Der Zürcher Komponist Stefan Wirth hat im Auftrag des Opernhauses Zürich seine erste Oper geschrieben: «Girl with a pearl earring». Die Uraufführung am Sonntag wurde – man glaubt es kaum – begeistert aufgenommen.
Selten genug kommt es vor, dass es eine neue Oper gleich auf die grosse Bühne schafft, am Opernhaus Zürich zieht man dafür meist die Studiobühne vor. Doch das Werk, das Wirth schrieb, nahm grössere Dimensionen an, als ursprünglich gedacht. Das Orchester ist gross und vielfarbig besetzt, und die Oper dauert ohne Pause zwei Stunden – sie ist also auch abendfüllend.
Grosse Bühne und grosse Namen für Stefan Wirths erste Oper: Thomas Hampson als Jan Vermeer (l.) und ganz rechts das Dienstmädchen Griet (Lauren Snouffer), das er mit einem Perlenohrring malte. (Alle Bilder Opernhaus Zürich/Toni Suter)
Stefan Wirth (*1975) ist ein eigenwilliger und brillanter Musiker. Neben dem Komponieren sorgt er auch als hoch virtuoser Pianist im Collegium Novum Zürich immer wieder für Überraschungen. Er hat aber auch Spass am Theater. Als Theatermusiker arbeitete er mit so spannenden Regisseuren wie Christoph Marthaler und Frank Castorf zusammen.
Ein Bestsellerroman als Vorlage
Und nun präsentiert er also seine erste abendfüllende Oper. Als literarische Vorlage wählte er dafür den Bestsellerroman «Mädchen mit einem Perlenohrring» der amerikanischen Schriftstellerin Tracy Chevalier. Der Stoff wurde bereits mit dem Hollywood-Star Scarlett Johansson verfilmt.
Bei einer Vertonung denkt man da wohl zuerst an ein Broadway-Musical, doch Wirth bekam die Rechte tatsächlich für eine Oper. Die Geschichte dreht sich um das berühmte gleichnamige Bild des holländischen Malers Jan Vermeer. Erzählt wird sie aus der Perspektive der jungen porträtierten Frau, die als Dienstmagd bei den Vermeers arbeitet und vom Meister mit einem Perlenohrring gemalt und verewigt wird.
Dienstmädchen Griet, als Malermodell unsterblich geworden.
Für die Textvorlage arbeitete Wirth eng mit dem amerikanischen Librettisten Philip Littell zusammen. Es entstand eine fliessende Szenenabfolge in drei Teilen, in der auch Zeitsprünge vorkommen. Das Libretto hat eine poetische Kraft, es geht nicht um Aktionismus, sondern um seelische Befindlichkeiten, um Annäherung, Verzückung und Distanz.
Sprechende instrumentale Farben
Wirths Musik «malt» diese Befindlichkeiten mit starken instrumentalen Farben – einmal mit den vielfach besetzten Bläsern, dann mit dem üppigen Schlagwerk, oder mit den neun Bässen, dazu kommen vier Pianisten und zwei Harfenistinnen. Seine Kompositionstechnik erinnert an Györy Ligetis «Klangflächenkompositionen», aber auch an die französische Moderne, etwa die farblich schillernde Musik von Olivier Messiaen oder Gérard Grisey.
Verblüffend ist, wie transparent Wirths Orchesterpart ist und mit welch rhythmischer Feingliedrigkeit und Agilität er den grossen Apparat kammermusikalisch verflicht. So gelingt es ihm, eine stets sich wandelnde Klang-Atmosphäre in einen suggestiven Sog zu verwandeln. Zwei Stunden lang ist man davon wie gebannt.
Thomas Hampson als Vermeer, Lauren Snouffer als Griet im Kostüm des «Mädchen mit dem Perlenohrring».
Die Philharmonia Zürich ist nicht auf moderne Spieltechniken spezialisiert. Doch Peter Rundel dirigierte die Partitur mit grosser Weitsicht und dramaturgischem Flair. Ob als Begleiter der Sängerinnen und Sänger, oder als instrumentale Kraft, das Orchester wirkte sehr präsent, rhythmisch präzise und auf theatralische Wirkung bedacht.
Wie schreibt man heute für Stimmen?
Und die Gesangspartien? Grosse Kantilenen zu komponieren, das geht heute nicht mehr. Wirth nahm sich jedoch laut Programmheft vor, «perfekte vokale Linien zu schreiben». Dass ihm dafür eine Starbesetzung zur Verfügung stand, die er kannte, half natürlich: Thomas Hampson als Maler Vermeer, die junge amerikanische Sopranistin Lauren Snouffer als Dienstmagd Griet, Laura Aikin als die Gattin von Vermeer, und Liliana Nikiteanu als Maria Thins.
Szenen mal im Dunklen, mal hell erleuchtet: Die sich stetig bewegende Drehbühne schafft spannende Kontraste.
Wirths Gesangspartien sind einerseits aus dem Sprachduktus heraus komponiert, wirken also wie Sprechgesang, sie steigern sich aber immer wieder in moderne Koloraturen, in extreme Höhen und gewagte Sprünge. Die lichte Hauptpartie der Griet ist Lauren Snouffer wie auf den Leib geschrieben. Die Amerikanerin ist im Barock-Fach zuhause und hat auch schon Erfahrung mit moderner Musik. Was sie mit ihrer schlanken, weich timbrierten Stimme an Poesie, an Verzauberung über die Bühnenrampe bringt, ist umwerfend.
Eine Drehbühne, die ständig dreht
Regisseur Ted Huffmann erzählt die Geschichte auf einer ununterbrochen bewegten Drehbühne. Bühnenbildner Andrew Lieberman hat dafür einen schwarzen Bühnenboden und ein Wandstück entworfen, das mitdreht: kommt es vorne an der Bühne an, ist es pechschwarz, wenn es nach hinten dreht, zeigt es hell erleuchtete, abstrahierte Fenster. Nur wenige Requisiten charakterisieren die Szenen: ein Tisch mit Malutensilien, eine Speisetafel, ein Cembalo.
Die Protagonisten drehen sich mit der Bühne, und sie gehen ständig. Vor allem Griet wechselt den ganzen Abend vom hellen Raum in die dunkle Gasse und wieder zurück. Thomas Hampson hingegen wirkt in dieser abstrakten Leere als Maler wie verloren. Er singt die Partie mit warmer Kraft und grosser Ausstrahlung, doch nicht einmal für die grosse Malszene hat er eine Staffelei, er wirkt eher wie ein vor sich hin sinnierender Philosoph.
Starke Frauencharaktere
Liliana Nikiteanu, die am Opernhaus Zürich ihr dreissigjähriges Bühnenjubiläum feiert, gibt die alte Dame Maria Thins mit starker Bühnenpräsenz, während Laura Aikin der Malersgattin Catharina mit ihrem strahlenden Sopran etwas Herrschaftliches verleiht. In den Nebenrollen wissen die charakterstarke Altistin Irène Friedli als Tanneke und die wirblige Lia Tatin als Anführerin der Kinder mit markantem stimmlichem Profil zu überzeugen. Die Begeisterung des Premierenpublikums galt in erster Linie diesen grossartigen, meisterhaft modern geführten Stimmen.
Weitere Vorstellungen: 7, 9, 16, 24, 29 April; 6, 8 Mai