Achtung! Jetzt wird’s ernst. Das Ja zur 13. AHV-Rente hat den Bundesrat gehörig aufgeschreckt. Erstmals will er Leistungen bei der Altersvorsorge kürzen. Schlag auf Schlag präsentiert er Vorschläge, wie er Teile der Altersvorsorge neu regeln, Leistungen und Steuerprivilegien abbauen will. Das kann uns nicht kalt lassen, weil es erstmals auch bisherige Renten betrifft: die Witwen-Renten.
Zuerst präsentierte er ein massives Sparpaket, mit dem er den Bundeshaushalt, der gegen 90 Milliarden verschlingt, massiv um über 4 Milliarden straffen will. Einerseits sollen künftig Ausgaben gestrichen, andererseits Steuervergünstigungen wegfallen. Ein Posten von rund 320 Millionen im Sparpaket ist in den Medien beinahe untergegangen, der vor allem den Mittelstand, mittel- und gutverdienende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer direkt betreffen wird. Nun überbieten sich die Medien mit Analysen und Stellungnahmen, weil die bürgerlichen Parteien gemerkt haben, was auf ihre Klientel zukommen könnte. Sollte der Bundesrat damit durchkommen, haben die, welche sich eine 3. Säule leisten konnten und weiterhin können, künftig auf Steuervorteile insbesondere bei der dritten Säule, aber auch bei einem Kapitalbezug der 2. Säule zu verzichten. Bekanntlich können Arbeitnehmende jedes Jahr bis 7000, Selbständige bis 35’000 Franken (max. 30% des Einkommens) in die dritte Säule einzahlen. Arbeitnehmende können auch freiwillig Lücken in der Pensionskasse füllen. Diese Zahlungen können direkt vom Einkommen abgezogen werden, was zu deutlich tieferen Steuern führt. Wenn nun beim Bezug der Gelder die besondere, niedrige Besteuerung abgeschafft werden soll, wird das die Attraktivität der dritten Säule massiv schmälern. Für viele ist der Vorschlag ein Verstoss gegen Treu und Glauben.
Am letzten Mittwoch folgte der nächste Schlag: Der Bundesrat verabschiedet eine längst angedachte Reform der Witwen- und Witwerrenten. Mit der Vorlage geht der Bundesrat auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ein, in dem festgehalten ist, dass die bisherige Praxis die Rechtsgleichheit zwischen Frau und Mann verletzt; die Frauen seien markant bessergestellt. Bisher erhalten Männer nach dem Tod der Ehefrau nur so lange eine Witwerrente, bis ihr jüngstes Kind volljährig wird. Witwen mit Kindern hingegen erhalten eine Rente unabhängig davon, wie alt die Kinder sind und ob sie noch daheim wohnen. Sogar kinderlose, erwerbstätige und geschiedene Frauen erhalten heute in der Regel Witwenrenten. Zurzeit betragen die AHV-Witwenrenten im Durchschnitt 1630 Franken pro Monat. Damit soll jetzt Schluss sein, geht es nach dem Bundesrat.
Der einfachste und schnellste Weg wäre gewesen, die Witwer einfach den Witwen gleichzustellen. Das hätte nicht Einsparungen, sondern markante Mehrkosten verursacht. Das will der Bundesrat auf seinem Spar-Tripp auf jeden Fall verhindern. Sein wichtigster Entscheid: Witwer als auch Witwen erhalten Renten nur, bis ihr jüngstes Kind 25 Jahre alt wird. Für Frauen ist das ein deutlicher Abbau, für Männer ein begrenzter Ausbau. Immerhin: Für laufende Witwenrenten ist eine abgestufte Übergangsregelung geplant. Frauen über 55 Jahre können die Rente behalten. Dasselbe gilt für Frauen ab 50, deren Einkünfte so tief sind, sie können Ergänzungsleistungen EL erhalten. Alle anderen Witwen müssten sich darauf einstellen, dass ihre Rente zwei Jahre nach Inkrafttreten der neuen Regelung nicht mehr fliessen wird.
Damit könnte die AHV 2030 um 350 Millionen Franken und 2035 um 770 Millionen entlastet werden, so das Bundesamt für Sozialversicherung BSV. Auch wenn das Parlament der Vorlage zustimmen wird, ist die Vorlage nicht in trockenen Tüchern. Bereits drohen SP- und Gewerkschaftsvertreterinnen mit einem Referendum, weil sie jeden Abbau verhindern wollen.
All diese Massnahmen sind aber nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Sollen die Bundes-Finanzen und die Aufwendungen für die AHV nicht komplett aus den Fugen geraten, sind künftig weit drastischere Massnahmen notwendig. Dies vor allem deshalb, weil die Mehrausgaben für die 13. AHV-Rente gegen 5 Milliarden betragen werden. Dafür will der Bundesrat die Mehrwertsteuer um 1% erhöhen, was im Parlament bei den Bürgerlich auf vehementen Widerstand stösst. Aber bereits steht ein neues, ein schon längst eingebrachtes Anliegen zur Debatte: die Abschaffung der Heiratsstrafe. Frau und Mann, verheiratet oder nicht, sollen künftig je eine eigene, nicht gekürzte AHV-Rente erhalten. Kosten: rund 3,8 Milliarden Franken im Jahr. Jetzt versucht der Bundesrat in einer Art Salamitaktik, die Finanzen irgendwie ins Lot zu bringen. Was aufs Erste gelingen mag, sofern Parlament und Volk mitziehen werden.
