Das Kunsthaus Zürich zeigt bis 7. Februar 2016 überwiegend unveröffentlichte Collagen, Zeichnungen und Plastiken des 84-jährigen Tomi Ungerer.
Mit Schlapphut und Gehstock, an dem eine Fahrradklingel auf ihn aufmerksam machen soll, sitzt er inmitten seiner Bilder und spricht so wunderbar über seine Liebe zum Diogenes-Verlag, zu Zürich und zu allen Förderern, Weggenossen und Mitarbeitern, die ihm das sorgenfreie künstlerische Schaffen und diese Ausstellung ermöglicht haben, dass man gewahr wird, dass Ungerer auch mit 84 immer noch das bescheidene, nimmermüde Gewissen und Mahnmal ganzer Generationen verkörpert.
Join The Free and Fat Society, 1967, Offsetdruck, 58,5 x 71 cm
Er, der Elsässer, dem die Nazis 1940 alles Französische austrieben, wählte dann nach den albtraumhaften Wirren die USA, später Kanada, wo er als Farmer hauste, und dann Irland zu seiner zweiten Heimat. Aber ob mit seinen berühmten Kinderbüchern, dem grossartig illustrierten Liederbuch, seinen ätzenden Entlarvungen der Hautevolee-Dekadenz oder mit abgründigen Collagen voller Drastik, Tomi Ungerer blieb immer der Leuchtturm der begnadeten Zeichner und Karikaturisten, getrieben von einer Narrenfreiheit, die man gemeinhin nur Kindern oder eben ihm zubilligte. Seine Provokationen waren aber nie Selbstzweck, sondern deckten „mit dem schärfsten Strich der Welt“ die Verlogenheit eines heuchlerischen Narzissmus gnadenlos auf. Dass ihn viele Amerikaner zum Teufel wünschten, zeigt, wie ungeschminkt und kompromisslos er ihnen den Spiegel vorhielt.
Journey`s last leg, 2005, Collage, 28,5 x 39,7 cm
Die Qual der Wahl oder 178 aus über 40’000
Eigentlich könnte Tomi Ungerer das ganze Zürcher Kunsthaus mehrfach füllen, allein schon mit seinen über 40’000 Zeichnungen, von den 140 publizierten Büchern gar nicht zu reden. Die Kuratorin Cathérine Hug war nicht zu beneiden, mit gerade mal 178 Exponaten der jüngeren Schaffensperiode gerecht zu werden. Mehr als die Hälfte der Werke stammt aus dem Privatbesitz des Künstlers, der Rest ist Leihgabe der Sammlung Würth und des Musée de la Ville de Strasbourg. Die Collage-Techniken bilden in der thematisch übersichtlichen Hängung einen markanten Schwerpunkt.
„Expect the unexpected“ – am besten „inkognito»
Dass der Betrachter bei Ungerer immer wieder „das Unerwartete erwartet“, hat mit seiner obsessiven Suche nach dem Kern der Botschaft zu tun. Insofern ist er exemplarischer Moralist. Aber er möchte am liebsten „inkognito“ reisen und seinen Blick schärfen. Diogenes hat zur Ausstellung, die ab März 2016 im Museum Folkwang in Essen gezeigt wird, einen gross angelegten Bildband mit dem Titel „Inkognito“ publiziert, in den der Verleger und Freund Philipp Keel sein ganzes Herzblut steckte. Fachtexte und Essays in deutscher, französischer und englischer Sprache begleiten auf über 400 Seiten das gestalterische Universum des Künstlers und erweitern damit das Kunsthausangebot auf umfassende Weise.
Tomi Ungerer INKOGNITO, Diogenes, Fr. 59.-
Pride and Prejudice, 2012, Collage, 61 x 69,8 cm (Bilder: Diogenes Verlag AG, Zürich / Tomi Ungerer)