StartseiteMagazinKulturHärter als Federico García Lorca

Härter als Federico García Lorca

Hochstilisierte Abrechnung mit Machtmissbrauch gegen Frauen: „Das brennende Haus“, Uraufführung von Konzert Theater Bern

Federico García Lorca hat die „Frauentragödie in spanischen Dörfern“ 1936 unter dem Titel „Bernarda Albas Haus“ geschrieben, als letztes seiner herb-romantischen Dramen mit spanischem Timbre, als eines der härtesten auch. Im August desselben Jahres wurde der 38-Jährige von der Falange erschossen.
Maricel Álvarez und Emilio García Wehbi haben dieses Urbild der Unterdrückung von Frauen nicht einfach aktualisiert und erweitert, sondern in extremer Bedeutung und mit so vielseitig, zynisch wie kompromisslos hart genutzten Möglichkeiten heutiger Bühnensprache ausgelegt.
„Das brennende Haus. Theater für anarchistische Mädchen & ausgestopfte Tiere nach Motiven von ‚Bernarda Albas Haus’ von Federico García Lorca“, so der etwas umständliche Titel des Textes von Emilio García Wehbi, den Johannes Schrettle ins Deutsche übersetzt hat. Die Grundzüge der Vorlage sind spontan erkennbar, deren Erweiterungen und Aktualisierungen sind vielschichtig und verlangen vom Publikum viel für die Auseinandersetzung damit.
Kirsteen Haardt als die Übermutter, wie sie einst Bernarda Alba war, diszipliniert ihre Töchter anfangs mit einem nicht enden wollenden Monolog aus herrischen, geisselnden Sätzen. Die Gruppierung der neun Mädchen in Uniform, das zackig unnatürliche Zurechtrücken von Kleid und Haar, die Arm- und Handbewegungen, teils synchron, teils versetzt, immer jedoch blutleer und verzweifelt, verschüchtert auch – alles  verströmt eine Kälte und eine Lebensferne, die wirkt, als wäre ein mechanisches Zeitalter angebrochen: Symbol einer unnatürlichen Disziplinierung.
Selbst das Leben, das sich schliesslich einmischt, erstmals mit ausgestopften Tieren und einer Kinderstatisterie, deren Farbenfreude (nicht nur in den Kostümen) stark kontrastiert und deshalb anspricht, selbst dieses Leben wird in eine erzählte Fabel verfremdet, die sich anhören und ansehen lässt, als würde dafür gesorgt, dass die Kleinen schon früh lernen sollten, jeder Erwartung zu entsagen. Kinder, die wenig verstehen und sich ausgestopftem totem Leben gegenüber sehen: Eine bewegende Allegorie!
Es folgt die Ballade vom versinkenden Mädchen. Im Sumpf der Welt mit ihren Verheissungen scheitert die umsorgte Tochter. Nur weil sie selbständig werden möchte, verfällt sie Fallstricken von pervertierten Moralvorstellungen, die vor allem von den sich als gütig und verständnisvoll maskierenden Eltern vertreten werden. Eine lange Geschichte der Repression und des Brechens der Persönlichkeit eines jungen Menschen. Sie führt zu Himmel- und Höllenfahrten, wiederum allegorisch wirkend, doch erschütternd real erzählt. Erzählt vor dem choreografischen Hintergrund der marionettenhaft ihre mechanischen Bewegungen und Gesten ausführenden oder auch nur markierenden neun Mädchen. Es ist, als ob sie – in Abwesenheit ihrer Mutter – gemeinsam diese beispielhafte Moritat berichten würden.

Bela Orzelowska, Sophie Hottinger, Pauline Briguet, Milva Stark, Jonathan Loosli, Marion Zurbach, Mona Kloos, Henriette Blumenau, Beatriz Navarro Baena

Doch diese weiblich bestimmte Repression kann ja nicht alles sein. Die geschlechtsspezifische Gewalt tritt in der Gestalt der dem Minotaurus nachempfundenen nackten Symbolfigur auf (Jonathan Loosli). Er verkörpert das männliche Prinzip in abgewandelten Ausprägungen. Er schlüpft in die Rolle sämtlicher männlicher Idole von Agamemnon bis zu den Film- und Fernsehhelden von heute, weigert sich aber mit an Hohn grenzender Überheblichkeit, auch nur den kleinsten Schritt in Richtung der Erfüllung von zunehmend sichtbar werdendem weiblichem Begehren anzudeuten. Man kann diese Szenen vielleicht geschmacklich als vulgär empfinden, und dann wäre über Geschmack nicht zu streiten. Von der dramaturgischen und der narrativen Funktion her scheinen sie allerdings gerechtfertigt. Sie entsprechen einem Kulturbild, wie es sich heute überall verbreitet, ohne sich in reiner Obszönität zu erschöpfen. Mit Respekt stellt man schliesslich auch fest, dass die Mädchen sich von dieser maskulinen, phallischen Machtdemonstration langsam angewidert abwenden.
Die grosse Peripetie führt wieder zu einem nicht enden wollenden Monolog. „Mutter! Nein Mutter…!“ Eine der Töchter setzt zum Widerstand an, zur Emanzipation. Die anderen folgen. Schliesslich ist die Mutter am Boden zerstört, nicht nur bildlich. Die Eigenverantwortung, das Selbstverständnis, der Ausbruch aus dem Käfig der Disziplinierung und des subtilen familiären Machtmissbrauchs lässt alle Welt wieder glauben und hoffen, gewissermassen.
Ein bewegendes, bestürzendes Grosses Welttheater, eine intensive, so kraftvolle wie prägende  Ensembleleistung! Die Inszenierung von Maricel Álvarez und Autor Emilio García Wehbi schildert vielseitige Probleme. Deren Lösungen stehen noch am Ende eines Weges, den nicht nur die Kinder und Frauen im Spielraum, sondern alle Zeitgenossinnen und -genossen täglich neu finden müssen.

Neben den bereits erwähnten Protagonisten treten auf: Die Tänzerinnen Pauline Briguet, Beatriz Navarro Baena, Izabela Orzelowska, Marion Zurbach; die Schauspielerinnen Henriette Blumenau, Sophie Hottinger, Mona Kloos, Milva Stark und eine Reihe von Kinderstatisten.
Die das Geschehen diskret mitbestimmende Musik ist dem Ensemble Eunoia zu danken, mit Johanna Greulich (Sopran), Ellen Fallowfield (Cello) Louisa Marxen (Schlagzeug), Clemens Hund-Göschel (Klavier) und Stephen Menotti (Posaune).
Alle Bilder: © Philipp Zinniker
Aufführungen noch bis 16. Juni 2015
KonzertTheaterBern/DAS BRENNENDE HAUS

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