StartseiteMagazinKulturKurz und heftig: die Reformation in Wien

Kurz und heftig: die Reformation in Wien

Brennen für den Glauben. Wien nach Luther – eine besondere Ausstellung über eine besondere Zeit

Nach Luthers Thesenanschlag gegen den Ablasshandel 1517 fegte die neue Lehre durch halb Europa. Auch Städte, die als fest dem alten Glauben und dem Papsttum zugehörig gelten, hatten im 16. Jahrhundert kürzere oder längere protestantische Phasen. Oder war Ihnen bewusst, dass auch Wien für ein paar Jahrzehnte mehrheitlich reformiert war?

Darüber staunen sogar Einwohner Wiens, wenn sie die Ausstellung Brennen für den Glauben. Wien nach Luther im Wienmuseum besuchen. Profund und mit selten oder nie gezeigten Dokumenten und Objekten wird erzählt, wie Luthers Thesen gegen den Ablasshandel bei der Wiener Bevölkerung auf fruchtbaren Boden fiel: Der Pfaffenhass war durch die Missstände in der Kirche verbreitet, das Volk begann sich gegen die korrupten und ausbeuterischen Stände – Klerus und Adel – zu wehren.

Jakob Seisenegger: Predigt in der Wiener Augustinerkirche 1561© Graf Harrach´sche Familiensammlung, Schloss Rohrau, NÖ

Das alles spielte sich auf dem Hintergrund einer neuen Zeit ab: Um 1500 wurde die Welt dank der Entdeckungsfahrten weiter. Mit dem Humanismus wuchs der geistige Horizont, und mit der Erfindung des Buchdrucks war wohl so einschneidend wie das Internet heute für uns. Bücher wurden von in Klosterbibliotheken bewahrten handschriftlichen Preziosen zur erschwinglichen Lektüre der Gebildeten, Flugblätter eigneten sich, die Massen politisch zu mobilisieren.

Weit herum renommiert war um 1500 die Universität Wien. Als Ulrich Zwingli damals dort studierte, war Luthers Thesenanschlag freilich noch in ferner Zukunft, und der spätere Zürcher Reformator gerade mal vierzehn, hochbegabt, und sehr fleissig. Der Matrikel 1451 bis 1548 der Universität Wien mit dem Eintrag Udalricus Zwinglii de Glaris von 1498 samt dem Vermerk exclusus (ausgeschlossen) ist in einer Vitrine aufgelegt. Die Forschung vermutet, Zwinglis Name sei später während der Gegenreformation als Ketzer von der Liste gestrichen wurde, denn er studierte unbehelligt ein weiteres Jahr in Wien, bevor er seine Studien in Basel fortsetzte. Zum Prediger am Grossmünster und zum Zürcher Reformator wurde er im Januar 1519.

Kaiser Maximilian II. – ein Habsburger mit Sympathien für die neue Lehre © KHM-Museumsverband

Aber zurück ins Wien des frühen 16. Jahrhunderts. Landesfürst Ferdinand I. (1503-1564), erzogen in Spanien, duldete keinerlei Protest oder gar Freiheiten seiner Untertanen. Den massiven Zulauf zu den neuen Lehren, besonders zu den radikalen Vertretern mochte er nicht zulassen. Schon 1524 liess er Caspar Tauber, einen angesehenen Wiener Bürger hinrichten, wenig später wurde der Täuferführer Balthasar Hubmaier öffentlich verbrannt. Die konfessionelle Frage wurde damit nicht gelöst. Im Gegenteil. Ausserdem stand die osmanische Armee 1529 erstmals vor Wiens Toren. Für Reformierte und Katholiken zugleich galt das als Strafe Gottes.

 

 

 

Balthasar Hubmaier wurde 1609 als Ketzer verbrannt. Christoffel van Sichem © Wien Museum

Toleranter gegenüber der neuen Lehre war Ferdinands Nachfolger Maximilian II. (1527-1576). 1568 bekam der niederösterreichische Adel die Erlaubnis, auf den Landsitzen in den zugehörigen Pfarrkirchen für sich und ihre Untertanen evangelische Gottesdienste zu feiern. Die Stadt Wien war von dieser Kultusfreiheit ausgenommen, aber die evangelischen Adeligen liessen auch in ihren Stadthäusern evangelisch predigen. Handwerker und einfache Bürger nahmen teil. Dem wurde sechs Jahre später ein Ende gesetzt: Der Landesfürst liess das so genannte Landhausministerium einrichten, der Adel sollte allein in dieser Institution Kultusfreiheit haben.

