Kino in der Kunst und Kunst im Film – das Aargauer Kunstmuseum zeigt Arbeiten, die sich mit dem Kino auseinandersetzen
Mit der Ausstellung Cinéma mon amour. Kino in der Kunst gibt das Museum Einblick in die reiche Welt von Künstlerinnen und Künstlern, die sich auf sehr unterschiedliche Weise mit dem Film oder dem Kino beschäftigt haben.Janet Cardiff & George
Bures Miller: The Paradise Institute, 200 © Janet Cardiff and George Bures Miller. Sammlung Götz, München
In den White Cube von Aarau wurde mehr Black Box eingebaut als üblich. Gewiss, Künstlerfilme oder Videos sind heute Teil der Gegenwartskunst. Hier nun geht es ganz direkt um den Blick auf das Kino und jene Filme, die fürs Kino gemacht wurden. Die 26 Künstlerinnen und Künstler haben sich mit persönlichen Filmerfahrungen auseinandergesetzt, befragen die Scheinwelt der Filmindustrie, befassen sich mit Wirkungsmechanismen des Kinofilms und spielen mit geläufiger Kino-Ästhetik. Daraus ergeben sich für die Ausstellungsbesucher mitunter verblüffend-komische Momente voller Hintersinn.
collectif_fact Annelore Schneider & Claude Piguet: Videostill aus Hitchcock Presents, 2010
Beispiel Montage: Das Künstlerduo collectif_fact aus Genf macht aus dem gefilmten Gang durch die Maison Blanche von Le Corbusier, bei dem es um Architektur und Einrichtung geht, einen unheimlichen Dokumentarfilm: als Tonspur daruntergelegt wurde der Trailer des Thrillers Psycho, gesprochen von Alfred Hitchcock selbst.
Ebenso irritierend die Installation Paradise Institute von Janet Cardiff & George Bures Miller: Wir sitzen in roten Kinosesseln auf einem Balkon, vor uns das Parkett und die Leinwand. Dank der Kopfhörer tauchen wir in ein erstaunliches, mitunter gar ärgerliches Geschehen ein: Das szenische Geschehen wird kommentiert, jemand kommt zu spät und sucht geräuschvoll seinen Platz, da klingelt ein Handy, jemand knuspert Pop Corn. Ohne Verzug gelingt es der Installation, die Reflexion der Besucher auszuschalten, im letzten Augenblick verkneift man sich das umdrehen nach dem Störenfried gleich hinter uns. Das ganze Kino ist übrigens eine Holzkonstruktion, die bequem in einem der Museumssäle Platz fand.
Teresa Hubbard / Alexander Birchler, Movie Mountain (Méliès), 2011. Photo: Frederik Nilsen
Wo Kino angesagt ist, darf der Western nicht fehlen. Daniela Keiser zeigt ihre Fotoserie aus jener südspanischen Gegend bei Almería, wo unzählige Filme, darunter die grossen Italowestern gedreht worden waren. Noch heute sind die Kulissendörfer mit Saloon, Bank, Staubstrasse ab und zu Schauplatz für Filmszenen. Keisers Bilder zeigen Leere, Hitze und Verlassenheit. Belebter, aber nicht hoffnungsvoller der Inhalt der Videoarbeit vom Movie Mountain in Texas, wo einst der erste Western gedreht worden sei. Teresa Hubbard und Alexander Birchler zeigen die karge Landschaft und lassen die heutigen Bewohner, darunter einen gescheiterten Westernheld ihre Erinnerungen, Wünsche und Enttäuschungen erzählen. Hauptbeschäftigung bleibt wie einst der Viehtrieb.
Candice Breitz, Stills from Soliloquy (Jack), 1987-2000. Aus der Soliloquy Trilogy, 2000.Courtesy KOW, Berlin
Während der Kinofilm uns zwingt, das Geschehen linear zu verfolgen, kann ein Künstler seine Arbeit mit Filmmaterial anderen Gesetzen folgen lassen. So montiert Candice Breitz bei ihren Selbstgesprächen den Star ohne Umfeld zu einem Video. Und der Kanadier Stan Douglas bringt seinen Secret Agent, frei nach Joseph Conrads Spionageroman, auf sechs grossen Leinwänden zu vielfacher Reminiszenz an grosses Kino mit reichlich Thriller-Ästhetik.
