…wenn das Parlament es so will. Was ist da los? Zwei Jahre sind seit den eidgenössischen Wahlen ins Land gegangen. Zur Halbzeit der Legislatur fragt der Tagesanzeiger: Steckt die Schweizer Politik in einer Vertrauenskrise? Aufgrund einer Umfrage sei die Zufriedenheit der Bevölkerung jedenfalls mit dem Gesamtbundesrat und dem Parlament noch nie so tief gewesen wie jetzt. Die Zufriedenheit mit dem Bundesrat sei von 49 auf 32 Prozent gesunken. Die Arbeit des Parlaments befriedige nur noch 36 Prozent, 6% weniger als beim Start der Legislatur vor zwei Jahren.
Tatsächlich: Da stimmt was nicht. Es lohnt sich, der anbahnenden Vertrauenskrise auf den Grund zu gehen. Dazu greife ich ein Thema auf, das auf dem Sorgenbarometer an der 3. Stelle steht, mich besonders interessiert, nach Gesundheit und Umwelt: eben die AHV. Damit hat sich der Nationalrat in der diesjährigen Herbstsession intensiv befasst. Und es ist angesagt aufzuzeigen, wie sich der vorläufige Entscheid auf die Rentnerinnen und Rentner auswirken würde, sollte er 2029 in Kraft treten. Schauen wir voraus.
Wir scheiben den 8. Dezember 2029. Johann G. Meister (65), Neurentner, sitzt zu Hause vor seinem PC. Er kontrolliert sein Bankkonto. Sein Gesicht hellt sich auf. Die AHV und die 13. Rente sind eingegangen. Er hat als ehemaliger Bankangestellter und Neurentner eine Maximalrente zu 100%, 2’700 Franken (dannzumal). Sein Bankkonto ist mit der 13. Rente um 5’400 Franken angewachsen. Er ruft seine Frau Sabine, ebenso Neurentnerin, die er bei der UBS kennengelernt hatte. Sie hat es im Gegensatz zu ihm zur Vizedirektorin geschafft. Sie reagiert unwirsch, ist am Aufräumen. Er lässt nicht locker: »Schau doch mal dein Bankkonto an!» Und siehe da. Auch ihr Gesicht hellt sich auf. Auch sie hat ein Plus von 5’400 Franken. Beide zusammen 10’800 Franken AHV. Und das neben den beiden Renten aus der 2. Säule, der beruflichen Vorsorge von über 17’000 Franken. Meisters geht es mehr als gut.
Es trifft sich, dass Johann G. Meister heute seinen Freund Arthur V. Knecht (66) sieht. Sie kommen jede Woche einmal zum Training in die Tennishalle und natürlich zum obligaten Duell zusammen. Nach dem ersten Satz, den Arthur auch heute wie meistens gewinnt, setzen sie sich hin, lassen sich Mineralwasser und den obligaten Weissen servieren. Johann S. kann es nicht lassen, er will es wissen: «Hast Du heute auch die AHV und die 13. Rente bekommen?» Arthur: »Ja, klar, genauso viel wie letztes Jahr. Ich wusste ja, dass ich als sogenannt verheirateter «Altrentner» wie bis anhin nur 75% der Maximalrente von 2’700, also 2’025 Franken bekomme, also 4’050 Franken AHV und 13. Rente zusammen. 1’140 Franken weniger als du. Persönlich als Selbstständigerwerbender habe ich mehr als du und dein Arbeitgeber einbezahlt. Und ich habe aufgerechnet. Nehmen wir an, wir beide werden 85 Jahre alt, leben noch 20 Jahre, wirst Du – ohne die Teuerung eingerechnet – insgesamt rund 700’000 Franken AHV beziehen, ich rund 525’000 Franken. Du ein Gewinner, ich ein Verlierer. Findest Du das gerecht?»
Tatsächlich: So käme es heraus, wenn die Lösung des Nationalrates umgesetzt würde, wie er sie am letzten Mittwoch (24.9.25) durch die Mehrheit, gebildet von SVP, FDP und GLP, beschlossen hat. Und dabei zwischen Neu- und Altrentnerinnen und -rentnern unterscheidet. Die situativ ausgerichtete, unreflektierte Lösung des Nationalrates wird – Gott sei Dank – kaum Bestand haben. Der Ständerat, die Chambre de réflexion, wo Mittelinks den Ton angibt, wird wahrscheinlich der Volksinitiative der Mitte-Partei folgen und den Gegenvorschlag des Nationalrates ablehnen. Die Volksinitiative der Mitte will ebenfalls die Heiratsstrafe abschaffen, aber an der gemeinsamen Steuerklärung von Frau und Mann in der Ehe (Frau und Frau, Mann und Mann) festhalten. Die Mitte will damit quasi ihre Familienpolitik in die Zukunft retten. Und ganz wichtig: Ihre Initiative unterscheidet nicht zwischen Alt- und Neurentnerinnen und -rentnern. Immerhin.