Obwohl die Bevölkerung mehrheitlich protestantisch war, bekämpften die katholischen Habsburger, damals auch deutsche Kaiser, den evangelischen Gottesdienst. So blieb das protestantische Wien ein kurzes Intermezzo der Geschichte. Während der niederösterreichische Adel dem Wiener Volk eine zeitlang die Möglichkeit bot, in den Kirchen und Kapellen ausserhalb der Stadt Predigten zu besuchen, griffen auf Einladung der Habsburger in der Stadt die Jesuiten durch: die Gegenreformation forderte Rückbesinnung auf die alten Werte.

Matthäus d. Ältere Merian: Zu Tausenden liefen die Wiener Protestanten zum Gottesdienst in die evangelische Hochburg Hernals, 1649. © Wien Museum

Ab 1578 wurde innerhalb der Stadtmauern jedes öffentliche evangelische Glaubensleben verboten. Nun konnte nur noch ausserhalb der Stadtmauern Gottesdienste besucht werden. Tausende Wiener zogen Sonntag für Sonntag aus der Stadt in die Gotteshäuser der Vororte, während sich die Kirchen in der Stadt leerten. Dieses Auslaufen, dokumentiert auf Grafiken, wurde von Ferdinand II. (1578-1637) mit allen anderen Zugeständnissen an die Protestanten verboten. Wien wurde anfangs des 17. Jahrhunderts wieder katholisch: Die evangelischen Prediger mussten Niederösterreich verlassen, der Adel und führende evangelische Wiener Bürger wurden enteignet und vertrieben, oder sie mussten konvertieren.

Ein protestantischer Prediger reicht in einem Privathaus das Abendmahl. Die Hostien sind in der Puppe versteckt. © Wienbibliothek im Rathaus

Die Gegenreformation hatte schon eingesetzt, als sich Luthers Lehren noch ausbreiteten, denn die Herrscher hatten die Jesuiten schon früh als Lehrer und Pfarrer in die Stadt geholt. Aber die Reformation lebte im Geheimen weiter, beispielsweise in den Kapellen ausländischer Gesandtschaften oder in Bethäusern, die von aussen als Kirchen nicht erkennbar sein durften.

Eine fast unglaubliche, weil auch in Wien kaum bekannte Geschichte. Und doch lagen fast alle Dokumente, Bücher und Grafiken, fast alle Objekte und Kunstwerke, welche diese Geschichte in der Ausstellung erzählen, in Museen, Bibliotheken und Archiven der Hauptstadt. Einiges konnten deutsche Institutionen und die Zentralbibliothek Zürich beisteuern. Zur Ausstellung ist ein reich bebilderter Katalog für 29 Euro im Residenzverlag erschienen.

Teaserbild: Eingang zu den Ausstellungsräumen im Wienmuseum
Bis 14. Mai

Der Augsburger Religionsfriede von 1555. Original mit der Unterschrift Ferdinands I. © Österreichische Staatsarchiv

Nachsatz: Auf den Spuren der Reformation reisen könnte im 500 Jahre nach Luthers Thesenanschlag eine Reise mit vielfältigen Zielen werden. Vom 20. Mai bis zum 10. September 2017 findet in Wittenberg im Rahmen des Reformationsjubiläums die Weltausstellung «Tore der Freiheit» statt. Daran beteiligt sich auch der Schweizerische Kirchenbund. Allein in Deutschland gibt es zudem drei nationale Sonderausstellungen: Mit Wittenberg und der Wartburg finden zwei der Ausstellungen an authentischen Luther-Orten statt, die zu entdecken für sich allein einen Besuch wert sind. Die dritte nationale Schau in Berlin unterstreicht die Bedeutung der Reformation für ganz Deutschland. (Details finden Sie hier). Auch die Schweizer veranstalten ihr vielfältiges Reformationsjubiläum.

Und zum Nachsingen: http://www.deutschlandradiokultur.de/propagandalieder-fuer-und-wider-dr-luther-so-treiben-wir.1091.de.html?dram:article_id=379426#top

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