Das Weihnachtsgeschenk des Landesmuseums Zürich passt perfekt in die hektische Adventszeit. «Konsumwelten. Alltägliches im Fokus» zeigt die Geschichte vom Kaufen und Verkaufen in den letzten zwei Jahrhunderten.
Herzstück der Präsentation ist ein Kiosk, der einst am Ufer des Lago Maggiore in Locarno stand, ein hübscher Pavillon, der ein Jahrhundert lang keine Entwicklung des Handels verpasst hat: Anfangs wurden Zeitungen angeboten, später auch Süssigkeiten und Rauchwaren, in den 90er Jahren war der Kiosk Werbeträger für die Segelschule des Besitzers Armino Kistler und in der Folge für diverse Extremsportarten. Bevor der Pavillon zum Museumsstück wurde, war er ab 2003 das erste Internetcafé im Land: Zehn Minuten Surfen oder Mailen kosteten zwei Franken.
Der Locarneser Kiosk, sorgfältig restauriert, ist Herzstück der Konsumwelten im Landesmuseum.
Die Anfänge der modernen Konsumgesellschaft datiert Museumsdirektorin Denise Tonella auf den Beginn der industrialisierten Massenproduktion. Neben traditionellen Märkten, wo Produzenten – Bauern, Jäger und Handwerker – ihre Ware anboten und bis heute anbieten, kam der Detailhandel auf. Zunächst als kleiner Lebensmittelladen um die Ecke. Fotos von den Geschäften jeweils mit den stolzen Inhaberinnen und Besitzern davor sind die Zeugen.
Verkauf von Zinnkraut, Meisen, Reisig, Maiblumen, Kirschwasser und Hühnern. Zürcherische Ausrufbilder, David Herrliberger, Zürich, 1748–1751 (spätere Auflagen), Tiefdruck handkoloriert
Eine Kategorie Händler ist verschwunden, die Hausierer, die noch in den 50er Jahren regelmässig an den Haustüren klingelten oder klopften und Kurzwaren, Schuhwichse, Heftpflaster oder auch Wundsalben aus ihrem Koffer anboten, was damalige Kinder so faszinierte, dass deren Mütter praktisch zum Kauf genötigt waren, ähnlich der heutigen Kinder beim Süsswarenangebot an der Supermarktkasse. In den kleinen Verkaufsorten für den täglichen Bedarf, Kolonialwarenläden genannt, denn da bekam man neben Suppenwürfeln und Konserven aus heimischen Fabriken oder Milchprodukte aus Zentralmolkereien auch Pfeffer oder Bananen aus den Kolonien, konnte man anschreiben lassen, bis zum nächsten Zahltag.
Um 1850 schliessen sich erstmals Konsumentinnen und Konsumenten zur Selbsthilfe zusammen. Ihre Geschichte reicht bis in die Gegenwart. Eröffnung des LVZ-Centers in Kloten, Comet-Photo AG, Zürich, 1976.© Schweizerisches Nationalmuseum
Schon im 19. Jahrhundert wurden Vereine gegründet, um im gemeinsamen Einkauf bei den Fabrikanten und Grosshändlern bessere Preise zu erwirken, die Erinnerung an Vorläufer des Coop, den Basler Allgemeinen Consumverein ACV oder den Lebensmittelverein Zürich LVZ, ist noch präsent. 1925 waren die ersten Verkaufswagen der Migros unterwegs und Gottlieb Duttweiler, der sich als Anwalt der Konsumenten verstand, eröffnete den Preiskampf mit seinem Konzept mi-gros (Halb-Grosshandel, eventuell aus französisch demi und gros) so richtig. Allerdings wurde die Migros-Kundschaft der Ladengeschäfte noch nach dem zweiten Weltkrieg geächtet. Duttweiler erfand billige Eigenmarken wie Eimalzin statt Ovomaltine oder Kaffee Zaun statt Kaffee Hag, denn Lieferboykotte der Unternehmen zwangen ihn zur Eigenfabrikation.
Verkaufswagen der Migros führen zu Beginn nur sechs Artikel im Sortiment. Diese sind dafür bis zu 25 Prozent günstiger als üblich. Migros-Verkaufswagen im Tösstal, Foto Theo Frey, Weiningen, 1942. © Theo Frey / Fotostiftung Schweiz.
Aus den immer grösseren Läden entwickelten sich Supermärkte, Selbstbedienung wurde beliebt, was – wie heute das Selfscanning – Personal einsparte. Die ersten Warenhäuser entstanden aus Spezialgeschäften, das Vorbild waren die Grands-Magazins von Paris. In der Ausstellung wird das am Beispiel Loeb in Bern durchgespielt: Es waren regelrechte «Kathedralen des Konsums» mit viel Elektrizität, grosszügigen Lichthöfen und hell beleuchteten Fassaden, erklärt Ausstellungskurator Aaron Estermann. Die Ware wurde offen präsentiert, die Preise waren fix, ein Rückgaberecht innovativ.
