plume)» vergrössert die Künstlerin das vermeintlich Überflüssige, wie die dekorative Ornamentik oft gesehen wird, und stellt diese als Thema der Ausstellung ins Zentrum. Courtesy die Künstlerin, Galerie Gregor Staiger, Zürich und T293, Roma. Foto: rv
Die schweizerisch-tunesische Künstlerin Sonia Kacem (geboren 1985 in Genf) lebt und arbeitet in Amsterdam. Sie ist die 14. Gewinnerin des Zurich Art Prize 2021, der jährlich vom Museum Haus Konstruktiv und der Zurich Insurance Group Ltd vergeben wird. Der Preis besteht in erster Linie aus einer Einzelausstellung im Haus Konstruktiv. Sonia Kacem hatte während ihres Studienaufenthalts in Kairo 2019 die kalligrafischen, geometrischen und floralen Formen des Nahen Ostens recherchiert. Die Skizzen, Aquarelle, Videos und Fotografien dienten ihr anschliessend im pandemiebedingten Rückzug in Amsterdam als reiche Inspirationsquelle.
Ensemble of Nine Wall Sculptures, 2016. Foto: rv
Mit einem sicheren Sensorium für Grössenverhältnisse entwickelt Sonia Kacem aufgrund kleiner Aquarellskizzen überdimensionierte Plastiken. Für die Umsetzung bevorzugt sie Materialien aus dem Alltag und spielt mit ihnen, lotet Übergänge von Fläche und Volumen aus. In Ensemble of Nine Wall Sculptures rafft sie aus gestreiften Sonnenmarkisen Faltenwürfe zu Skulpturen, in Ensemble of 30 Signs überzieht sie einzelne Holzgebilde mit Kunstharz, so dass diese wie schimmernde und schwerelos wirkende Kostbarkeiten aussehen.
Modelle undatiert in Granwehrs Atelier an der Südstrasse 81 in Zürich Seefeld. Foto: Peter Oehl, Othmarsingen. © 2021 ProLitteris, Zürich, Nachlass Florin Granwehr.
«Ordnung ist der Saum des Chaos», die zweite Ausstellung im Haus Konstruktiv, ist dem Lebenswerk des Plastikers und Zeichners Florin Granwehr (1942-2019) gewidmet und in enger Zusammenarbeit mit dem Team seines Nachlasses entstanden. Der gebürtige St. Galler fand bereits in den 1960er Jahren in Zürich seine Wahlheimat. Einige seiner Kunst-am-Bau-Projekte sowie Plastiken im öffentlichen Raum sind bekannt, etwa Axiomat von 1990 am Schiffsteg Wollishofen oder Transeunt vor dem «Schwesternhaus» des Universitätsspitals Zürich.
Die Retrospektive beginnt mit fotografischen Impressionen aus Granwehrs Atelier, die kurz nach seinem Tod aufgenommen wurden. Sein Sinn für Ordnung und seine Vorliebe für serielle Anordnungen spiegelt sich nicht nur in seinem künstlerischen Tun, sondern auch in seinem alltäglichen Leben: Werkzeuge, Teller, Tassen, Pfannen, Hemden oder Werkzeuge sind alle feinst säuberlich übereinandergestapelt, aneinandergereiht oder -gehängt.
Der künstlerische Nachlass umfasst eine Fülle von kaum veröffentlichten Skizzen, Modellen und Zeichnungen, die hier erstmals gezeigt werden. Seine ersten Ideen hielt Granwehr stets mit Filzstift auf Papierservietten fest. Sie bildeten die Basis für die Entwicklung seiner Zeichnungen, dreidimensionalen Modelle und Plastiken.
Florin Granwehr, Ausstellungsansicht, Museum Haus Konstruktiv, Zürich, 2021. Foto: © Stefan Altenburger. In der dreiteiligen Grossplastik «Veluwandler von 1985 werden zwei Holztürme nach oben nicht nur schmaler, sondern auch konvex bzw. konkav.
Granwehrs Werke sind stets nach einer auf Mathematik und Geometrie gründenden Logik konstruiert. Viele Arbeiten erscheinen wie Denkmodelle, etwa sein zeichnerisches Hauptwerk, das Granwehrsche Theorem, eine auf der Zahlenfolge 3, 4, 5, 6 basierende harmonikale Ordnung. Er erprobte auch verschiedene Mass- und Winkelverhältnisse, Rotationen und Achsenspiegelungen.
So nüchtern und rational Granwehr seine Werke erarbeitete, er war auch vom Irrationalen, der Zahlenmystik fasziniert, was ihn zu poetischen Formulierungen brachte, wie einige maschinengeschriebene Blätter in der Ausstellung zeigen. Der Ausstellungstitel «Ordnung ist der Saum des Chaos» ist ein Beispiel, «Ordnung ist das, was absolut direkt ins Chaos führt» oder «Figuren, die mit dem Nichts zusammenkommen».
Sophie Taeuber-Arp, Schematische Komposition, 1930, Collection Museum Haus Konstruktiv. Foto: © Haus Konstruktiv, Zürich.
Das Haus Konstruktiv präsentiert regelmässig drei unabhängige Ausstellungen – die Verbindung besteht allein im Ziel, die Vielfalt der konkreten und konstruktivistischen Kunst zu zeigen. Mit Works on Paper werden erstmals Papierarbeiten aus der eigenen, hochkarätigen Sammlung präsentiert mit ausgewählten Druckgrafiken, Zeichnungen, Gouachen, Collagen und Fotografien. Diese eröffnen einen vielfältigen, generationenübergreifenden Einblick in das Schaffen von über vierzig Künstlerinnen und Künstlern, selbstverständlich auch der Klassiker Max Bill, Richard Paul Lohse, Camille Graeser oder Verena Loewensberg.
Sam Porritt, Figure Ground Problem Study, 2021, Collection Museum Haus Konstruktiv. Donation by the artist and Alys Williams VITRINE, London/Basel. Foto: © Haus Konstruktiv, Zürich.
Arbeiten von jüngeren Kunstschaffenden sind ebenso vertreten, etwa eine Gouache von Gido Wiederkehr (*1941) aus dem Jahr 1967 oder Lithografien des türkisch-amerikanischen Malers Burhan Dogançay von 1969. In der Zeichnung Figure Ground Problem Study des in Zürich lebenden britischen Künstlers Sam Porritt (*1979) scheinen sich die roten, blauen und gelben Bänder in Tusche und Wachskreide wie Wellen ineinander zu bewegen.
Titelbild: Façade Superflue (Couronne), 2021, Holzstruktur, Digitalprint auf Stoff, Courtesy die Künstlerin, Galerie Gregor Staiger, Zürich und T293, Roma. Foto: rv
Bis 16.1.2022
Sonia Kacem, «Le Superflu» / Florin Granwehr, «Ordnung ist der Saum des Chaos» / «Works on Paper – Papierarbeiten aus der Sammlung» im Museum Haus Konstruktiv, Zürich, mehr siehe hier