StartseiteMagazinGesellschaftSihl – Porträt eines Flusses

Sihl – Porträt eines Flusses

Jean-Daniel Blanc stellt im Buch «Die wilde und die zahme Sihl – Eine Landschaft im Fluss der Zeit» den Fluss, seine Kulturlandschaften und Geschichten, auch die stets drohenden Überschwemmungen, in zehn Kapiteln vor.

Wer über einen Fluss schreibt, muss eine besondere Beziehung zu ihm haben. Der Historiker Jean-Daniel Blanc arbeitet für die SBB und die Wasserversorgung der Stadt Zürich und ist nahe der Sihl in Wollishofen aufgewachsen. Zahlreiche Jugenderinnerungen verbinden ihn mit der Sihl. Auch ich lebte während meiner Kindheit mehrere Jahre in Wollishofen. Wir Kinder hatten damals einen riesigen Auslauf bis zur Allmend und zur Sihl, dazwischen kaum gefährliche Autostrassen.

Die Sihl ist ein Fluss der Kontraste. Sie fliesst auf siebzig Kilometern zwischen Schwyz, Zug und Zürich durch unterschiedliche Landschaften: vom steilen Quellgebiet durch den offenen Sihlsee, das enge bewaldete Sihltal bis ins Herz von Zürich.

Die Kulturlandschaften am Ober- und Unterlauf sind historisch eng miteinander verbunden, nicht nur in kriegerischen Konflikten, sondern ebenso über den gegenseitigen Handel. Noch heute sind die Ufer teilweise völlig unzugänglich, an anderen Orten drängen sich Strassen und Schienen über und neben dem Fluss.

Die Kapitel im Buch folgen weitgehend dem Lauf der Sihl, und da ein Fluss die Dichter anregt, erscheinen auch verschiedene Aussagen von Goethe, Salomon Gessner, Gottfried Keller oder von Hugo Loetscher.

«S: Gessners Wohnung im Sihlwald», Aquatinta, 1830, ZB Zürich. Salomon Gessner (1730-1788), bekannt für seine «Idyllen», bekleidete ab 1781 das Amt des Sihlherrn und empfing im Forsthaus im Sihlwald zahlreiche Besucherinnen und Besucher aus ganz Europa.

Die Bezeichnung wilde und zahme Sihl wurde in Zürich während Jahrhunderten verwendet. Der Ursprung des Namens wird in keltischer Urzeit vermutet. Erstmals erscheint der Begriff Sylaha in einem Dokument aus dem Jahr 1018, was vieles bedeuten kann: von kleinem tobendem Gewässer über wildes Wasser bis die Starke.

Die Sihl als Bergbach im Quellgebiet

Die Sihl entspringt den Schwyzer Voralpen. Bei Einsiedeln wird sie und die Minster zum Sihlsee gestaut. Bereits vor 15’000 Jahren gab es an dieser Stelle einen grösseren Natursee. Unterhalb der Staumauer überquert die Teufelsbrücke die Sihl, unmittelbar daneben kam 1493 Paracelsus zur Welt.

Von Schindellegi bis Sihlbrugg erstreckt sich das Sihltobel, im unteren Teil auch mit Stromschnellen, wie hier beim Sihlsprung.

Ab Sihlbrugg fliesst das Gewässer durch das bewaldete Zürcher Sihltal, ein Naturschutzgebiet zwischen Sihlbrugg und Langnau am Albis. Nach Leimbach erreicht es die Stadt im Gebiet der Allmend Brunau. Diese Schwemmebene mit minderwertigen Böden wurde gemeinschaftlich genutzt und ab dem 17. Jahrhundert zum Militärübungsgebiet, über das sich Gottfried Keller in den «Züricher Novellen» lustig machte. Heute finden auf der Allmend hauptsächlich Freizeitaktivitäten statt.

Die fast zwei Kilometer lange Sihlhochstrasse steht auf massiven Betonpfeilern im Fluss.

Die durchgehende Sihlstrasse und die Sihltalbahn wurden in den 1890er Jahren an den Rand der Allmend verlegt. Heute gibt es hier drei Betonbrücken neben- und übereinander, die Sihlhochstrasse steht auf massiven Betonpfeilern im Fluss und führt den Autobahnverkehr ins Stadtzentrum. Dennoch werden auch die unwirtlichen Uferwege zu Fuss oder per Velo rege genutzt. Nach der Hochstrasse kann die Sihl wieder frei strömen und die Promenade mit baumbestandenem Ufer wird richtig idyllisch, bis die Sihl unter dem Hauptbahnhof hindurch am Platzspitz beim Landesmuseum in die Limmat mündet.

