Weitblick

Freitag war ein Tag wie aus dem Bilderbuch. Nach zu vielen Tagen mit Niederschlägen, Wolken, Kälte und sogar Gewittern schien an einem wolkenlosen Morgenhimmel die wärmende Sonne. Grund genug, um wieder einmal auf einen Aussichtsberg zu fahren.

„Heute beginnt der Frühling“, meint der Angestellte der Niesenbahn, als er mir um 8.30 Uhr in Mülenen die Schiebetür zur Kabine öffnet. Frühling ists, obwohl auf dem Niesen am 10. Mai 2024 nach wie vor winterliche Verhältnisse herrschen. Ganz oben liegt so viel Schnee auf dem Wanderweg, dass man den Gipfel noch nicht zu Fuss, sondern nur mit der Bahn erreichen kann.

Auf Kulm angekommen, geniesse ich die Klarheit des Morgens. Mein Blick wandert vom Aaretal über die Stadt Thun via Thunersee nach Interlaken. Im Hintergrund grüsst der Brienzersee. Das Sigriswiler Rothorn und das Niederhorn haben sich herausgeputzt. Gegen Süden strahlt die lückenlose Alpenkette, von den Innerschweizer Gipfeln bis zur den Fribourger Höhen. Im Zentrum das Berner Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau. Nicht zu übersehen das Simmental und das Kandertal, wo der Ausflugverkehr einsetzt, die Menschen ihren Tätigkeiten nachgehen, auf den grünen Wiesen das Vieh weidet.

„Heute ist Frühling“ bedeutet für die Niesenbahn vor allem auch Ansturm. Am frühen Morgen finde ich noch gut Platz in der engen Kabine, aber ab 11 Uhr, als ich wieder runter fahre, bildet sich eine lange Schlangen vor dem Ticketschalter in Mülenen. Für einmal störte das Warten niemanden. Denn alle haben ein Ziel: Weitblick.

Der Ausdruck bezeichnet nicht nur die Möglichkeit, in die Ferne zu blicken, etwa von einem Berggipfel aus, sondern auch die Fähigkeit zur Vorausplanung. Gemeint ist damit die Fähigkeit, zukünftige Entwicklungen vorherzusehen und zu berechnen. Weitblick (Eigenschreibweise „weitblick“) heisst  schliesslich auch eine unabhängige, überparteiliche und gemeinnützige Studenteninitiative, die sich für einen weltweit gerechteren Zugang zu Bildungseinrichtungen einsetzt.

Für jeden Weitblick braucht man Klarheit: in der Bergwelt, aber auch im menschlichen Kopf.

Ukrainekrieg, Gazakrieg, Menschenrechtsverletzungen, Terror, menschliches Leid: wo bleibt da der Weitblick? Ich bin ratlos und fühle mich ohnmächtig. Doch da ist auch noch ein zweiter Gedanken: Auf dem Niesen wird mir an diesem Prachtsmorgen einmal mehr bewusst, wie gut, friedlich, sicher, gesättigt, gewärmt und wohl gebettet wir in unserem Land leben.

Und ich frage mich: Wie haben wir diesen Frieden, diesen Wohlstand verdient?

Alle Fotos: © Peter Schibli. Aufgenommen am 10.5.24 mit einer Nikon ZZ50. Nikkor-Objektiv Z DX 16-50 mm.

http://www.schibli.blog

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