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Ende des Pazifismus?

Im Rahmen der dreitägigen von Dieter Thomä organisierten Konferenz an der Uni St. Gallen mit dem Titel «What Comes After?» diskutierten Svenja Flasspöhler, James Davis und Christoph Menke über die Frage “Krieg 2023 – Ende des Pazifismus?»

What comes after? Was kommt nachher? Was kommt nach dem Krieg in der Ukraine? Beginnt ein neues pazifistisches Zeitalter oder gelangen wir sogar in ein Zeitalter des ewigen Friedens, wie dies Immanuel Kant in seiner Schrift «Zum ewigen Frieden» entworfen hatte? Antworten darauf gab es in dieser Diskussion nicht, aber es wurden einige zentrale Fragen aufgeworfen.

Was ist Pazifismus?

Pazifismus als Friedensbewegung oder als weltanschauliche Strömung kann einer persönlichen ethischen oder religiösen Haltung der Gewaltlosigkeit entspringen oder ein politisches Projekt werden, bei dem zum Ausgleich von politischen Interessengegensätzen auf die Anwendung von Gewalt mit kriegerischen Mitteln verzichtet wird.

Christoph Menke plädierte dafür, Pazifismus nicht als Haltung zu verstehen, sondern als Rede über den Krieg. Denn wer Frieden wolle, müsse über den Krieg reden. Nicht zielführend seien verbale Auseinandersetzungen über Absichten, Gründe und Ziele für oder in einem Krieg, über moralische Bewertungen von kriegerischen Handlungen, über politische Rechtfertigungen usw. In Anlehnung an Simone Weil lud er ein, Krieg als materialistische Methode zu betrachten, in dem über das Mittel kriegerischer Gewalt für irgendwas gekämpft wird. Bloss würden die Mittel niemals Mittel bleiben, sondern sich gegenüber den Zwecken verselbständigen und zu ungeahnten Eskalationen führen. Deswegen sei der Krieg seiner Logik nach verbrecherisch. Jeder Krieg sei verbrecherisch.

Gibt es einen gerechten Krieg?

Wenn gesagt wird «Jeder Krieg ist verbrecherisch», werden implizit völkerrechtliche und andere Rechtfertigungen eines «gerechten Krieges» in Frage gestellt. Leider wurde in der Diskussion nicht näher darauf eingegangen. Stattdessen wurden bezogen auf den Krieg in der Ukraine Mutmassungen über mögliche Interessen des Westens, der Russen, Putins, Selenskis, der Amerikaner, der Chinesen und der Nato ausgetauscht, wodurch die Diskussion verflachte.

Frieden als Interessenausgleich?

Auf die Frage, wie denn der Krieg in der Ukraine beendet werden könnte, war man schnell bei der Forderung nach einem Waffenstillstand und nach Verhandlungen mit dem Ziel eines Interessenausgleichs. Die Gefahr einer atomaren Eskalation und die Problematik einer weltweiten militärischen Aufrüstung standen unausgesprochen im Raum.

Wie der Angriffskrieg Putins auf die Ukraine völlig aus der Zeit gefallen ist, so mögen manche aus dem Publikum die Diskussion  an der Round Table als überflüssig und veraltet empfunden haben. Vor allem wurde beim Ziel eines Interessenausgleichs zu wenig genau nachgefragt, ob es bei den Interessen um lokale, nationale oder globale Interessen geht. Geht es um staatsegoistische Interessen oder um Interessen für das Gemeinwohl aller auf diesem Planeten?  Wie kann vorgegaukeltes Interesse am Gemeinwohl unterschieden werden von echtem Engagement im weltbürgerlichen Sinn.

Ewiger Frieden?

In einer Zeit des wieder zunehmenden Welthungers, der menschengemachten ökologischen Katastrophen, der Klimakrise, der Vermüllung von Luft, Wasser und Erde und der Problematik eines wachstumsorientierten Kapitalismus auf einem begrenzten Planeten ist Krieg und Vorbereitung auf Kriege keine Option mehr. Stattdessen sollte die Weltgemeinschaft innehalten und der UNO-Sicherheitsrat sollte dringend reformiert werden. Dazu könnte Kant mit seiner Schrift «Zum ewigen Frieden» von 1796 (zweite, erweiterte Auflage) Wesentliches beitragen. Erinnert sei nur an zwei der sechs Präliminarartikel (Präliminarartikel sind Verbotsartikel, welche staatliche Interessen im Blick auf ein friedliches Zusammenleben einschränken): «3. Stehende Heere (miles perpetuus) sollen mit der Zeit ganz aufhören.» und «5. Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines anderen Staates gewalttätig einmischen.» Erinnert sei auch an die drei «Definitivartikel» seiner Schrift (Die Definitivartikel sind notwendige Bestimmungen einer Friedensordnung):  1. «Die bürgerliche Verfassung in jedem Staat soll republikanisch sein.» 2. «Das Völkerrecht soll auf einen Föderalismus freier Staaten gegründet sein.» 3. «Das Weltbürgerrecht soll auf Bedingungen der allgemeinen Hospitalität (Gastrecht) eingeschränkt sein.»

Die Diskussion zeigte, dass  eine Friedensdiskussion auf einem krisengeschüttelten Planeten ohne gemeinsames weltbürgerliches Interesse und ohne Orientierung am Wohl der Weltgemeinschaft Schaumschlägerei ist.

Titelbild: Teilnehmende auf dem Podium: v.l. James Davis (Professor für Politikwissenschaften mit besonderer Berücksichtigung der Internationalen Beziehungen), Svenja Flasspöhler (promovierte Philosophin, Chefredakteurin des Philosophie Magazins), Christoph Menke (Professor für Praktische Philosophie mit Schwerpunkt Politische Philosophie und Rechtsphilosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main) (Foto © Universität St. Gallen, Hannes Thalmann)

Literatur: Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden. Reclam 2022, 112 S. ISBN: 978-3-15-014382-7, Fr. 6.80

 

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