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Blumenverkäufer und origineller Künstler

Hans Krüsi malte 1992 Motive der Appenzeller Landschaft auf 21 Quadratmeter eines Velowagens der Appenzeller Bahnen. Die neun Tafeln zeigt das St. Galler Museum im Lagerhaus erstmals wieder in einer Krüsi-Retrospektive.

Einen Bahnwagen zu bemalen – das ist schon ein aussergewöhnlicher Auftrag. Hans Krüsi erhält ihn, als er schon weitherum als naiver Künstler bekannt ist. Zugleich muss es ihn, den bescheidenen Mann von 72 Jahren, verdientermassen ein wenig stolz gemacht haben. Die Arbeit zeigt seine kulturelle Verwurzelung und seine Liebe fürs Appenzellerland.

Hans Krüsi, Kuh auf Wurstteller, 1984, Acrylfarbe und silberner Filzstift auf weissem Kartonteller, 13 x 20,5 cm, Kantonale Kunstsammlung Appenzell Ausserrhoden, © Kunstmuseum Thurgau

Täglich wird er von einem Mitarbeiter der Appenzeller Bahnen abgeholt und zum Bahndepot nach Herisau AR gefahren, wo er zunächst im Bahnhofs-Café frühstückt und sich dann an die Arbeit macht. Neun Blechtafeln werden rundherum an den Velowagen montiert, die Hans Krüsi mit seinen persönlichen Bildern vom Appenzellerland bemalt. Sein Honorar ist ein lebenslanges 1. Klasse-Ticket für Fahrten mit den Appenzeller Bahnen, dokumentiert auf einer Urkunde, die in der Ausstellung zu sehen ist. Am Freitag, den 9. Oktober 1992, wird der fertig bemalte Wagen erstmals aus dem Bahndepot gezogen und Mitte November eingeweiht. Für Extrafahrten mit historischen Themen wird der Velowagen noch benutzt.

Hans Krüsi, «Bahn frei dem Tüchtigen, SBB Gallerie, St. Gallen», 7. Sept. 1983, gelber und schwarzer Filzstift auf Papierserviette, 33 x 33 cm, Kantonale Kunstsammlung Appenzell Ausserrhoden, © Kunstmuseum Thurgau

Krüsi malt als naiver Künstler, nicht konzeptuell. Er plant nicht. Für den Bahnwagen hat er sich keine expliziten Sujets vorgenommen. Ein Abschnitt entsteht nach dem anderen. Sein Leben lang ist er gern Zug gefahren, insofern war er der «richtige» Künstler für diesen Auftrag. Monika Jagfeld, Direktorin des Museums im Lagerhaus, erklärt mir: «Den Satz ‹Bahn frei dem Tüchtigen› schrieb Hans Krüsi einst auf eine Papierserviette – er könnte passender nicht sein.» – Er mag ein «naiver Künstler» gewesen sein, seine Lebensweisheiten sind alles andere als banal.

Während der Ausstellungsteil Krüsi am Zug sich auf das 30-jährige Jubiläum bezieht, gibt der 2. Teil der Ausstellung Auch eine Kuh kann Optimist sein Einblick in Krüsis Vielseitigkeit und seine grosse Experimentierlust. Kunst und Leben scheinen sich bei ihm zu verbinden.

Marcus Gossolt (*1969), Portrait Hans Krüsi, undatiert, Schwarzweiss-Fotografie, Handabzug auf Holzkasten, 30 x 40 cm, Museum im Lagerhaus

Der Autodidakt, der nie auch nur eine Zeichenstunde besucht hat, verarbeitet jedes Material, das er finden kann. Er nutzt alle möglichen, oft sogar selbst erfundene Techniken der Bild-, Wort-, Ton- und Objektgestaltung. 1975 beginnt er auf Servietten und Postkarten zu zeichnen. Bei den Servietten entdeckt er das Spiel der durchdrückenden Farbe, der Pause und Doppelung. Erste Arbeiten mit Sprayfarbe, Pflanzenteilen und Abklatschtechnik entstehen. Daneben baut Krüsi auch Objekte und verarbeitet nicht nur Fund- und Abfallmaterialien, sondern recycelt ebenso seine eigenen Arbeiten oder nutzt diese für alltägliche Bedürfnisse, beispielsweise Zeichnungen als Gardinen.

Hans Krüsi, Migros-Papiertasche. 1993. Papiertüte bedruckt. Museum im Lagerhaus, Schenkung Cécile Wirth

Nachdem er durch den Velowagen berühmt geworden war, durfte Krüsi eine Migros-Einkaufstüte bemalen, als 30. Künstler. Solche späten Anerkennungen waren ihm nicht in die Wiege gelegt.