Erinnern wir uns an den 3. März 2024, an die Abstimmung zur 13. AHV-Rente. Im Vorfeld der Abstimmung merkten Parlamentarierinnen und Parlamentarier plötzlich, dass die linke Initiative grosse Chancen haben könnte. Noch schnell zimmerten Frauen und Mannen im Nationalrat von bürgerlichen Parteien mit der GLP zusammen eine Motion, mit der – quasi als Gegenvorschlag – die tiefen Renten der besonders Betroffenen hätten markant erhöht werden können. Und nicht auch die von Herrn und Frau Meister, die eh schon viel haben, wie die virtuelle Vorschau zeigt.
Tatsächlich: Bundesrat und Parlament verlieren an Vertrauen. Zu Recht. Es fehlt an Ernsthaftigkeit, gar an Professionalität. Das kann, darf uns nicht gleichgültig sein. Im Gegenteil: Wir müssen genau hinsehen, um die Spiele der Politik zu Bern durchschauen zu können. Nicht nur vor den Wahlen, auch jetzt bei der Halbzeit.


Ich verliere das Vertrauen ins Stimmvolk, das den kapitalen Fehler begangen hat, für die 13. AHV-Rente zu stimmen. Ein Fehler, der schlimmer ist als ein Verbrechen, um leicht abgewandelt Talleyrand zu zitieren.
Hoppla!
Entschuldigung: meinen Sie hoppla sehr gut oder hoppla überraschend schlecht?
Generell geht es offenbar immer noch um sehr hohe Beträge, die so oder so durch die AHV bezahlt werden. Es sind nicht alle so gut gestellt wie Ihre 3 Musterpersonen. Meine AHV als unverheiratete Frau, immer gearbeitet, zwei erwachsene Kinder, 3 Grosskinder, ist natürlich viel kleiner. Weshalb ich eine 13. AHV-Rente pro Jahr sehr begrüssen werde. Ich bezahle wohlgemerkt knapp 6000.00 Krankenkasse, wohl so viel oder so wenig, wie die 3 Personen.
Vertrauen? Was kann ein Bundesrat noch bewirken, mit dem jetzigen – von uns gewählten – Milizparlament? Ein Parlament, dass schon seit einigen Jahren nur noch zu reaktiver Politik befähigt ist? Der errungene Wohlstand hat uns (die Schweiz) träge, ja sogar selbstgefällig gemacht und in eine Art Dornröschenschlaf versetzt. Revolutionäre Jahrhundert-Ideen oder zukunftsgerichtete, Generation übergreifende Massnahmen, dürfen wir von einer so sehr konservativen, isolierten Schweiz nicht erwarten. Schauen Sie, dieses jetzige „Helvetische Malaise“ äussert sich in einem völlig anderen Punkt noch viel gravierender und drastischer: Mit 1.5 Kinder pro Mutter, hat unser Land – oder sagen wir unsere DNA – weder eine Perspektive noch eine Überlebenschance. Mag sein, dass die Schweiz mal eine revolutionäre Nation gewesen ist. Jetzt auf Gott oder auf den BR vertrauen, ist bei dieser von uns freiwillig erzeugten Blockade, viel zu billig. Wir wollen es einfach nicht wahrhaben und auch nicht eingestehen, dass unser politischer Karren im Dreck steckt, während sich die Welt rund um unser Land herum rasend schnell verändert. Wir machen viel und dennoch viel zu wenig für unsere Mitwelt, unsere Europazugehörigkeitsfrage, unsere Bildungs-, Alters- und Sozialpolitik, unsere Migrations- und Asylpolitik, unsere Neutralitäts- und Sicherheitsfragen, etc.
Wir handeln praktisch immer erst gezwungenermassen. Wir (das Volk) haben in Abstimmungen zwar das „Letzte Wort“, aber wirken letztlich verunsichert und behindernd für notwendige Korrekturen.
Möglich, dass Geld, Lobbyismus und mangelnde
Konsensdemokratie unsere Weiterentwicklung verhindert. Ist aber nicht mehr entscheidend.
Fakt ist: Die Fachkräfte unserer früheren Grossfamilien, zusammen mit den von uns ins Land geholten Gastarbeiten, brachten uns Wohlstand. Einen Wohlstand, den wir mit unseren heutigen Kleinfamilien unmöglich aufrecht erhalten können. –
Was ängstigen wir uns da, vor Rentenverlust oder vor Zuwanderung? Als die Römer „verschwanden“, ja, das ist lange her. Dennoch: Ihr Reich zerfiel nicht plötzlich. Es zerfiel langsam.
Ich bleibe ein unvergesslicher Optimist und hoffe auf eine offene, transparente, weitsichtige Schweiz.