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Lektionen des Alters. Easy ageing

«Lektionen des Alters» – ein Buch  über die Bereitschaft, den eigenen Lebensentwurf auch im Alter in Freiheit selbst in die Hand zu nehmen.

Von Prof. Dr. Bernd Seeberger/Dr. Gerd Schuster (UMIT-Universität)

Helmut Bachmaier (Professor an der Uni Konstanz) will in seinem neuen Buch „Lektionen des Alters“ an die Möglichkeit zum Selbstentwurf eines jeden Menschen erinnern, die nicht nur lebenslang gegeben ist, sondern darüber hinaus, kantisch gedacht, die Pflicht jedes autonomen Wesens ist. Nach dem Grundsatz „Mach dir dein Alter selbst“ verfolgt der Autor einen Gegenentwurf zu das Alter negierenden (anti-ageing) oder das Alter verklärenden (pro-ageing) Altersbildern – im Bewusstsein zwar, dass Selbstentwürfe immer sowohl auf Grenzen als auch auf deren Transgressionen zu beruhen haben. Als Voraussetzung und Zweck gleichermassen erkennt er hierfür eine grundsätzliche Gestimmtheit, die er mit „easy ageing“ umschreibt.

Ein Gegenentwurf

Als Literaturwissenschaftler und Kulturgerontologe bewerkstelligt Bachmaier den so bezeichneten Gegenentwurf im Rückgriff auf Erfahrungsräume, wie sie ihm in seiner intensiven Beschäftigung mit Kultur-, Philosophie-, Kunst- und Literaturgeschichte zum Thema Alter entgegentreten, und er bedient sich hierbei im weitgehenden Verzicht auf die gängige gerontologische Literatur phänomenologischer, handlungstheoretischer sowie verstehender Ansätze.

Freilich bewegt sich Bachmaier hier nicht nur auf einem, sondern auf vielen weiten Feldern: historischer Dynamik unterworfen, widersprüchlich, gegenläufig, labyrinthisch geradezu. Er benennt und kategorisiert historische und aktuelle Trends, er ordnet Alter in unterschiedliche Phasen und Erscheinungsweisen ein; er beschäftigt sich mit vergangenen und modernen Alterskulturen; er verweist auf die Vielfalt und Bedeutung von Generationenbeziehungen, die bis in ihre demographischen und politischen Dimensionen hinein analysiert werden; er entwickelt im Rückgriff auf Humanismus, kantische Ethik, methodischem Rationalismus und der Idee integrativer Verpflichtung eine werteorientierte Alterskultur; und er bringt den Begriff der Menschenwürde in seiner historischen Semantik ins Spiel.

Bachmaier leitet eine Alters- und Sterbeethik her, aus welcher besondere Rechte und Pflichten entspringen; er appelliert an eine fruchtbare Alterspolitik und benennt sehr konkret und mit klarem Standpunkt hoch pragmatische Lebens- und Entscheidungsbereiche; er zeigt Elemente einer Lebenskunst im Alter auf und schliesst seinen kulturhistorischen Rundblick mit literaturwissenschaftlicher Profession zum hoch ambivalent erscheinenden Thema „Alter in der Literatur“ ab. Schlussendlich gestaltet er ein Kompendium einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Alternsforschung. Es sind Applikationen der Kulturgerontologie, jenseits des üblichen pseudo-wissenschaftlichen Geplänkels.

Ein gewaltiges, aber gut lesbares Unterfangen

Dass dieses gewaltige Unterfangen die 200-Seiten-Marke nicht wesentlich überschreitet und für den Leser weder detailverloren, weder langweilig noch gehetzt und kurzatmig daherkommt, ist Bachmaiers enormem sprachlichen Geschick und seinem sicheren Gespür zu verdanken, jeweils das Wesentliche auf den Punkt zu bringen.

Ohne bei seinen Lesern allzu fundierte geistesgeschichtliche Kenntnisse vorauszusetzen, blickt Bachmaier auf ein beachtliches Spektrum bedeutsamer Texte, das von Homer, Sappho über das Alte und Neue Testament, griechische und römische Philosophen über Augustinus, Pico, Goethe bis Freud und Heidegger und viele andere reicht. In all ihrer teils widersprüchlichen Vielfalt benennt er Fakten, fasst unterschiedlichste gedankliche Figuren aus Wissenschaft, Kunstgeschichte, Literatur und Alltagserfahrungen zusammen – ohne diese zwanghaft zu entfalten, deutend aufzubauschen oder gar für den eigenen Zweck umzubiegen.

Denn gerade dies ist es ja, weswegen er sich zusammen mit seinen Lesern gleichsam auf den Weg zum Hochstand gemacht hat, von dem aus die weiten Felder zu überblicken sind: nicht immer im Detail und in den schärfsten Umrissen, aber im Panorama der historischen und aktuellen Möglichkeiten und der Spielräume, innerhalb derer jeder Einzelne sein je eigenes Alter, einem positiven Altersbild entsprechend, autonom entwerfen und leben und in dieser Erkenntnis als „easy ager“ vom kleinen Spaziergang mit Leichtigkeit und erfrischt zurückkehren kann.

Stets bleibt Bachmaiers Sprache diesem Anliegen angemessen und imponiert gerade als Kontrapunkt zur impressionistisch schillernden Weitwinkelperspektive seines kulturhistorisch-kulturgerontologischen Rundblicks und wirkt dadurch umso präziser und verständlicher. Auch seine Zitationsweise wird dem gerecht. Er verzichtet auf Fussnoten oder andere ausführlichere Quellenangaben im Text. Erst im Abschluss seines Buches führt er diese an und empfiehlt zusätzlich für jedes Kapitel die grundlegende Literatur. Ein auch deshalb gut zu lesendes Buch.

Wagnis selbstverantworteten Handelns

Bachmaiers „Lektionen des Alters“ sind ein ermutigendes Buch im wahrsten Sinne: Habe den Mut, dich deiner eigenen Freiheit (auch kantisch: deines Verstandes) zu bedienen, dich im Spiel deiner Möglichkeiten zu entwerfen – nach deinem Bilde, im Spiel-Raum deines Lebens, bis ans Ende. Und so richtet sich der Text an jeden, der im erweiterten Blick auf die Buntheit des Lebens mit all seinen schillernden Möglichkeiten den Entschluss zu fassen bereit ist, seinen eigenen Lebensentwurf in Freiheit selbst in die Hand zu nehmen und dies gerade im Alter nicht anderen zu überlassen.

Helmut Bachmaier: Lektionen des Alters. Kulturhistorische Betrachtungen. Göttingen 2015 (Wallstein Verlag).

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