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Krause Bildwelten

Im Kabinett des Zürcher Kunsthauses sind grafische Arbeiten von Albert Welti im Dialog mit anderen Vertretern fantastischer Druckgrafik zu sehen. Weltis Einfallsreichtum scheint aus der Zeit gefallen und eröffnet Welten, die staunen lassen.

Albert Welti (1862-1912) gehört zu den wichtigsten Schweizer Malern der Jahrhundertwende. 1901 beauftragte ihn die Eidgenossenschaft für die Gestaltung der Glasfenster im Treppenhaus des Bundeshauses. Im gleichen Jahr erwarb der Bund auch das Doppelporträt seiner Eltern (1899), das realistisch bis zum geschnitzten Holzrahmen, symbolistische Elemente aufweist. Über die damals «moderne» impressionistische Malerei machte er sich lustig. Lieber orientierte er sich an den altdeutschen Meistern und malte in mittelalterlicher Manier mit selbst hergestellten Temperafarben auf Holztafeln.

«Die Eltern des Künstlers», 1899, Kunsthaus Zürich. Am Bildrand vermittelt der Künstler die Erziehungsmethoden, die damals herrschten, der strenge Vater und die liebevolle Mutter. Foto: Wikimedia Commons

Heute faszinieren vor allem die bizarren Traum- und Albtraumszenen. Welti schöpfte aus dem Schatz von Märchen, Sagen und Legenden. Seine Fantasie entfaltete sich besonders lebhaft in druckgrafischen Arbeiten, die jedoch lange Zeit wenig Beachtung fanden. Ein Kritiker schrieb 1926: «Die spitze Radiernadel hat Welti zu krausen Gebilden verlockt. Hier war er vor verworrenen Abenteuern seiner Phantasie und allegorischen Irrfahrten nicht so sicher wie im gemalten Bild.» Umso reizvoller ist es, diese «Irrfahrten» im Kabinett des Zürcher Kunsthauses zu entdecken, kuratiert von Jonas Beyer.

Eines seiner berühmtesten Motive Walpurgisnacht (Hexensabbat) malte der Künstler 1896/97 in Tempera auf Holz. Zudem radierte er es auf einer verhältnismässig grossen Platte. Im Druck erscheint die Darstellung bezüglich des Gemäldes seitenverkehrt.

«Walpurgisnacht», 1897. Radierung, Kaltnadel und Pinsel in Gelb auf Papier, 59,2 x 45 cm. Im unteren Bereich porträtiert sich der Künstler, wie er aus dem Fenster herausschaut und vom Besen einer Hexe am Kopf getroffen wird.

Das Thema Hexen faszinierte Welti. Vorbilder sah er im Werk von Hans Baldung Grien (1484/85-1545) und Francisco José de Goya (1746-1828). Da nach dem Aberglauben Hexen vor allem nachts fliegen, ermöglichte dies Künstlern wie Goya, Hexen-Darstellungen in einer Hell-Dunkel-Malerei symbolisch aufzuladen und zu dramatisieren. Der Aberglaube war zu Goyas Zeit noch nicht überwunden. Bei Albert Welti war der Bezug zu Hexen ein anderer: Seine Hexen-Bilder sind dem Zeitgeist folgend psychologisch aufgeladen. So fügte er auf der Radierung Walpurgisnacht ein Selbstporträt ein; sein Kopf wird vom Besen einer Hexe am Kopf getroffen.

»Mondnacht», 1896. Radierung und Kaltnadel auf Papier, Platte: 32,5 x 43 cm. Das Bild steht mit Schlaf und Traum in Verbindung. In der Fensteröffnung ist ein Reiter mit Jagdhorn zu erkennen. Im Fries am unteren Bildrand spielen sich wilde Szenen ab.

Die Blätter im Kunsthauskabinett lassen einen verweilen, am besten mit einer Lupe. Viele zeigen ein Gewimmel von oft wild gestikulierenden Menschen, verbunden mit bizarr anmutenden Figuren. Jedes Individuum ist bis ins Detail ausdifferenziert. Die Fahrt ins 20. Jahrhundert, ein Blatt zum Jahrhundertwechsel 1899/1900, zeigt einen düster makabren Blick auf die Gesellschaft, die auf dem Weg ins neue Jahrhundert nichts dazulernt. Für diese Darstellung schuf Welti zahlreiche Skizzen und änderte die Figuren auch während der Arbeit an der Druckplatte. Die Entwicklung seiner Ideen dokumentierte er in einem Notizbuch und auf handschriftlichen Anmerkungen am Rande der Entwürfe.

