Regisseur Sebastian Hartmann präsentiert in der Schiffbauhalle des Zürcher Schauspielhauses eine schwer verdauliche Bühnenfassung von Nietzsches Standardwerk «Also sprach Zarathustra».
Friedrich Nietzsche bedient sich in «Also sprach Zarathustra» der Stimme des erfundenen altpersischen Propheten Zarathustra, um seine Lehren zu verkünden: von der ewigen Wiederkehr des Gleichen, dem Übermenschen und dem Willen zur Macht. Wie eine Sammlung tiefenphilosophisch-poetischer Kalendersprüche für alle Lebenslagen mutet Nietzsches „Zarathustra“ zuweilen an. Weisheit reiht sich an Weisheit, aufgeladen mit Symbolik, Schlagwörtern und blumiger Metaphorik. Verborgen darunter ein Utopia, offen für Interpretationen.
Düstere Lebenslagen zum Auftakt
Sebastian Hartmann, der erstmals am Schauspielhaus Zürich Regie führt, bietet mit seiner viereinhalbstündigen fragmentierten «Zarathustra»-Inszenierung in der Schiffbauhalle keine leichte Kost, vielmehr liefert er eine szenenreiche Aufführung mit grossflächigen Videoeinspielungen und dröhnender Technomusik an der Schmerzgrenze des Ertragbaren. Geboten werden gequälte Menschen, die Nietzsches Gedankenwelt bruchstückhaft rezitierend und oft schreiend sinnlich darstellen.
Versöhnlicher Monolog zum Schluss: im Vordergrund Linda Pöppel, dahinter Mitglieder des Ensembles.
Das Publikum sitzt in der Längsachse entlang von riesigen, drehbaren Leinwänden. Mal agieren die neun Schauspielerinnen und Schauspieler vor den Leinwänden, mal dahinter, meist begleitet von grandiosen Videoeinspielungen und einer Live-Kamera, die das Gefühlschaos der Spielenden grossflächig dokumentiert. Zu Beginn betritt eine nackte Frau (Tabita Johannes) die Bühne, schreitet auf und ab, strauchelt, windet sich am Boden, gibt undefinierbare Laute von sich, wird von einer Horde weisser Affen ins Aus begleitet. Weitere geplagte Einzelfiguren treten auf, bekunden ihr Verlangen nach Wärme und Liebe, kauern am Boden, wollen nicht mehr leben oder telefonieren mit sich selbst. Es sind düstere Lebenslagen, die im ersten Teil der Aufführung präsentiert werden.
Zum Schluss ein versöhnlicher Monolog
Es folgt die Aufforderung zum Tanz mit lauten Technobeats von DJ Samuel Wiese, denn ein ganzer Mensch lacht, singt, tanzt. Die meisten Besucherinnen und Besucher ziehen eine Erfrischung an der Bar im Foyer vor. Danach verwandelt sich die Bühne in ein Künstleratelier. An einem Nebentisch wird Farbe angerührt und diese auf hohen Leitern auf einer grossen Leinwand zu einem linienförmigen Farbenspektrum gegossen. Ein meditativer Prozess, der knapp eine Stunde dauert. Die Spielenden betrachten das strukturierte Bild, werfen ganze Farbeimer auf das Werk, zerstören die geometrische Ordnung des Bildes als Zeichen der Unordnung und des Aufbruchs. Wiederum nackt wälzt sich Tabita Johannes von den übrigen Spielenden mit der Restfarbe begossen am Boden, wird abgelöst von Elias Arens, der zuckend einen eindrücklichen Monolog über den Willen zur Macht hält und dafür verdienten Szenenapplaus erhält. Ein zweites Mal wird zum Tanz zu Technomusik aufgefordert, nachdem zwei Putzmaschinen die farbverschmierte Bühne gereinigt haben. Zum Schluss wird ein langer versöhnlicher Monolog der Selbstfindung geboten. Dazu klettert Linda Pöppel ins Publikum, klappert Reihe um Reihe ab und bettelt persönlich um ihre Freundschaft.
Verdienter Szenenapplaus für Elias Arens für seinen eindrücklichen Monolog.
«Zarathustra ist ein Weiser, der mit seinen Ideen kein Denkgebäude errichtet, sondern Sprengsätze legt – um sein Publikum zu befreien, oder es vor dem Nichts stehen zu lassen». Um welche Sprengsätze es sich handelt, verschweigt das Programmheft. Die viereinhalbstündige Aufführung jedenfalls ist schwer aushaltbar, bietet wenige berauschende Szenen, zumal die gebotenen Texte oft schwer verständlich sind. Es ist ein gewagter Versuch, Nietzsches poetisch-philosophischen Klassiker auf der Bühne zu präsentieren. Bei allem Vorbehalt, Sebastian Hartmann liefert eine durchaus diskutable Inszenierung mit einem engagierten Ensemble, das sich lustvoll mit Zarathustras Weisheiten abmüht. Das am Schluss verbleibende Publikum bedankte sich mit Standing Ovation.
Titelbild: Das strukturierte Kunstwerk wird mit Farbspritzern zerstört. Fotos: Arno Declair
Weitere Spieldaten: 5., 7., 9., 16., 18., 20., 22., 25., 26. Mai, 3., 4.. 7., 13., 14. Juni