Von 1971 bis 1981 unterrichtete meine Kollegin Maja Petzold Deutsch als Fremdsprache. Sprachen sind eine ihrer Leidenschaften. Den Leserinnen und Lesern von Seniorweb ist sie besser bekannt als Buchrezensorin und Kunstkennerin. Ein Gespräch mit der vielseitig interessierten Germanistin und Historikerin.
Die Büchergestelle in ihrem Wohnzimmer sind gefüllt mit Werken aus der Weltliteratur sowie Kunstbüchern und Ausstellungskatalogen. Zwischendrin entdecke ich mehrere Ausgaben des Dudens sowie den «Petit Larousse» und den «Western Concise Dictionary». Seit ihrer Jugend interessiert sich Maja Petzold für Sprachen. Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Dresden geboren, musste sie im früheren Ostdeutschland als erste Fremdsprache Russisch lernen. Mit den Jahren kamen Französisch, Englisch, Italienisch und Spanisch hinzu.
Nach Studienjahren in Freiburg i. Br., Zürich und Heidelberg zog die junge Frau in den siebziger Jahren nach Zürich. Während dieser Zeit lernte sie Schweizerdeutsch, auch das für die inzwischen eingebürgerte Schweizerin eine Fremdsprache. Sie hatte im Rahmen ihres Germanistikstudiums auch Mittel- und Althochdeutsch studiert und fand gewisse Ähnlichkeiten im Schweizerdeutsch. So kam es, dass Maja zuerst am Goethe-Institut in München und in Iserlohn und dann in den siebziger Jahren am «Audio-Visuellen Sprachinstitut» in der Limmatstadt Deutsch als Fremdsprache unterrichtete.
Mündlicher Ausdruck zuerst
Bei Grüntee, Bündner Torte und frischen Erdbeeren reden wir am Esstisch im Wohnzimmer über ihre diesbezüglichen Erfahrungen. «In der Schweiz wurde mir bewusst, wie Sprache funktioniert», erklärt Maja und ergänzt: «Ob man als Kind Hochdeutsch, Schweizerdeutsch oder Plattdeutsch lernt, macht fürs spätere Erlernen von Fremdsprachen keinen Unterschied». Aber die Rahmenbedingungen sind essenziell: 1955 musste sie als Schülerin Russisch, die Sprache der «Befreier», lernen. «Zu meinem Bedauern erhielten wir einen schlechten Russischunterricht, obwohl ich eigentlich Sprachen leicht lerne. Es lag wohl am System und an den verschiedenen Lehrpersonen, die teilweise selbst die Sprache nicht gut beherrschten oder kein Geschick als Lehrer hatten», erinnert sie sich. Später bedauerte sie es, die grossen russischen Schriftsteller nicht im Original lesen zu können.
Blick in das Büchergestell der ehemaligen Fremdsprachenlehrerin.
In der Volksschule eine Fremdsprache sauber und umfassend zu erlernen, ist für Maja Petzold nach heutiger Erfahrung nur schwer möglich. In der Schule lerne man, wie man sich eine Sprache methodisch am einfachsten aneigne. «Die Fremdsprache selbst lernt man nur dann nachhaltig, wenn man sie täglich spricht und benutzt, nicht wenn man trockene Papiere liest.»
Hilfsmittel: Bilder und einfache Sprache
Positiv sind ihre Erinnerungen an die Zeit als Fremdsprachenlehrerin: «An den Sprachschulen, an denen ich unterrichtete, begann ich stets mit einfachsten Situationen: Hören, die Situation verstehen, nachsprechen und Varianten üben. Eine Lehrperson kann unmöglich in allen Sprachen der Schülerinnen und Schüler unterrichten. Deshalb gehört es zu dieser Methode des Sprachunterrichts, sich so einfach wie möglich auszudrücken und im Unterricht stets Tonband und Bilder zu benutzen.» – Obwohl die technischen Mittel damals bei weitem nicht so perfekt waren wie heutzutage, gehörten sie unabdingbar zum Unterricht.
Wie man lernt, sich in einer Fremdsprache auszudrücken, hängt laut Petzold stark von früheren Lernerfahrungen und von der Komplexität der Zielsprache ab: Wer gewohnt ist, primär über das Ohr zu lernen, sollte dafür Wege finden, was heutzutage viel mehr gefördert wird als vor 50 Jahren. Wer aber über das Auge und über das begriffliche Verständnis lerne, werde wohl auch beim Lernen Texte zum Lesen und Schreiben vorziehen.