Hans Krüsi (1920 in Zürich geboren, 1995 in St. Gallen gestorben) wächst in Speicher AR bei Pflegeeltern und im Waisenhaus auf. Als Kind erkrankte er an Tuberkulose, was ihn zeitlebens belastete. Er hatte wenige soziale Kontakte und kaum familiäre Bindungen. Bürgerlichen Ordnungen und Normen konnte er sich schwer unterordnen. Seine Wohnverhältnisse – er muss eine Art Messi gewesen sein und hielt zudem Tauben – führten mehrmals zu Reklamationen und Mahnungen; manchmal konnte er seine Rechnungen nicht zahlen. Kurz, er führte ein Leben am Rande der Gesellschaft, eine Existenz, die geprägt war von der Furcht vor Klagen und Vertreibung. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Knecht, Gärtnergehilfe und ab 1948 über 30 Jahre lang als Blumenverkäufer an der Zürcher Bahnhofstrasse. Dahin fuhr er fast täglich mit dem Zug von St. Gallen. In Zürich ist er damals als «Original – das Blumenmannli» stadtbekannt.

Hans Krüsi, ‹3 Eidgenosen›, 1981, Mischtechnik auf Bristolkarton, 69 x 99 cm, Museum im Lagerhaus, © Kunstmuseum Thurgau

Seit er begonnen hat zu zeichnen, bietet er seine Bilder neben den Blumen für wenige Franken zum Kauf an – nicht selten verschenkt er sie auch zu den Blumen. So werden Liebhaber und Kenner der Art Brut auf ihn aufmerksam, und seine Arbeiten werden ausgestellt. Bald feiert die Presse den Blumenverkäufer als «Genie von der Strasse», so dass er schliesslich von seiner Kunst leben kann. Heute noch zählt Hans Krüsi zu den bedeutendsten Schweizer Vertretern der naiven Kunst.

«Auch eine Kuh kann Optimist sein – auch wenn sie friert»

Krüsi ist viel in der Natur unterwegs. Hier findet er Frieden. Er macht Ausfahrten mit seinem Mofa, zeltet im Wald, nimmt dort Töne auf Band auf, die er später zu wahren Krüsi-Konzerten zusammenschneidet. Er hat sich nämlich ein veritables Tonbandgerät besorgt. Mit Tieren spricht er wohl mehr als mit Menschen. Mit einem Schmunzeln identifiziert er sich mit dem Esel. Doch die Kuh ist Krüsis wichtigstes Tier – weil sie so treu sei, wie er einmal sagt. Kühe begleiten ihn sein Leben lang: gezeichnet, gemalt, als künstlerisch überarbeitete Werbebilder auf Milchpackungen oder in meterlangen Kuhstreifen für seine «Kuhmaschinen», mit denen er frei gestaltete Alpfahrten lebendig werden lässt, indem er an seiner Konstruktion kurbelt.

Hans Krüsi, Kuhmaschine, undatiert, Karton und Holz, H 33 x B 42 x 12cm, Museum im Lagerhaus, © Kunstmuseum Thurgau

«Ein Esel ist nicht so dumm. Er frisst nur was er kennt keine Zigaretten.»

Neben Krüsis vielfältigen Arbeiten zeigt die Ausstellung auch, welche Resonanz er bei zeitgenössischen St. Galler Künstlern und Künstlerinnen fand. Siegfried Kuhn fotografierte ihn beim Bemalen des Bahnwagens, andere filmten ihn auf seinen Streifzügen durch die Stadt oder bei Begegnungen mit Bekannten.

Hedi Zuber, ‹H(ans) Krüsi› (II), undatiert, Mischtechnik auf Papier, 11,5 x 16,5 cm, Museum im Lagerhaus

Eine bemerkenswerte Beziehung scheint zwischen Hans Krüsi und der St. Galler naiven Malerin Hedi Zuber (1916–1996), auch sie eine Autodidaktin, bestanden zu haben. Bei Krüsi hängen kleine Werke von Hedi Zuber an der Wand, wie man auf einem Bild erkennt. Hedi Zuber wiederum bezieht sich in verschiedenen Arbeiten auf Krüsi. Sie porträtiert ihn als «Blumenmannli» oder mit typischen Merkmalen seiner eigenen Kunst oder nach Fotografien, die sie wohl in der Zeitung gesehen hat. Und dann hat sie noch eine überraschende Serie von Bildern in Postkartengrösse gemalt, die Hans Krüsi im Bad zeigen.

