Seit 2006 wirkt Daniel Kallen schweizweit als protestantischer Pfarrer und Seelsorger ohne Kirchgemeinde. Seniorweb hat Don Daniele, wie er sich nennt, an seinem Wohnort in Gerolfingen am Südufer des Bielersees besucht.
Die meisten Pfarrer und Pfarrerinnen sind von einer Kirchgemeinde angestellt und haben einen kommunal begrenzten Wirkungskreis. Nicht so Daniel Kallen: Der 59-Jährige, der mit seiner Familie am sonnigen Südufer des Bielersees lebt, ist schweizweit tätig, hat keine Kirchgemeinde als Arbeitgeber. Pro Jahr reist er rund 50 000 Kilometer und vollzieht seine Handlungen oft nicht in einer Kirche, sondern in der Natur: Taufen und Trauungen in einem Wald oder an einem See scheinen einem wachsenden Bedürfnis zu entsprechen. Ausserdem wirkt er als Seelsorger, Trauerbegleiter und Trauerredner auf Bestattungen in der Natur.
Im Eingangsbereich hängen zahlreiche Familienfotos.
Don Daniele empfängt mich im hellen Wohnzimmer seines Einfamilienhauses in Gerolfingen, am Südufer des Bielersees. Dort wohnt er zusammen mit seiner Familie. Moderne Kunst schmückt die Wände, im Eingangsbereich hängen zahlreiche Familienfotos. Vor dem Haus steht das beschriftete Geschäftsauto, ein Kundenparkplatz verrät, dass er geschäftlich auch besucht wird. Im Garten hinter dem Haus leuchten Bäume und Büsche in allen Herbstfarben. Man spürt es auf Schritt und Tritt: Daniel Kallen lebt nahe bei der Natur.
Primarschule und Konfirmation in Frutigen
Die Grundschule und den Konfirmandenunterricht besuchte Kallen in Frutigen. «Ich kann mich noch sehr gut an den Geruch in der Frutiger Kirche erinnern», erzählt er. Am Lehrerseminar in Spiez liess er sich zum Primarlehrer ausbilden und studierte nach ein paar Jahren Unterricht an den Universitäten Bern und Fribourg Theologie. Anschliessend war er an der Heiliggeist-Kirche in Bern, in Sutz (Bielersee) und in Ormalingen (Basel) als Pfarrer tätig. In Biel ist er noch heute Spitalpfarrer.
Mit der Amtskirche in Konflikt geriet Kallen, weil er Rituale wie Taufe oder Trauung nicht nach den vorgeschriebenen Vorschriften in einer Kirche durchführte. Dreimal wurde er vor den Synodalrat zitiert. So entschloss er sich 2006, religiöse Zeremonien als selbständiger Pfarrer anzubieten. Waldtaufen machte er schon vorher. Der Theologe ist nach wie vor ordiniert. Seine Kunden erhalten eine Tauf- respektive einen Trauschein. Für 95 Prozent der Menschen sei das Papier ohnehin nicht wichtig. Wichtiger sei für sie, dass er studierter Theologe sei, erklärt er.
Den Pfarrberuf hat er revolutioniert. Als selbständig erwerbstätiger Seelsorger macht er Marketing für seine Angebote. Diese widerspiegeln sich in den Web-Adressen (Domains), die auf separate Webseiten verlinkt sind. Die Adressen sind selbsterklärend: don-daniele.ch, sterbebegleiter.com, arsmoriendi.ch, taufe.name, hochzeitspfarrer.ch, freie-trauung.top, wegbegleitung.ch, zeremonien.top. Kallen hat kein fixes Büro. Den Laptop im Rucksack oder in der Mappe, kann er im Zug, im Bus oder in der Natur arbeiten. Das Mobile-Telefon ist eines seiner wichtigsten Arbeitsinstrumente. Deshalb braucht er auch keinen Kirchenraum und kein Pfarrhaus.
Stört in doppeltem Sinn
Im Garten leuchten die Herbstfarben.
Eine Gemeinde entsteht für Kallen «ad hoc» und immer wieder neu: Er geht zu den Gläubigen «auf Stör». Und er stört die eingefahrenen Strukturen und Denkmuster der reformierten Landeskirche. «Am Anfang wollte ich die Kirche reformieren. Sechs Jahre lang war ich sogar Mitglied der Synode», erzählt Kallen. Leider sperre sich die Kirche und halte bis heute an alten Regeln fest. Dabei habe sie ihr vermeintliches Monopol längst verloren. Er selbst habe den Talar an den Nagel gehängt, weil er seine Berufung als «freier Geist» besser erfüllen könne. «In meinen Gesprächen und Reden geht es oft nicht um Gott oder Jesus. Es geht mir um den Menschen und seine Spiritualität».
Zahllose interessante Erfahrungen machte Kallen bei seinen Gesprächen am Sterbebett. Darüber hat er ein Buch geschrieben. Immer weniger Sterbende beschäftige die Frage, was nach dem Tod kommt. Viel wichtiger sei, dass Sterbende loslassen könnten, letzte Konflikte gelöst würden, dass man das Schicksal akzeptiere, ja zu sich und seiner Familie sagen könne, dass man sich bewusst werde, nicht wichtig zu sein. Jeder Mensch sterbe anders, lautet seine These. Die Qualität des guten Sterbens nennt Kallen «Ars Bene Moriendi».
Philosophisch meint er zum Schluss unseres Gesprächs: «Vielleicht ist der Tod am schönsten, wenn wir in unsere schönsten Erinnerungen hineinsterben. Denn mit schönen Erinnerungen kann man leichter loslassen.» Am Ende des Lebens gehe es nicht mehr um Erfolge, sondern um die Fähigkeit, in schönen Erinnerungen in die Ewigkeit hineinzusterben.
Titelbild: Don Daniele in seinem Wohnzimmer. Fotos: Svetlana Allimann und PS
Buchhinweis:
Daniel Kallen, Jeder Mensch stirbt nur einmal, Verlag Zytglogge, 2022, ISBN 978-3-7296-5084-8
Begegnungen am Sterbebett – Seniorweb
Link: Zeremonien, Rituale, Coaching (don-daniele.ch)
Da haben Sie dem Selfmade Manager und Selbstdarsteller, der im Namen des Herrn so fleissig unterwegs ist, Gratiswerbung verschafft, Herr Schibli. Er macht seine Sache scheins gut und sehr professionell, wie ich aus meinem Bekanntenkreis höre. Ich kenne auch die Gemeinde im Seeland, die ihn rausgeschmissen hat, weil er sich nicht an die Menschen und die ihnen wichtigen Rituale anpassen wollte. Er will auch als protestantischer Pfarrer sein Ding machen, möglichst ohne Kompromisse.
Manche mögen diese neue Art, wie man mit Hochzeiten, Begräbnissen und dem Tod umgeht. Sie hat aber natürlich auch ihren Preis, den sich nicht jeder leisten kann oder will.
Aber wer weiss, vielleicht werden wir in der Zukunft die Dienstleistungen der Kirche genauso konsumieren wie irgendeine andere Dienstleistung, z.B. einen Theaterbesuch. Aber dann möchte ich mit meinen Kirchensteuern diese Dienstleister nicht auch noch finanzieren müssen.