Die hohe Brücke bei Gattikon von 1642 war gegen Hochwasser und Triftholz geschützt. ZB, Zürich.

Der Autor behandelt auch die traditionelle Nutzung der Sihl. Obwohl sie nie schiffbar war, spielte sie während Jahrhunderten eine bedeutende Rolle beim Holztransport, der Holztrift. Da die Stadt für das Gewerbe enorme Mengen Brenn- und Werkholz benötigte, bezog sie Holz vom Oberlauf der Sihl, wo zur Schaffung von Weideflächen Wald gerodet wurde. Für die Holztrift wurden die Holzstämme im Berggebiet in den Fluss geworfen und unten in der Stadt angekommen, zog man sie heraus. Auch der Sihlwald diente der Holzversorgung, er ist bis heute Eigentum der Stadt.

Weitere Kapitel beschäftigen sich eingehend mit der Entwicklung der Industrialisierung am Flusslauf. Lange Zeit wurde die Wasserkraft der Sihl fast nur in Zürich genutzt. Für den Antrieb von Mühlen musste das Sihlwasser in einen Kanal geleitet werden, um eine gleichmässige Strömung für die Bewegung der Wasserräder zu erreichen. Einen Flussarm vor den Mauern der mittelalterlichen Stadt, den Sihlkanal, nannte man zahme Sihl, im Gegensatz zum Hauptfluss, wilde Sihl.

In Gattikon sind beidseits der Sihl noch alte Industriebauten erhalten, wie die heute umgenutzte alte Spinnerei.

Der Aufschwung im abgelegenen Sihltal erfolgte erst im 19. Jahrhundert. Die Textilindustrie baute Spinnereien und Webereien zwischen Langnau und Wiedikon direkt am Wasser, und in kurzer Zeit besiedelte sich das Tal. Zwar hatte die Sihlebene bei Einsiedeln schon früh die Aufmerksamkeit von Industriellen auf sich gezogen, doch erst 1937 entstand der heute flächenmässige grösste Stausee der Schweiz.

Sihlhochwasser 1732 bei der alten Silhbrücke in Zürich. ZB, Zürich.

Besondere Aufmerksamkeit erhalten im Buch auch die wiederkehrenden Hochwasser. Der Autor kann sich auf verschiedene historische Dokumente stützen, die von der wilden Sihl berichten, die immer wieder Brücken mit sich riss. Da man die Siedlungen im grossen Abstand zum Fluss baute, hielten sich die Schäden für die Bevölkerung in Grenzen. Dennoch fürchtete man sich stets vor Überschwemmungen, denn die Sihl kann nach starkem Regen binnen Stunden gewaltig anschwellen. Mit dem Bau des Sihlsees glaubte man, die Gefahr beseitigt zu haben, nur die Angst vor einem Dammbruch ist geblieben. Heute ist das Wohnen an der Sihl begehrt.

Naturnahe Gestaltung beim Zusammenfluss der Sihl in die Limmat, die normalerweise mehr Wasser führt als die Sihl, hinter dem Hauptbahnhof.

Bis Ende des 20. Jahrhunderts gab es im ganzen Alpenraum nur wenige Hochwasser. Doch Ende August 2005 führte anhaltender Starkregen zu massiven Überschwemmungen, die mehrere Todesopfer forderten. Zürich hatte Glück. Nur weil das Zentrum der Niederschläge über dem Berner Oberland lag und nicht über dem Einzugsgebiet der Sihl, blieb die Stadt von einer Katastrophe verschont. Für die ganze Schweiz war dieses Ereignis ein Weckruf, und auch in Zürich begann man, den Flussraum naturnah zu gestalten. Heute ist die Sihl nicht nur sicherer geworden, auch die Lebensqualität ist gestiegen. Es ist eine wahre Freude, der Sihl entlang zu laufen.

Titelbild: Die Sihl, Ölgemälde von Otto Alexander Pilny d.J. (1897-1958), Foto: rv

Fotos: Jean-Daniel Blanc, die Bilder sind dem Buch entnommen

Jean-Daniel Blanc, «Die wilde und die zahme Sihl. Eine Landschaft im Fluss der Zeit», zahlreiche Abbildungen und Kartenmaterial,  Verlag Hier und Jetzt, Zürich 2021, ISBN 978-3-03919-547-3

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1 Kommentar

  1. Ja, ein wirklich spannendes Buch, gut beschrieben in dieser Rezension. Danke auch für die ergänzenden Bilder – der einzig schwache Punkt des Buches ist die (aus meiner Laien-Sicht) schlechte Bildredaktion.

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