Nun Kei Luscht

Bei einem Ausflug übers Land zusammen mit einem Ehepaar schlug ich ein Restaurant vor, von dem ich wusste, dass dort schmackhafte Spaghetti mit Riesencrevetten serviert werden. Nach dem guten Essen kamen wir überein, den Kaffee mit Dessert auf der Weiterfahrt zu geniessen. Wir fuhren gemütlich plaudernd durch eine Gegend, die das Ehepaar nicht kannte. Bunt leuchtete der Herbst, umfangen von immergrünen Tannenwäldern. Von Bischofszell fuhren wie nach Herisau und von dort auf den Ricken und gedachten auf dem Weg nach Uznach zu stoppen. Es war Zeit für den Kaffee.

Bei einer neu restaurierten Gastwirtschaft hielten wir an und als wir auf das Haus zutraten lasen wir die Affiche: «Wir haben Lust auf Arbeit.» Grossartig, Lust auf Arbeit! Das war eine Empfehlung, denn so selbstverständlich ist dies nicht. Sofort klang mir nachhaltig oder besser nachhallend das Wort eines Magistraten in den Ohren: «Kei Luscht!», welches er einmal einem Journalisten, der ihn etwas fragen wollte, hinschmetterte und sofort weiter eilte. Inzwischen nicht mehr im Amt hat er zwei Einladungen aus Peking befolgt und damit seinen Begehrenswert als Pensionär gesteigert.

Diese magistrale Wort deutete auf den Lustverlust auf Arbeit hin und ist wie ein Zeichen der Zeit. Es hat sich ein gezielter Lustverlust zu arbeiten entwickelt, der sich auf Lust auf Reisen, Sport, Konsum und aufwendige Selbstinszenierung umgeleitet hat. Die Lust auf sich selbst ist besonders an Tourismusorten ablesebar, wo sich Menschen vor prächtigen Kulissen in Posen stellen und Selfies produzieren, die sie in alle Welten senden.

Die Affiche beim Restaurant zeigte uns, dass wir am richtigen Ort angehalten hatten. Wir wurden sehr aufmerksam begrüsst und ebenso bedient. Es kümmerte mich nicht, dass der Fiskus plötzlich begierig wird und Trinkgeld besteuern möchte. Bei diesem freundlichen Lächeln sass mein Trinkgeld locker. Es wollte ein Zeichen für den angenehmen Service sein.

Der Blick in die Zukunft scheint anzudeuten, dass sich bald niemand mehr leisten kann, den Lustverlust beim Arbeiten offen zu demonstrieren. Gerade war in der Zeitung eine unkommentierte Notiz zu lesen, dass ein hervorragend ausgebildeter Akademiker mit bestem Abschluss auf fünfzig Bewerbungen nur eine einzige Antwort erhielt.

Dabei wird ein grosser Fachleutemangel beklagt. In zahlreichen handwerklichen Berufen, im Ingenieurwesen, in der Pflege und in der Gastronomie werden Leute gesucht. KI wird keinen Dachdecker ersetzen und das Lächeln eines Roboters wird wohl nie ein echtes Gesicht kompensieren können. Der arbeitende Mensch wird weiterhin gesucht und gefragt sein. Wer unter Lustverlust leidet, wird nicht geschätzt und bald ausgehebelt werden. Dass die Frage nach dem Begehrenswert den Menschen vermehrt beschäftigt und in der Ästhetik des Aussehens und der Selbstpflege angestrebt wird, hilft dem sozialen Verhältnis in einer immer anspruchsvoller werdenden Gesellschaft nicht auf die Beine.

Es lässt sich langsam erkennen, dass Handwerker und die oben genannten Berufe in den nächsten Jahren eine enorme Wertsteigerung erleben werden, was sich logischerweise auf die Gehälter niederschlagen wird. Es sind nicht Berufe, die sich durch neue Techniken ersetzen lassen. Wie gesagt, wird KI keinen Dachdecker ersetzen und auch kaum die Arbeit eines Sanitärs leisten können.

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