Jede Fremdsprache hat nach ihrer Erfahrung spezielle Eigenheiten: Die spanische Sprache hat eine ganz eigene Intonation, die Menschen in Wien erkennt man an ihrem Akzent. Alles hängt davon ab, welche Muttersprache man als Kind gelernt hat. «Für Russinnen und Russen ist Deutsch nicht so schwierig. Engländer und Amerikaner haben da schon mehr Mühe mit Deutsch,» erinnert sich Maja Petzold. Auch im Französischen unterscheiden sich die Sprachmusik und die Regeln stark von den entsprechenden Charakteristika der deutschen Sprache.
Zwei Lieblingsbücher
Alfred Tomatis, Das Ohr und das Leben.
An dieser Stelle des Gesprächs legt die frühere Sprachlehrerin und heutige Redaktorin zwei ihrer Lieblingsbücher auf den Tisch: Das erste stammt von einem Ohrenarzt: Alfred Tomatis, in Südfrankreich geboren, aber vor allem in Paris tätig gewesen, hat Methoden entwickelt, um Sängerinnen und Sängern nach einem Hörsturz oder einem anderen Hörproblem (Ohrenentzündung) das Singen wieder beizubringen. Denn wer seine eigene Stimme nicht hört, kann nicht richtig singen. Dieses spezielle Training der Ohren kann auch beim Erlernen von Fremdsprachen helfen, indem Schülerin und Schüler auf die Sprachmelodie achten und lernen, sich in die Sprache einzufühlen. «Bei Tomatis habe ich gelernt, was mir lange nur intuitiv bewusst war: In der Sprache drücken sich nicht nur Gedanken – Tatsachen, sondern auch Empfindungen aus. Kein Mensch ist ein «sprechender Apparat». Ob ich will oder nicht, alles was ich sage, ist auch von den emotionalen Anteilen meiner Persönlichkeit geprägt», erklärt Maja.
Das zweite Buch stammt vom berühmten Schweizer Sprachwissenschaftler Frederick Bodmer. Er ist Autor einer vielgelesenen populärwissenschaftlichen Darstellung über «Die Sprachen der Welt». Bodmer schrieb seine Dissertation 1924 an der Universität Zürich zum Thema «Studien zum Dialog in Lessings Nathan». Danach lehrte er in den 1930ern und 1940ern an der Universität Kapstadt, wo er 1933 als Trotzkist und politisch Radikaler galt. Später forschte Bodmer in den USA am «Massachusetts Institute of Technology» (MIT).
Schweizerdeutsch als Fremdsprache
Frederick Bodmer, Die Sprachen der Welt.
Oft vergessen wir Schweizerinnen und Schweizer, dass auch unsere Mundart für Zugezogene eine Fremdsprache ist. Maja Petzold lernte 1977 «Züri-Dütsch» bei einer Kollegin ihres Instituts. Schwierig empfand sie vor allem die Aussprache. Viele Schweizerdeutsch-Ausdrücke sind verstaubt, uralt und werden im Hochdeutschen nicht mehr benutzt. Als Beispiel nennt sie «heuschen» (etwas verlangen). Diesen 500jährigen Ausdruck gibt es heute im Hochdeutschen nicht mehr.
Schliesslich weist Maja Petzold auf die grossen Unterschiede im Dialekt der Kantone hin. Unterscheiden könne man diese Eigenheiten erst, wenn man Grundkenntnisse im Schweizerdeutschen besitzt. Bündnerdeutsch habe sie schnell verstanden. Walliserdeutsch sei für Fremde schwieriger zu verstehen, sagt sie. Gefragt nach ihrer Lieblingsfremdsprache nennt sie Französisch.
Zum Schluss des Gesprächs möchte ich wissen, welche Vorteile meine Kollegin sieht, wenn man eine oder mehrere Fremdsprachen beherrscht. Nach kurzem Überlegen liefert sie zwei Antworten: «Je mehr Fremdsprachen man spricht, desto einfacher ist jede neue Fremdsprache, denn man hat das Lernen schon gelernt.» Bedeutender klingt für mich die zweite Antwort: «Fremdsprachen lernen macht offener, erweitert den Horizont, die Toleranz», sagt die Rentnerin und ergänzt: «Wenn man andere Sprachen kennt, kann man sich besser in fremde Verhältnisse einfühlen, situativer auf das Gegenüber eingehen. Denn dank Fremdsprachen kann man fremde Mentalitäten besser verstehen. Reisen bildet, Reisen mit einer Fremdsprache bildet mehr.»
Titelbild: Maja Petzold am Esstisch ihres Wohnzimmers. Fotos PS
BUCHHINWEIS:
Alfred Tomatis, Das Ohr und das Leben. Verlag Laffont, 1991. ISBN 978-2-221-06834-2
Frederick Bodmer, Die Sprachen der Welt, Kiepenheuer & Witsch, 1951
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Maja Petzold