Bis 10. Juli Museum im Lagerhaus St. Gallen

Titelbild: Hans Krüsi bemalt den Velowagen der Appenzeller Bahnen, 1992, Foto © Siegfried Kuhn

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3 Kommentare

  1. Hallo

    Ich kann den Titel nicht wirklich nachvollziehen. Als erstes stört mich das oder. Zumindest wäre es durch ein und zu ersetzen. Dann kommt aber noch dazu, dass ein Mensch auf seine Arbeit, sein Hobby 8der sein Verstand reduziert wird. In unserer Kultur ist das zwar schon etwas besser geworden, dennoch identifiziert sich der Mensch immer noch (Ausnahmen gibts natürlich) über etwas Äusseres.
    Eine Schönheit, ein Künstler, eine Parrerin (wenigstens nicht mehr «Pfarrersfrau»), ein Obdachloser, eine Arbeitslose, eine Mutter…… meist reduzieren wir einen Menschen auf eine Eigenschaft, die an ihm besonders hervor sticht. Und sein Wert wird mit dem Wert dieser Eigenschaft verknüpft. Das finde ich das Schlimmste daran!
    Dieser Mann hatte einen Job und offenbar noch ein Hobby über das hier beri htet wird. Doch er hatte sicher noch viel mehr und vor Allem war er ein Mensch. Wertvoll wie JEDER Andere.

  2. Liebe Frau Güttinger
    Sie haben den Titel nicht richtig gelesen: Er heisst «Blumenverkäufer UND origineller Künstler». In den allerletzten Jahren seines Lebens war Hans Krüsi als Künstler so bekannt geworden, dass er seinen – stets bescheidenen – Lebensunterhalt davon bestreiten konnte.
    Hans Krüsi ist als Pflegekind und im Waisenhaus aufgewachsen, er konnte keine Lehre machen, die Behörden waren damals nicht bereit, einem jungen Menschen wie ihm eine Lehre zu finanzieren. Er hätte nämlich gern eine Gärtnerlehre gemacht. Viele Jahre arbeitete er als Gärtnergehilfe.
    Er liebte Blumen, steckte oft Blumen in seinen Hut, wenn er nach Zürich fuhr. An der Bahnhofstrasse, wo ihn die Zürcherinnen und Zürcher bald kannten, verkaufte er Blumen, die im Grosshandel übrig geblieben waren, und Alpenblumen, die er selbst gepflückt hatte.
    Seine Kunst gehörte zu seinem Leben wie die Blumen. Seine Werke, Bilder und Objekte, waren ihm kein «Hobby», sondern gehörten zu ihm, waren seine Ausdrucksform. Davon zeugen auch die Sprüche, die er notierte und in denen Witz und Weisheit verquickt sind.
    In keinem Wort meines Berichts wollte ich Hans Krüsi herabsetzen.
    Ein Besuch der Ausstellung lohnt sich!

  3. Vielen Dank Frau Petzold.

    Sie haben recht. Mein Gehirn, zusammen mit den Augen hat mir das nicht richtig vermittelt, oder ich war einfach zu flüchtig beim Lesen des Titels. Das tut mir leid. Und ich bin mir ganz sicher, dass Sie Herrn Krüsi nicht herabsetzen wollten. Meine weiteren Worte waren auch eher allgemein gemeint, im Sinne, dass es so gemacht wird in unserer Kultur. Das war nicht auf Sie speziell bezogen. Ausgelöst vom Titel, den ich falsch gelesen habe, habe ich mich darüber geäussert, was mir im Allgemeinen immer wieder auffällt.
    Und nicht nur, dass Andere uns an dem messen, was wir darstellen. Wir selber bauen unseren Wert darauf auf. Wir sind bemüht, unser Selbstwertgefühl mit Besitz, Können oder Aussehen zu stärken. Leider haben dann oft Menschen, die davon nicht allzu viel haben, das Gefühl, weniger wert zu sein. Es ist nicht selbstverständlich, dass jeder Mensch die gleiche Achtung verdient und an sich den gleichen Wert hat.
    Und die ganzen Überlegungen, die ich versuchte zu vermitteln, sind auf einem Irrtum meinerseits entstanden. Der Artikel hat mir gefallen und er ist auch sehr einfühlsam geschrieben. Also….. ich nehme mich wirklich selber an der Nase für mein schludriges Lesen des Titels.
    Ich bitte Sie um Verzeihung!

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