Bei Barbezahlung gibt es Rabattmarken. Werbeplakat für Basler Rabattmarken, BKG-LIGA, Celestino Piatti, Wassermann AG, Basel, 1966. © Verein «Celestino Piatti – das visuelle Erbe», Basel
In Warenhäusern wurden die ersten Lifte und später die ersten Rolltreppen installiert, um das Einkaufserlebnis noch angenehmer zu machen. Im plüschigen Tea Room des Zürcher Jelmoli, wo wir Kinder im Schlepptau einer vom Kaufen erschöpften Mutter einen Sirup bekamen, spielte nach dem zweiten Weltkrieg ein kleines ungarisches Orchester Salonmusik. Und heute? Ausgelöst durch das Online Shopping verlieren diese Paläste des Konsums Kundschaft und müssen sich um neue Konzepte bemühen.
Zum Erfolg von Einkaufszentren trägt die Verschränkung von kommerziellen mit sozialen Räumen bei. Dorfplatzatmosphäre im Shopping Center Spreitenbach, Foto Jules Vogt, Comet Photo AG, Zürich, 1970. © ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv
Eine Konkurrenz der 70er Jahre war von der Innenstadt-Geschäftswelt zwar gefürchtet, erwies sich jedoch nicht als existenzgefährdend: die grossen Shoppingmalls im Grünen nah an den neuen Autobahnen errichtet und mit üppigen Parkplätzen ausgestattet. Das erste war das Shopping Center Spreitenbach, ein gigantischer Marktplatz unter schützendem Dach. Hier sollte Einkaufen erst recht zum Erlebnis werden, der Aufenthalt zur Freizeitbeschäftigung vor allem am Samstag.
Mit zunehmender Ladendichte etabliert sich im 19. Jahrhundert in grösseren Dörfern und Städten ein ständiges Warenangebot um die Ecke. Obst- und Gemüsehandlung R. Meier in Olten. Foto Friedrich Aeschbacher, Olten, um 1910. © Schweizerisches Nationalmuseum
In einem zweiten Teil bringt uns die Ausstellung aus der verkaufenden Konsumwelt in die kaufende und konsumierende Welt der Kundschaft. Zentral ist dabei Essen und Trinken als gemeinschaftsförderndes Momentum. Eins der ausführlich dokumentierten Beispiele ist das Restaurant Seebahn, ein typisches Arbeiterlokal, wo Znüni und Zmittag gegessen wurde und wo man später die Abende meist mit rauchen und trinken gemeinsam verbrachte. In der Beiz bildeten sich etliche Gemeinschaften, die eine regelrechte Vereinskultur lebten.
Ein Club aus dem Restaurant Seebahn, der Luftgewehr-Schiessverein «Treffer», reiste 1966 mit Familie nach Wien.
Zur wachsenden Mobilität dank Privatauto und Selbstbedienung lief parallel die Selbstbestimmung und Individualisierung der Gesellschaft. Das Automobil, zunächst ein Luxusgut wurde in den Wirtschaftswunderjahren erschwinglich und beliebt vor allem für Ausflüge («Heute sind wir über vier Pässe gefahren,» erinnere ich mich an den Stolz des Nachbarn). Aber Unfälle, der tägliche Stau und die ökologischen Auswirkungen kratzen am Image, dennoch werden die Autos immer grösser und ihre Zahl nimmt zu.
Der Besitz eines Autos ist mit Freude, Stolz und Status verbunden. Unterwegs mit dem Auto, aus Privatalbum, 1951. © Schweizerisches Nationalmuseum
Posieren mit dem Besitz auf vier Rädern war einst Bürgerstolz, heute ist es ein Hobby von jungen Männern, oft mit Migrationshintergrund. Die Entwicklung vom Statussymbol über das Massenphänomen zum Trendsetter Jugend ist auch beim Wintersport zu beobachten. Dem Lebensstil einer speziellen Szene folgt unweigerlich die Kommerzialisierung, wie die Ausstellung anhand des Snowboards zeigt.
Nach den Ferien der Dia-Abend: Jakob und Yvonne Hohl-Galbiati waren ab den 1960er-Jahren viel unterwegs. Eine Kollektion ihrer Ferienfotos als unterhaltsame Dia-Show.
Wer Zeitung liest, Radio hört, den Fernseher nutzt oder am Smartphone hängt, konsumiert. Wer in die Ferien fährt, konsumiert. Noch zwei Fotogeschichten aus der Abteilung Konsumieren. Attraktiv die Ferien-Dias aus einer einzigen Quelle, projiziert über den einst beliebten Automaten; wer erinnert sich da nicht der Dia-Abende zuhause? Auch beim Thema Ferien lässt sich nachweisen, wie ein Luxusgut dank Wohlstand und Freizeit sowie dem gesetzlich verankerten Urlaub von zunächst zwei Wochen im Jahr 1966 Allgemeingut wird und nun zum Massenphänomen Overtourismus führt.
Während der Dauer der Ausstellung werden Führungen angeboten, die den Konsumalltag historisch und gesellschaftlich einordnen. Garantiert ist den Besuchern das Auslösen von Erinnerungen und das Erstaunen über bislang fraglos hingenommenen Entwicklungen in einem kaum reflektierten Umfeld.
Titelbild: Plakat des Verbands Schweizer Woche, mit der Konsumkampagne «Ehret einheimisches Schaffen» um 1917
Fotos: © Seniorweb (rv/ec)
Bis 21. April 2025
Hier gibt es mehr Informationen zur Ausstellung Konsumwelten