«Die Fahrt ins 20. Jahrhundert», 1899/1900, Radierung auf Papier, Platte: 39,2 x 62,8 cm.

Die Fahrt ins 20. Jahrhundert ist voller Metaphern: Giganten stemmen eine Holzbrücke, darüber rollt ein hohes Doppelrad nach links, angetrieben von einem Hybridwesen mit einem menschlichen Gesicht und einem reptilartigen Schwanz. Der offene Wagen ist überfüllt, am Steuer stehen Herren mit Zylinder, ein Kruzifix wird vom Wagen gekippt, die Menschen kämpfen, jubeln oder harren der Dinge. Der Wagen fährt in eine finstere und kahle Landschaft. Rechts oben auf einem Mauervorsprung hält eine nackte Frau eine leuchtende Kugel hoch. Sie personifiziert die Elektrizität: «Die Electrizität steht auf dem Triumphbogen», steht auf einer Vorzeichnung. Darunter geht ein Greis am Stock unsicher die Steintreppe herunter, Leichen liegen vor ihm auf den Stufen. Das alte Jahrhundert geht dem Ende entgegen.

Werbe-Illustration für die Umzugsfirma Welti-Furrer, 1900. Lithografie auf Papier, 56 x 54 cm.

Häufig verfertigte Albert Welti auch Gelegenheitsgrafiken, radierte fantasievolle Exlibris-Blätter, Einladungs-, Menü- oder Neujahrskarten. Wenn ihm dies zu viel wurde, schimpfte er in seinen Briefen: «Wenn nur die Exlibris der Teufel holte.» 1900 schuf er eine Lithografie als Werbe-Illustration für die Umzugsfirma Welti-Furrer, das Unternehmen seiner Familie. Die Vorfahren hatten 1838 in Zürich aus einer einfachen Pferdefuhrhalterei ein ab 1899 bis heute international tätiges Transportunternehmen Welti-Furrer geschaffen. Er wuchs mit Pferden auf, sie sind in seinem Werk ein wiederkehrendes Motiv.

«Faunsjagd», zweite Platte, 1910. Kaltnadel auf Papier, 9 x 14,2 cm. Pferde spielen eine wichtige Rolle in Weltis Bilderwelt.

Das zeichnerische Talent von Albert Welti (1862-1912) wurde früh erkannt und gefördert. Von 1882 bis 1886 studierte er an der Kunstakademie in München, wo er seine Vorliebe für die Alten Meister entdeckte. In Zürich arbeitete er von 1888 bis 1891 im Atelier von Arnold Böcklin und lernte den ostpreussischen Junker Franz Rose von Doehlau (1852-1912) kennen, der ihm das Schaffen als freier Künstler ermöglichte. Auf Wunsch seines Mäzens zog er nach der Heirat 1894 nach München und vertiefte seine Kenntnisse in der Radierkunst, zudem machte er verschiedene Reisen in Deutschland und Italien. Nach dem Tod seines Vater 1906 kehrte er in die Schweiz zurück und zog nach Bern, um das Wandbild Landsgemeinde für den Ständeratssaal im Bundeshaus zu malen. Welti starb 1912; im gleichen Jahr wie sein Mäzen. Der grösste Teil seines Nachlasses ging an das Kunsthaus Zürich.

Titelbild: «Einladung zur Schlusskneipe der Klinizisten», 1887. Radierung auf Papier, Platte: 9,4 x 14,4 cm. Alle Bilder: © Kunsthaus Zürich, Grafische Sammlung.

Bis 9. Februar 2025
«Albert Welti und die Grafik des Fantastischen», im Kabinett des Kunsthauses Zürich, Moser-Bau. Informationen zur Ausstellung finden Sie hier
Ausstellungskatalog mit Abbildungen und verschiedenen Essays, Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich, 2024, CHF 24.00 

 

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