Nicht aufgereiht sind hier die anstehenden Mehrkosten für die Sicherheitspolitik, insbesondere für die Aufrüstung der Armee, die stets steigenden Sozialausgaben, notwendige Aufwendungen für eine angemessene Entwicklungshilfe, für eine humane Migration, welche Kosten verursacht, die im Voraus nicht leicht zu erfassen sind.
Um diese anstehenden Fragen zu klären, wäre ein umfassendes, ein weitsichtiges Regierungshandeln, abgestützt auf einer soliden Finanzplanung notwendig. Das sind aber nicht die Paradedisziplinen weder des Bundesrates noch des Parlaments. Damit tun sich beide schwer. Zu leicht verheddern sie sich in Klein und Klein. Was auch diesmal der Fall sein wird. Dennoch: Uns muss es auf jeden Fall nicht bange werden. Die Staatsverschuldung der Schweiz ist im Vergleich zu unseren Nachbarländern im Rekord tief. In Deutschland beträgt die Verschuldung in Bezug auf das Bruttoinlandsproduk (BIP) 62%, in Italien 140%, in Frankreich 112%, in den USA 126% und in Japan gar 266%. Und in der Schweiz: 32%. Wir sind schlicht kein Sanierungsfall und haben Spielraum, um zumindest den dringenden Aufgaben in der Sozial- wie in der Sicherheitspolitik gerecht zu werden.
Dass der Bundesrat die Witwenrente unter der Prämisse Gleichstellung von Frauen und Männern abschaffen will, entbehrt jeder Logik, erhalten die Frauen im Durchschnitt immer noch 30 % weniger Altersrente als die Männer und dies nur weil Frauen über Jahrzehnte vom System benachteiligt wurden.
Unsozial geht es bei den angekündigten Sparmassnahmen weiter; am meisten, nämlich 800 Millionen Franken will man bei der Kinderbetreuung einsparen. Auf der anderen Seite werden wir dank BR Rösti und seinen Freunden bei der Auto- und Ölindustrie genötigt über Ausgaben, die den Klimazielen völlig entgegen laufen, abzustimmen für unnötige Autobahnzubauten in Millionenhöhe.
Der Bundesrat seinerseits gönnt sich mitten in der Spareuphorie einen Millionen teuren Luxusflieger, nur für die Elite versteht sich. Dafür will man das Militärbudget um weitere Milliarden aufstocken. Die Finanzierung dieses Vorhabens wird über Jahre weitere Einsparungen (für wen?) mit sich bringen.
Dringend notwendige Neuausrichtungen im Gesundheitswesen und bei der zweiten Säule BVG wollen weder der Bundesrat, die Mitte-rechts Politiker:innen noch die grosse Schar der Profiteure ernsthaft anpacken, im Gegenteil, alles soll möglichst so bleiben wie’s ist. Der Vorschlag Ambulant und Spital zu gleichen Tarifen abzurechnen, wird die Kosten im Gesundheitswesen nicht senken, da die steigenden Pflegeleistungen nicht eingerechnet sind. So werden die KK-Prämien weiter steigen und das Zwangssparen bei der zweiten Säule geht weiter.
Die Grossbank UBS macht weiterhin Milliardengewinne trotz Einverleibung der Schuldenbank CSS, wehrt sich aber gegen höhere Strafen bei Verstössen des Geldriesen und gegen effizienteres Eingreifen der Kontrollorgane des Bundes und schliesslich die Bankenvereinigung ist arrogant genug, gegen eine längst fällige Aufhebung des Bankengeheimnisses bei vermögenden inländischen Kunden zwecks besserer Transparenz. Gleichzeitig ist die angespannte Lage der Wirtschaft, mit weiteren Firmenschliessungen oder Produktionsauslagerungen ins billigere Ausland und gleichzeitige Streichung von Arbeitsstellen im Inland, in aller Munde.
Diese und weit mehr solcher negativen Fakten verunsichern und machen nachdenklich und ich frage mich ernsthaft, ob wir nur noch in einer Scheindemokratie leben, in der Privilegierte immer mehr zulangen können, hingegen Kinder, Jugendliche und ihre Familien, Mütter die arbeiten müssen und auf eine gute und zahlbare Tagesbetreuung für ihre Kinder angewiesen sind, wenig Verdienende oder von Armut Betroffene, vom Staat benachteiligt werden? Weltweit schwächeln demokratisch regierte Länder und ein dreister gewaltbereiter Egoismus in Richtung Neo-Feudalismus macht sich breit. Zugegeben, angewandte und gelebte Sozialdemokratie ist mühsam aber immerhin können wir (noch) in Freiheit wählen, wohin die Reise gehen soll.