Fiona Banner, The Greatest Film Never Made 2016. Photo: Nigel Green
Stiller, aber nicht weniger eindrücklich die Foto- und Zeichen-Arbeiten. Regisseurin Sam Taylor-Johnsons zeigt männliche Holliwood-Grössen, die sie vor der Fotokamera zu weinen bat, eine Rolle, mit der einige sichtbar Mühe hatten. Fiona Banner bringt auf grossen Tafeln das, was wir jeweils nach dem Kinobesuch leisten: sie erzählt Teile des Films nach, beispielsweise aus French Connection – rote Schrift auf weissem Grund – zunächst leicht lesbar, dann immer gedrängter, bis sich die Buchstaben zum roten Fleck vereinen. Den Kinosaal in den Mittelpunkt stellen Hiroshi Sugimoto mit einer aussergewöhnlichen Langzeitbelichtung oder Marc Bauer mit einer wandfüllenden Papierarbeit.
For Six Days Only ist im vergangenen November in und um Aarau für die Ausstellung entstanden: der Malawier Samson Kambalu hat in sechs Tagen kurze Clips in Stummfilm-Manier gedreht und bearbeitet. Nun laufen sie in einem Setting vereint mit jenen Werbesprüchen, welche die einst fahrenden Kinos nutzten: no likeness – no pay, kein Gefallen – Geld zurück, beispielsweise.
Julian Rosefeldt, Deep Gold, 2013/14 © Julian Rosefeldt and ProLitteris, Zürich
Ebenfalls verflossener Kino-Ästhetik widmet sich Julian Rosefeldt, dessen Arbeit Manifestomit Cate Blanchett ihn berühmt machte. Diesmal nahm er sich Buñuels L‘Age d‘Or als Vorlage, um sie in seinem Film Deep Gold dreimal verrückter, burlesk, obszön und voller Anspielungen von Josephine Baker über den Radikalfeminismus bis zur Occupy-Bewegung auszumalen. In dem absurden Geschehen, unterlegt mit Wagner-Musik, verliert nicht nur der Protagonist, ein junger Mann mit gepflegtem Schnauzbart, den Halt, selbst da noch, wo die Illusion gebrochen wird, die Filmcrew im Set auftaucht.
Samson Kambalu, The Castle, 2016. Stumm-Video. Courtesy the artist and Kate McGarry, London
Wenn eine Ausstellung schon Filmisches thematisiert, braucht sie einen passenden Schluss: Im letzten Saal empfängt einem The End von Urs Lüthi, Selbstporträt genannt, gegenüber denkt Tacita Deans in Heliogravüren über den russischen Schluss nach (die russische Filmindustrie produzierte jeweils ein Happy End für den Rest der Welt und ein tragisches für den Heimmarkt), Zum Donauwalzer von Johann Strauss (wir assoziieren Kubricks Space Odyssey) läuft in der letzten Kabine weiss auf schwarz der ultimative Abspann, beginnend mit God/Adam/Eva/Kain… endend mit Jesus. Dank des 35mm-Kino-Projektionsapparat steigert Mark Wallinger die Wirkung seines Filmendes nochmals um eine Dimension.
Auf der Leinwand ist der ganze Film, die Belichtungszeit betrug 90 Minuten. Ein Beispiel aus einer Serie von Kino-Fotografien: Hiroshi Sugimoto, Al Ringling, Baraboo, 1995 ©Hiroshi Sugimoto
Einige der Arbeiten von 26 Künstlerinnen und Künstler, darunter vier Künstlerduos, sind erstmals in der Schweiz zu sehen. Es lohnt sich, genug Zeit für den Ausstellungsbesuchaufzuwenden. Wem offene Fragen bleiben, so vielfältig sind die Bezüge und Assoziationen, dem sei der Katalog zur Ausstellung empfohlen, oder auch eine der Begleitveranstaltungen.
Teaserbild: Urs Lüthi, The End. Selbstporträt aus der «Serie der reinen Hingabe», 1987/88. Aargauer Kunsthaus, Aarau. Foto: Jörg Müller
22. Januar bis 17. April (zeitgleich mit CARAVAN: Selina Baumann)
Zur Ausstellung erscheint eine Publikation (D/E), in der das Thema in sechs Schwerpunkten beleuchtet wird. Hrsg. von Madeleine Schuppli und Aargauer Kunsthaus, Aarau. Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich, 49 Franken